Seegurken, Grottenolme und Cyborgs

Heinrich Detering - Wundertiere   Cover: WallsteinMit dem Band Wundertiere legt der Germanist Heinrich Detering eine Sammlung von Gedichten vor, die überwiegend eine große Ruhe verströmen. Das ist nicht sehr aufregend, aber gut zum Innehalten.

von STEPHANIE HEIMGARTNER

Tiere gibt es tatsächlich viele in diesem schmalen achten Gedichtband des Germanisten Detering. Aber sie sind auf den ersten Blick wenig spektakuläre, oft furchtsame bis melancholische und meistens stumme Bewohner des Anthropozäns. Da sind die Seegurke oder der Grottenolm, in die hineinzuversetzen sich auch den empathischsten Tierschützern schwerfallen dürfte. Lamas und Kuckucke haben zwar eine Stimme, doch auch die ist für den Menschen eher Nebengeräusch, wie sich der Sprecher schuldbewusst eingesteht. Als Aasvögel auf Golgatha sind die Mitgeschöpfe zwar nicht nachgerade harmlos, aber auch in dieser anthropophagen Variante bleiben sie dem Menschen unsäglich fern. Wenn dem auch so ist, so hat die Integration natürlicher Wesen ins Gedicht immerhin eine lange Tradition. Vertrackt wird es allerdings, wenn man versucht, diese mit zeitgenössischen Sujets zu paaren. In dem Gedicht Küchenfenster versucht Detering die Frage des Kollegen Simon Armitage zu beantworten, ob im Gedicht ein Mikrowellenherd unterzubringen sei. Für Neugierige: Irgendwie gelingt es schon, im Sechszeiler die Apfelblüten und das elektrische Küchengerät zu platzieren, aber irritiert das den Leser produktiv oder stimmt ihn das Gewollte dieser Konstruktion eher ungehalten? Ein Cyborg in Ruhe (so eine Abschnittsüberschrift), also eine Harmonisierung von menschlicher und nichtmenschlicher, technischer Lebenswelt, bleibt vorerst Illusion – zu Detering kommt wie einst zu Eichendorff die Stille gemeinsam mit der Naturerfahrung erst dann, wenn die Maschinen heruntergefahren sind. Vielleicht muss ein über sechzigjähriger Dichter und Literaturwissenschaftler diese Integrationsleistung auch nicht erbringen, sondern kann sie an Jüngere delegieren.

Schöpfen aus der eigenen Erinnerung

Tatsächlich zehrt Detering viel von Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend – dazu zählen natürlich auch Erinnerungen an Lektüren – und reflektiert so die Nähe bzw. Distanz zum Ich-und-Jetzt. Sich als alternder Mann an den alternden, noch immer vom Krieg traumatisierten und eingeschränkten Großvater zu erinnern (die Kammer), spricht von der Hoffnung, selbst noch über einen größeren Bewegungsspielraum zu verfügen; sich als Professor, der ebenfalls häufig vor Menschen spricht, den fernen, in sich selbst versunkenen Papst Benedikt zu beobachten (Audienz, Petersplatz), offenbart den Zweifel, ob man selbst letztlich nicht ebenso eigenbrötlerisch und einsam sei. Zahlreich sind darüber hinaus die Anspielungen an familiäre Begebenheiten, an literarisches Allgemeingut wie die Grimmschen Märchen und Lindgrens Tomte Tummetott.

Wer mit Kunert, Kunze und Kirsch die eher naturnahen, defensiv beobachtenden, sorgsam reflektierenden und sprachlich-stilistisch zugänglichen Dichter der älteren Generation mag, wird auch diese unprätentiösen, melancholischen und nachdenklichen Verse mögen.

 

Heinrich Detering: Wundertiere
Wallstein, 93 Seiten
Preis: 18,90€
ISBN: 978-3-8353-1598-3

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