Munk – ein literarischer Noir Krimi

Ricardo Piglia - Munk   Cover: WagenbachManche Krimis laufen nach Schema F: Ein Mord geschieht und der Detektiv macht sich auf die Suche nach dem Mörder, findet ihn und alle Fragen, die während der Ermittlungen auftauchen, werden am Schluss beantwortet. Bei Munk ist das ein bisschen anders. Laut Klappentext hat Ricardo Piglia versucht, den amerikanischen Kriminalroman neu zu erfinden; ein Unterfangen, das von dem Herausgeber der„Schwarzen Serie“ auf argentinisch nicht zu erwarten ist. Ganz in der Tradition des Noir Krimi nimmt es Emilio Renzi mit einem literarisch bewanderten Serienkiller auf, der Universitätsprofessoren mit Briefbomben in die Luft sprengt – nicht nur das FBI tappt zunächst im Dunkeln, auch der Leser.

von VERENA SCHÄTZLER

Emilio Renzis Autorenkarriere stagniert. Er hält sich mit Arbeiten als Ghostwriter und Übersetzer über Wasser, als er die Einladung erhält, an der elitären Taylor Universität in der Nähe von New York ein Seminar über W.H. Hudson zu leiten. Er verlässt Buenos Aires und findet sich nicht nur im bitterkalten nordamerikanischen Winter wieder, sondern auch im Haifischbecken der Universität, an der Kollegen Intrigen spinnen und der Dekan im wahrsten Sinne des Wortes (statt einer Leiche) einen Hai im Keller hat. Während das Semester – und auch der Anfang des Romans – vor sich hin plätschern, beginnt Renzi mit seiner Kollegin, der brillanten Professorin Ida Brown, ein Verhältnis, das abrupt endet, als sie bei einem Verkehrsunfall – oder war es doch ein Mord? – ums Leben kommt. Emilio Renzi befürchtet, selbst in den Fokus der Ermittlungen zu geraten und er beginnt auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen.

Dokumentation des Noir Krimis

Der Tod Ida Browns wirft viele Fragen auf: War es ein Unfall? War es Mord? Ist sie Opfer des Serientäters geworden, der bereits mehrere Professoren getötet hat? Oder war sie gar Mittäterin des ominösen Briefbombers und ist im Zuge dieser Mittäterschaft umgekommen? Auf all diese Fragen findet Renzi mit Hilfe des Privatdetektivs Parker keine eindeutigen Antworten. Obwohl literarisch ebenfalls sehr bewandert, ist Renzi kein genialer Denker vom Schlage eines Sherlock Holmes. Als Mann in der Midlife-crisis verkörpert er vielmehr einen Anti-Helden (Eine Rolle, die er sich diesmal mit Holmes teilt). Zusammen mit Parker stolpert er durch die Ermittlungen. Daher sind es nicht Renzi und Parker, die schlussendlich dem Serientäter, Thomas Munk, auf die Spur kommen, auch wenn der Leser es zunächst erwartet. Auch das FBI steht vor vielen Rätseln. Rettender Deus ex machina ist Munks Bruder, der in ihm den Serientäter aufgrund einer besonderen Redewendung („You can’t eat your cake and have it too.“) im Bekennerschreiben zu erkennen glaubt.

Dass Parker und Renzi eben kein Licht ins Dunkel des Falles bringen, ist aber nicht die einzige Wendung des Noir Krimis. Der Hai, der nicht nur das Cover ziert und der mit viel Dramatik zu Beginn des Romans eingeführt wird, verschwindet nach eben dieser ersten Begegnung wieder in den Tiefen des Romans. Das Selbe gilt für Renzis Nachbarin Nina Andropowa, einer russischen Tolstoi-Biografin. Sie ist laut Renzi zwar der Grund, dass er nach Ida Browns Tod „nicht völlig den Verstand verlor“, und obwohl ihr Piglia ein ganzes Kapitel widmet („Die russische Nachbarin“), scheint sie keine besondere Funktion zu haben.

Laut Klappentext soll sich Munk kurz nach Beginn in einen Kriminalroman mit Anleihen bei Thrillern aus Hollywood verwandeln – aber der Thrill stellt sich nicht ein, trotz der eingeflochtenen Liebesgeschichte zwischen Renzi und Brown. Es kommt einfach kein richtiger Spannungsbogen zustande. Wer einen Thriller erwartet, wartet darauf, dass es endlich losgeht und der Plot an Fahrt gewinnt, um dann festzustellen, dass die Geschichte zu Ende ist.

Diskussion der Literaturwissenschaft

Es sind nicht die Elemente des Kriminal- und Detektivromans, die – obwohl vorhanden – den Roman tragen. Munk spielt im Elfenbeinturm der Literaturwissenschaft: Renzi selbst beschäftigt sich mit der Literatur von W. H. Hudson, Anna, seine russische Nachbarin, schreibt am dritten Band ihrer Tolstoi-Biografie und die verstorbene Ida Brown war „eine Art Star der akademischen Welt: Ihre Dissertation über Dickens hatte die Forschungen über den Autor von Oliver Twist über zwanzig Jahre lang zum Erliegen gebracht.“ Auch der geniale Mörder Thomas Munk (Als Vorlage diente der sogenannte „Unabomber“ Theodore Kaczynski. Dessen reale Geschichte und sein Manifest „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“ liegen dem Roman zugrunde, ein ehemaliger Mathematikprofessor, ist literarisch bewandert. Er zitiert James Joyce, Ludwig Wittgenstein, Henry David Thoreau und ist darüber hinaus noch Joseph Conrad-Experte. Munk wartet mit einer Fülle von literarisch-kulturgeschichtlichen Anspielungen und Exkursen auf. Die Gespräche, die im Roman geführt werden, schneiden die unterschiedlichsten Diskurse an und man kommt gar nicht nach, den unterschiedlichen intertextuellen und kulturellen Verweisen zu folgen.

Ricardo Piglia, der selbst in Princeton und Harvard Literatur- und Filmwissenschaft gelehrt hat, setzt mit Munk der Komparatistik ein Denkmal. Es sind unterschiedliche Lesarten von Texten und die Frage nach möglichen Subtexten, die im Roman eine zentrale Rolle spielen. Die Frage nach der Bedeutung des Autors eines Textes ist hierbei besonders wichtig, erkennt man Munks Autorschaft nur aufgrund wiederkehrender Formulierungen der Privatperson Thomas Munk.

Munk beginnt zwar als vermeintlich sentimentale Campus Novel, verwandelt sich aber schnell in einen Noir Krimi mit Dokumentation und Diskussion der Komparatistik. Der Versuch diese ‚Bestätigung‘ der Literaturwissenschaft mit einem Noir Krimi zu verbinden, ist gut gelungen. All die kriminalistischen Anspielungen, die im Roman gemacht werden, führen zu einer Erwartungshaltung beim Leser, die dann doch nicht erfüllt wird. Die ganzen intertextuellen Verweise können allerdings eventuell zu Verwirrungen führen. Dennoch ist Munk ein intellektuell sehr ansprechender Roman, wenn man die Fragen: „Wer war der Mörder?“ und „Was ist mit dem Hai?“ außer Acht lässt.

Ricardo Piglia: Munk
Verlag: Wagenbach, 256 Seiten
Preis: 22,90 €
ISBN-13: 978-3803132697

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