Ein Schmetterling mit gebrochenen Flügeln

"Madama Butterfly" am Opernhaus Wuppertal Foto: Uwe Stratmann

“Madama Butterfly” am Opernhaus Wuppertal Foto: Uwe Stratmann

In Zeiten, da die Flüchtlingssituation in Europa die Wichtigkeit gegenseitiger Verständigung umso dringlicher aufzeigt, inszeniert Dominik Neuner am Wuppertaler Opernhaus Puccinis Madama Butterfly als „Psycho-Krimi“ auf der Folie eines kulturellen Zusammenpralls – mit tragischem Ausgang für die Hauptfigur.

von STEFAN SCHMIDT

Die auf drei Akte verteilte Handlung erzählt die Geschichte des amerikanischen Seemanns Pinkerton, der sich aus Neugier auf das „Exotische“ in Nagasaki eine japanische Braut, die ehemalige Geisha Cio-Cio San, vermitteln lässt. Obwohl er seine unlauteren Absichten nicht verhehlt und Cio-Cio San insbesondere von Sharpless, dem amerikanischen Konsul, mehrfach gewarnt wird, lässt sie sich auf die Ehe ein, um ihr Dasein als Geisha zu beenden. Das erwartete Eheglück bleibt jedoch aus: Pinkerton verlässt Nagasaki und lässt seine Gattin in sehnsüchtiger, bald schon verzweifelter Erwartung zurück. Diese hat unterdessen ein Kind zur Welt gebracht. Als Pinkerton durch Sharpless von seiner Vaterschaft erfährt, kehrt er schließlich doch zurück, allerdings in Begleitung seiner neuen Frau, einer Amerikanerin, die das Kind in die USA mitnehmen möchte. Cio-Cio San stimmt letztlich zu und befreit sich von ihrem Schmerz ebenso wie von der gesellschaftlichen Ächtung, die ihr durch die Ehe mit einem Amerikaner zuteilwurde, durch einen ritualisierten „Ehren-Selbstmord“.

Der gelüftete Vorhang eröffnet den Blick auf ein minimalistisches Bühnenbild (Dominik Neuner): Weiße, kubische Formen rahmen ein Haus, an dessen linker Seite eine Treppe den Figuren Raum für vertikal angeordnete Auf- und Abtritte bietet. Auf der rechten Seite scheint ein isolierter Baum metonymisch einen Garten zu vertreten. Orientalisierende Japan-Klischees bleiben aus – zumindest in ihrer klassischen Form. Man könnte sich aber fragen, ob nicht vielmehr gegenwärtige europäische Assoziationen Japans mit futuristischen Designs und funktionaler Ästhetik das Bühnenbild beeinflusst haben. Ebenso drängt sich der Gedanke auf, die Inszenierung umgehe die Entscheidung zwischen einer zeitgenössischen oder naturalistischen Gestaltung, indem z. B. die an der Handlungszeit orientierten Kostüme (von Ute Frühling) der heutigen Mode nahe genug kommen, um nicht antiquiert zu wirken.

Viel Lärm um nichts im ersten Akt

Von den beiden männlichen Hauptfiguren, die das Stück eröffnen, überzeugt Heikki Kilpeläinen als Konsul Sharpless am meisten. Timothy Richards, dem die schwierige Aufgabe zufällt, in der Rolle des Pinkerton jugendlichen Elan und Abenteuerdrang mit kolonialer Herablassung zu vereinen, kann im ersten Akt leider nur mit letzterem aufwarten. Die nicht weniger anspruchsvolle Ambivalenz der weiblichen Hauptfigur – der Spagat zwischen anfänglich schüchterner Naivität und zunehmender Enttäuschung, Reife und Tragik – wird von Hye-Won Nam zu Beginn bisweilen auf eine ebensolche Einseitigkeit reduziert: Obwohl die eigentliche Tragödie Cio-Cio Sans noch nicht eingetreten ist, deklamiert Nam mit schicksalsschweren, weit ausladenden Gesten und pathetischem Ernst, wo eigentlich Euphorie und Vorfreude das Szenengeschehen überwiegen. Gesanglich beeindruckt die Darstellerin jedoch durchgängig mit ihrer ebenso kraftvollen wie expressiven Stimme.
In seinen Einsätzen nicht immer ganz aufeinander abgestimmt wirkte hingegen der Chor der Geishas, der bei seinem Abgang Cio-Cio San für ihre Apostasie schilt, nachdem ihr Onkel Bonzo, ein Shintō-Priester (in der imposanten Darbietung Marc Kugels), sie wegen ihres Übertritts zum Christentum verstieß. Vielleicht soll das dabei entstehende leichte „Zischen“ aber auch der sozialen Verurteilung Cio-Cio Sans zusätzlich Ausdruck verleihen.

