In Die Unamerikanischen ließ sich Molly Antopol von den Geschichten ihrer Familie inspirieren. Ihre Erzählungen, die drei Generationen umfassen, sind dabei so dicht erzählt, dass man als Rezipient den Eindruck gewinnt, man lese einzelne kleine Romane.
von ESRA CANPALAT
Unamerikanisch sind sie irgendwie alle, die Protagonisten jeder einzelnen Erzählung Antopols. Da wäre zu Beginn des Bandes, in Die alte Welt, Howard, der sich in den Kopf gesetzt hat, die Ukrainerin und früh verwitwete Sveta zu heiraten, obwohl sie sich beide kaum kennen. Das von Howard erhoffte Eheglück scheint wahr zu werden. Doch beim gemeinsamen Urlaub in der Ukraine wird Sveta angesichts der wieder aufkommenden Erinnerungen abweisend und beginnt, Howard zu verabscheuen. Howard, der sich noch nie so einsam gefühlt hat, strandet bei seiner Stadtwanderung in Kiew in einem Restaurant, beobachtet die Menschen in dieser fremden Stadt, in der einst sein Großvater gelebt hatte, bevor er sich entschloss, in die USA zu emigrieren.
Zwischen neuer und alter Welt
Antopols Figuren sind alle Wanderer zwischen zwei Welten: der neuen und der alten, genau wie die Autorin selbst, die zwar in San Francisco lebt, aber ein Drittel des Jahres in Israel verbringt. In Unbedeutende Heldentaten erzählt sie von zwei ungleichen israelischen Brüdern, von denen der ältere sich in die USA absetzen will. Ein tragischer Unfall durchkreuzt aber dieses Vorhaben und ruft den jüngeren Bruder auf den Plan. Meine Großmutter erzählt mir diese Geschichte handelt hingegen davon, wie eine Holocaustüberlebende ihrer Enkelin ihre Überlebensgeschichte erzählt. Antopol ließ sich hierbei von Peter Duffys Die Bielski-Brüder: Die Geschichte dreier Brüder, die in den Wäldern Weißrusslands 1200 Juden vor den Nazis retteten inspirieren. Diese Erzählung ist besonders interessant, bringt sie dem Leser doch ein eher unbekanntes historisches Kapitel nahe. Und natürlich ist auch das Scheitern des allbekannten Mythos des American Dream Thema in Der unbekannte Soldat: Alexis Hollywoodkarriere, geprägt durch sein Image als Russe aus der Arbeiterklasse – ein Image, das so gar nicht der Wirklichkeit entsprach, war Alexi doch seit seinem zweiten Lebensjahr behütet in Queens aufgewachsen – findet ausgerechnet aufgrund der Aneignung dieser kommunistischen Identität ein jähes Ende. So schafft es Antopol, drei Generationen von Familien jüdischer Abstammung virtuos in einem Band zu vereinen. Die Erzählungen nehmen sich nicht nur schwerwiegender Themen wie dem Holocaust an, sondern handeln auch von Alltagsproblemen wie Generationskonflikten oder Eheproblemen. Im Grunde teilen aber alle das gleiche Thema: die Suche nach Liebe und Glück.
Kitsch à la Krauss
Leider rutscht Antopol, wahrscheinlich aufgrund dieser Allerweltthematik, desweilen ins Kitschige ab. Besonders die am Ende des Bandes zu findenden Erzählungen Eine schwierige Phase über die gescheiterte Auslandskorrespondentin Talia, die einen verwitweten Mann und seine rebellierende Tochter kennenlernt, und Retrospektive, in der Mira erkennen muss, dass ihre Eheprobleme mit Boaz erschreckende Parallelen zu dem Liebesleben ihrer verstorbenen Großmutter haben, sind arg gefühlsduselig geschrieben: „Er roch jungenhafter, als sie gedacht hätte, und war ein hingebungsvoller, zupackender Küsser, der gleich die Zunge einsetzte.“; oder: „Er hatte Mira an sich gezogen und die zarte Stelle zwischen ihren Augen geküsst und geflüstert, er liebe sie, und sie flüsterte, sie liebe ihn auch. ‚Nein‘, meinte sie dann. ‚Das ist doch Quatsch. Wie kann ich das sagen, wenn ich auch diese Nudeln liebe, diesen Film, dieses Feuer? Wir brauchen ein anderes Wort. Wir müssen Ben-Jehuda aus dem Grab holen und ihn um eine annähernd passende Bezeichnung bitten für das, was sie eigentlich sein soll – diese Liebe.‘“ Die US-amerikanische Autorin Jesmyn Ward verglich bezeichnenderweise die „emotionale Wucht“ der Erzählungen Antopols mit dem Erzählstil Nicole Krauss’, der vielfach auch überfrachteter Kitsch vorgeworfen wird. Nichtsdestoweniger muss Antopol zugute gehalten werden, dass sie eine großartige Erzählerin ist, die es schafft, in jeder ihrer Geschichten dem Leser die Figuren so nahe zu bringen, dass man den Eindruck gewinnt, man lese keine Erzählsammlung, sondern jedes mal von Neuem einen Roman. Auf so wenig Platz entfalten sich die einzelnen Lebensgeschichten der Figuren, schnell wachsen sie einem ans Herz. Das liegt vor allem an bestimmten erzählerischen Kniffen Antopols, beispielsweise durch Binnenerzählungen (Erinnerungen oder Flashbacks der Figuren), die sie so elegant in die Haupterzählung einfließen lässt, dass dem Leser die Zäsuren gar nicht bewusst werden.
Im Großen und Ganzen ist Die Unamerikanischen ein Erzählband, der Vergnügen bereitet, besonders weil Antopol über Dinge schreibt – Eheprobleme, Familienkonflikte, die Suche nach Glück in einer immer unbeständiger werdenden Welt–, die uns alle beschäftigen. Zweifelsohne ist Antopol eine Erzählerin, die ihr Handwerk gut beherrscht, auch wenn die „emotionale Wucht“ manchmal diesen Eindruck untergräbt.