Mateja Koležniks Inszenierung von Madame Bovary (nach dem gleichnamigen Roman von Gustave Flaubert, in der Bearbeitung von Albert Ostermaier) beginnt mit dem Ende der Protagonistin: Emma Bovary hat sich mit Arsen vergiftet. Ihr Todeskampf ist lang und qualvoll. Ihr Mann und der Doktor sind zwar bei ihr, können aber nichts mehr für sie tun. Sie nimmt deren Anwesenheit auch nicht mehr wahr, da ihr Leben in kurzen Fragmenten an ihr vorbeizieht. Und so wird das Publikum des Kleinen Theaters während der Ruhrfestspiele in Recklinghausen Zeuge des Beginns ihres Dramas.
von VERENA SCHÄTZLER
Im Tod ist Emma Bovary (stark gespielt von Sophie von Kessel) allein in ihrer Qual, im Leben war sie einsam. Weder ihr Mann Charles (ein gewollt farbloser und langweiliger René Dumont), der sie zweifellos verehrt, aber unter dem Pantoffel seiner Mutter steht, noch ihre Liebhaber Léon Dupuis (Thomas Lettow) und Rodolphe Boulanger (Bijan Zamani) vermochten zu ihr durchzudringen. Um diese Leere zu betäuben, flieht Emma in die Traumwelt ihrer Liebesromane und in hemmungslosen Konsum. So driftet sie immer mehr ab und rutscht schließlich in eine manische Depression, die sie noch weiter von ihren Mitmenschen entfernt. Sie könnte sich auch nicht mitteilen, ihre Sprache verkümmert zu den Phrasen ihrer Liebesromane. Die Männer in ihrer Umgebung nehmen ihre Stimmungsschwankungen, da in ihren Augen nur banales Frauenleiden, nicht ernst, und auch von der einzigen weiteren Frauenfigur im Stück, ihrer Schwiegermutter (eine sehr resolute wie bibeltreue Gabriele Dossi), kann sie weder auf Hilfe noch auf Verständnis hoffen.
Alles dreht sich
Die Einsamkeit im Leben Madame Bovarys ist zentrales Thema der Inszenierung, das auch im Bühnenbild von Henrik Ahr brillant umgesetzt wurde. Es handelt sich dabei um einen einfachen weißen Aufbau, in dessen Mitte sich ein Loch befindet, welches von einer sich drehenden Fläche bedeckt ist. Auf dieser Fläche steht Madame Bovary und dreht sich während des ganzen Stücks buchstäblich um sich selbst, wie auch die anderen Figuren des Stückes. Emma wird als Spiegel ihrer Erwartungen zur Projektionsfläche degradiert. Da sie zunehmend den Halt verliert und die Menschen um sie herum ihr diesen nicht bieten, sucht sie ihn bei sich selbst. Sie berührt ihren Körper die ganze Zeit, als wolle sie sich an sich selbst festhalten, sich selbst spüren, wenn sie die anderen nicht spüren kann.
Dieser Bühnenaufbau verdeutlicht aber nicht nur die Einsamkeit der Madame Bovary. Während ihres Todeskampfes liegt Emma ächzend und stöhnend auf der sich drehenden Bühne. Die Erinnerungsfragmente aus ihrem Leben blitzen aus ihrem Unterbewusstsein empor, ganz so, wie die Schauspieler aus dem Loch klettern und wieder in ihm verschwinden, um den Wechsel von einem Erinnerungsfragment zum anderen zu markieren.
Mateja Koležniks schlichte Inszenierung zeigt eindrucksvoll, wie zeitlos Flauberts Romanvorlage immer noch ist. Sicher, Madame Bovary zerbricht unter anderem an den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit. Sie soll bescheiden und mit ihrem Leben und Ehemann zufrieden sein und viele Kinder – am besten Söhne – gebären. Dieser gesellschaftliche Druck auf Frauen ist auch heute noch präsent, auch wenn die Moralvorstellungen andere sind. Depressionen mit einhergehenden Ersatzbefriedigungen wie das Flüchten in Traumwelten (zum Beispiel von Online-Rollenspielen wie World of Warcraft) oder das Entwickeln von Kaufsucht sind auch in heutiger Zeit ein großes Thema.
Die Inszenierung verfügt zwar über keinen ausgeprägten Spannungsbogen, was auch darin begründet liegt, dass der bevorstehende Tod Emmas schon nach ein paar Minuten klar wird. Langweilig wird es für den Zuschauer dennoch nicht, was an der Leistung der Schauspieler liegt. Überzeugend verkörpern sie die Figuren des 19. Jahrhunderts. Besonders Sophie von Kessel füllt mit viel Einfühlungsvermögen die Rolle der depressiven und fragilen Madame Bovary. Sie leidet auf der Bühne und der Zuschauer leidet mit ihr.
Die Fragen, die sich mir bei solchen Stücken stellen, sind: Was soll der Zuschauer mit mach Hause nehmen? Warum soll er sich das Stück ansehen? Kann es ihm etwas geben?
Ehrlich gesagt, finde ich es immer traurig, wenn depressive Stücke ohne “Lösungsvorschlag” oder Ausweg gezeigt werden. Diese Hoffnungslosigkeit läßt unsere Abwehrzellen im Körper (tut mir leid, ich bin Ärztin und denke so!) sicherlich nur sinken. Deshalb müßte am Eingang eine Warnung stehen: Bitte nicht anschauen, wenn Sie eine gesunde Abwehr benötigen… Aber wer sich gerne herunterziehen läßt, um dann “als Phönix aus der Asche” in sein glückliches Leben zurückzukehren, nur zu! Ich kann nun einmal nichts Positives aus dem Leid anderer ziehen, deshalb habe ich auch diesen Beruf gewählt. Aber ich weiß, dass viele Leute diese Stücke genießen. Versteh´ich zwar nicht, aber ich toleriere gerne andere Meinungen…
Ich wünsche allen Lesern eine wundervolle Woche, Nessy von den happinessygirls.com