Ein junger Autor bekommt ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann, obwohl sich sein Idealismus bis zum Selbstekel dagegen sträubt: Er soll das Drehbuch zu einer hanebüchenen Schmonzette namens Praterveilchen schreiben. Die neue Übersetzung von Christopher Isherwoods erstmals 1945 erschienenem Roman illustriert eine Art fröhliche Apokalypse – auf einem Kontinent, der am Abgrund steht.
von KARIN BÜRGENER
Im Jahr 1933 übernimmt Hitler die Macht in Deutschland, das erste Konzentrationslager in Dachau wird errichtet und in Berlin brennt der Reichstag. In Großbritannien bekommt man die Machtergreifung der Nazis zwar irgendwie mit, auch die Zeitungen berichten eifrig über diese verrückten Deutschen. Man rechnet jedoch mit einem baldigen Krieg, der dem ganzen Spuk ein Ende bereiten wird. Der beruhigte Brite kann sich also in aller Ruhe dem Tagesgeschäft widmen. Für den jungen Autor Christopher Isherwood bedeutet dies, irgendwie mit seiner Arbeit Geld zu verdienen. Natürlich schwebt ihm ein großes, hochliterarisches Werk vor. Den hehren Absichten kommt jedoch ein Anruf der Produktionsfirma „Imperial Bulldog“ zuvor: Isherwood bekommt eine Stelle als Dialogregisseur im Film Praterveilchen angeboten, für den gerade die Vorbereitungen in den Londoner Studios laufen.
Die Handlung dieser romantischen Komödie, wie wir sie heute nennen würden, ist schnell erzählt: Der Kronprinz des fiktiven Königreichs Borodanien verliebt sich in das Blumenmädchen Toni, das im Wiener Prater Veilchen verkauft. Sie weiß nichts von seiner edlen Abstammung und hält ihn für einen armen Schlucker. Nach diversen Querelen geht am Ende natürlich alles gut aus, die beiden heiraten und das Blumenmädchen wird zur Königin in spe.
Obwohl die Trivialität der Handlung Isherwoods Selbstverständnis als Autor geradezu beleidigt, sagt er nicht sofort ab. Grund dafür ist nicht nur das Geld, das der immer noch bei seiner Mutter wohnende, notorisch klamme junge Mann sicherlich gut gebrauchen kann. Ausschlaggebend ist vor allem der genialische Regisseur Dr. Friedrich Bergmann, der eine eigentümliche Faszination auf Isherwood ausübt.
Salonsozialismus und Nebelsuppe
„Exzentrisch“ ist zwar ein etwas zu schwaches Attribut für die Figur Bergmann, bringt aber vielleicht seinen sprunghaften, kapriziösen und einnehmenden Charakter am besten auf den Punkt. Auch er ist nicht ganz freiwillig bei „Imperial Bulldog“ gelandet: Als österreichischer Jude floh Bergmann vor Repressalien auf die rettende Insel Großbritannien, musste aber Frau und Tochter zurücklassen. Nun steht er vor der Aufgabe, für den Film Praterveilchen ein unbeschwertes, singendes, tanzendes und ziemlich dümmliches Wien zu erschaffen – denn genauso stellt sich der Produzent die Stadt an der Donau in der Zeit um die Jahrhundertwende vor.
Trotz aller Sorge um seine Familie widmet sich Bergmann seiner Aufgabe voller Tatendrang. Es gelingt ihm sogar, den skeptischen Isherwood für das Projekt zu gewinnen, der schließlich ganz von ihm vereinnahmt wird. Doch obwohl die beiden jeden Tag miteinander verbringen, schreitet das Drehbuch nur langsam voran. Das liegt zum einen an Bergmanns Wankelmut, zum anderen an Isherwoods Arbeitsunlust. Stattdessen führen die beiden lieber Gespräche über Literatur, Filme und den allgemeinen Verfall der Gesellschaft. In Bergmanns Reden findet sich eine ganze Wundertüte voller Anspielungen, die jeden Literaturwissenschaftler erfreuen (auf Dantes Göttliche Komödie, Sophokles’ Ödipus oder Dostojewskis Brüder Karamasow, um nur einige zu nennen). Dazu kommen Bergmanns zum größten Teil sehr spezielle Vorstellungen, zum Beispiel über den berüchtigten Londoner Nebel: „,Die Engländer haben diesen Nebel selbst geschaffen. Sie ernähren sich davon, als wäre es eine bittere Suppe, die sie mit Illusionen versorgt. Er ist ihre Nationaltracht, mit der sie die unerhörte Blöße ihrer Slums und den Skandal ungerechter Besitzverhältnisse verhüllen […]’“. Ob Bergmanns sezierender Blick tatsächlich sämtliche Missstände durchdringt, wagt der Erzähler nicht zu kommentieren. Isherwood jedenfalls fühlt sich von Bergmann überführt – denn er diagnostiziert einen bloßen „Salonsozialismus“ an den eigenen Überzeugungen, der ihn zum einen daran hindert, sich in die einfach gestrickten Figuren des Praterveilchens hineinzuversetzen, zum anderen aber auch daran, mehr als nur oberflächliche Kritik an den politischen Verhältnissen seiner Zeit zu äußern.
Abschied eines Flaneurs
Praterveilchen knüpft lose an die Handlung des Romans Leb wohl, Berlin (2014 ebenfalls in neuer Übersetzung bei Hoffmann & Campe erschienen) an. Am Ende dieses Romans verlässt der junge Isherwood Berlin, nachdem er in einer eindrücklichen Szene einem Mann zur Hilfe kommt, der auf offener Straße auf brutalste Weise von SA-Leuten verprügelt wurde. Beide Romane verbindet das Aufeinanderprallen von Welten: Das flaneurhafte, leichtfüßige Leben des Erzählers erfährt in Berlin ein jähes Ende, als die antisemitische Hetze bis an seine Wohnungstür dringt. Auch in London wird die eigentümliche Atmosphäre der Filmstudios, die sämtliche äußere Einflüsse abschirmen und in denen man nie weiß, ob es Nachmittag ist oder vier Uhr morgens, immer wieder durch den medialen Einfall der politischen Umwälzungen auf dem europäischen Kontinent durchbrochen.
Was beide Werke ebenfalls miteinander verbindet, ist die durch sarkastische Distanz gefärbte Perspektive des Erzählers, die der Leser unwillkürlich einnimmt. Dieser Blickwinkel wird nahezu über die gesamte Länge der Romane eingehalten – bis die Figur Isherwood zum Schluss doch erkennen muss, dass weder Zynismus noch feine Ironie Mittel darstellen, um der Wirklichkeit entfliehen zu können.
Dem Autor Christopher Isherwood, der in diesem Roman so manche eigene Erfahrung verarbeitet, gelingt mit Praterveilchen nicht nur eine amüsante und bissige Skizzierung des frühen Filmgeschäfts. Der Roman zeigt auch Impressionen eines untergehenden Europas, die umso eindrücklicher sind, da man weiß, dass es eben nicht wie im Praterveilchen ein Happy End geben wird. Die neue Übersetzung, die den Wortwitz des Originals betont, verhilft diesem wirklich lesenswerten, geistreichen Roman hoffentlich zu einer Renaissance.
Christopher Isherwood: Praterveilchen. Übersetzt von Brigitte Jakobeit
Hoffmann und Campe, 128 Seiten
Preis: 18 €
ISBN: 978-3-455-40531-6