"Madama Butterfly" am Opernhaus Wuppertal Foto: Uwe Stratmann

“Madama Butterfly” am Opernhaus Wuppertal Foto: Uwe Stratmann

Kontinuierliche Steigerung

Der zweite Akt markiert gegenüber dem ersten eine deutliche Steigerung: Die Darstellung wird belebt durch die authentische Darbietung Viola Zimmermanns, die in der Rolle der Dienerin Suzuki weniger zum Publikum gewandt singt, dafür mehr mit der Hauptdarstellerin und anderen Figuren auf der Bühne interagiert und diese dadurch zu einem glaubwürdigeren Spiel animiert. Hierzu trägt auch die größere Nähe ihres Gesangs zu einer natürlichen Sprechstimme bei, von der die Inszenierung bis zum Schluss profitiert. Natürlicher wirkt hier auch Nam, wenn sie angesichts einer möglichen Rückkehr in den Geisha-Stand auf die Knie sinkt, den Dolch gegen sich selbst richtet oder eine unheilkündende Kreuzigungspose einnimmt, während Suzuki die weiß gekleidete Darstellerin mit einem tiefroten Gürtel umwickelt. Sehr wirkungsvoll wird ab dem zweiten Akt auch die Beleuchtung eingesetzt: Cio-Cio Sans Sehnsucht nach dem Geliebten wird im Bild eines Schiffes visualisiert, das teils auf eine Leinwand, teils auf das weiße Bühnenbild selbst projiziert wird und im Zusammenspiel mit der fulminant vorgetragenen Arie ein starkes und wirkungsvolles Gesamtbild ergibt. Hier überzeugt die Inszenierung, hier macht Zuschauen Spaß! Schade nur, dass es bei ebendiesem Einsatz der Lichtprojektion bleibt. Der Akt endet spannungsreich mit der Erwartung des baldigen Anlegens von Pinkertons Schiff.

Diese Spannung kann auch der dritte Akt, dank der tragenden Untermalung durch das Zwischenspiel des Orchesters, wieder aufnehmen. Der zurückgekehrte Pinkerton empfindet nunmehr Reue ob seines Verhaltens gegenüber Cio-Cio San: Diese wird (obwohl in ihrer Motivation etwas unklar) in seiner Arie insgesamt überzeugend und stimmgewaltig vorgetragen. Der lang erwartete Suizid der Hauptfigur gestaltet sich ein wenig manieriert, nicht zuletzt durch den eigentümlichen Einsatz von Theaterblut, in welches das Kind Cio-Cio Sans und Pinkertons abschließend ein aus dem Brief des Vaters geformtes Papierschiffchen eintaucht, um den sinnträchtigen Rot-Weiß-Kontrast ein letztes Mal zu bemühen.

Das Orchester liefert punktgenau – die Darsteller nicht in jedem Fall

Die Leistung des Orchesters unter der Leitung von Ulrich Windfuhr muss lobend hervorgehoben werden: In kunstfertiger Stringenz liefert es punktgenaue Emotionen, was man leider nicht von allen Darstellern sagen kann. Insbesondere Schlagzeug und Pauke, die wichtige Zäsuren und Momente des Innehaltens markieren, tragen die Spannung des Stücks zu großen Teilen mit.

Das Inszenierungskonzept insgesamt wird von Regisseur Dominik Neuner in einem Interview des Programmhefts als „Psycho-Krimi“ bezeichnet und die innere Zerrissenheit vieler Figuren herausgestellt, die auch Puccini „im beginnenden Zeitalter der Psychoanalyse“ faszinierte. Einen gestalterischen Versuch, dieses Konzept umzusetzen, stellen die verschiebbaren durchsichtigen Wände im hinteren Bühnenteil dar, vor denen die Darsteller auf beiden Seiten gelegentlich einfrieren oder am Ende des Aktes verharren. Die dabei entstehenden Schattenbilder lassen sich auch entsprechend als Visualisierung eines Körper-Seele-Dualismus deuten. Damit wäre wohl das „Psycho“ aus „Psychoanalyse“ aufgegriffen, auf einen „Krimi“ wartet man jedoch vergeblich. Denn hier gilt, was für die Inszenierung insgesamt charakteristisch ist: Die Darsteller tauchen trotz guter gesanglicher Qualitäten und signifikanter schauspielerischer Steigerungen nicht vollständig in die Tiefe der Figuren ein, wie sie Puccini (und offenbar auch Neuner) angedacht haben. Warum aber der Regisseur in unseren Tagen überhaupt die psychologische Thematik der Oper zum Drehpunkt seiner Inszenierung macht, bleibt zu fragen: Braucht es 100 Jahre nach Freud immer noch den Verweis auf das innerlich wogende Unbewusste? Braucht es die konventionelle Metaphorik fallenden Herbstlaubs zu Beginn, um den Untergang der Hauptfigur zu präfigurieren? Braucht es schließlich das Thema des Culture-Clash, um seelische Konflikte darzustellen? – Vielleicht wenn dieser die inneren Vorgänge tatsächlich glaubhaft auslösen würde, statt lediglich ihre Staffage zu bilden.

Informationen zur Inszenierung

 

Nächste Vorstellungen:
Mittwoch, der 21. Oktober
Freitag, der 23. Oktober
Sonntag, der 25. Oktober

 

Kommentar verfassen