Shakespeares klassische Tragödie in neuem Gewand: Der australische Regisseur Justin Kurzel versucht Macbeth in die Moderne zu überführen, doch scheitert mit einer letztlich langweiligen Ästhetik digitaler Überfrachtung. Denn was seine Adaption dabei übersieht, ist die komplexe Tiefe und Ambivalenz des zugrunde liegenden Stoffes selbst.
von PHILIPP HANKE
Was kann über William Shakespeares Macbeth noch erzählt werden? Über diesen tragischen Helden, jenen schottischen Krieger, dem von drei Hexen die Thronfolge vorausgesagt wird und der nach dem brutalen Mord an seinem König schließlich dem Wahnsinn verfällt. Unzählige Verfilmungen haben versucht, für den ca. 400 Jahre alten Stoff eine filmische Sprache zu finden. Orson Welles vertraute ganz der Kraft der Bühne, die Verfilmung von Roman Polanski gilt als die blutigste überhaupt und der japanische Regiemeister Akira Kurosawa verlegte die Handlung in die Zeit der Samurai-Krieger. Die Neuverfilmung des Australiers Justin Kurzel versucht sich nun an einer digitalen Filmästhetik und einer Interpretation, die den klassischen Stoff mit technisch herausragenden Bildern verbindet.
Wie Michael Fassbenders Macbeth in einem blutrot lodernden Himmel unterzugehen scheint, ist wahrlich beeindruckend. Stets sind die Figuren vom Verschwinden bedroht, geschluckt von dichten Nebelschwaden, eingekreist von allseits um sich schlagenden Flammen. Aufgenommen vor der überragenden Landschaft der schottischen Berge, wirken sie bedeutungslos klein und in szenischen Tableaus wird ihr Leiden als beispielhaft und gleichzeitig universal verbildlicht. In der feindseligen und mythisch archaischen Landschaft wirken sie so sehr wie Marionetten, dass man sich fragen muss, wie sie in dieser unmenschlichen Welt überhaupt zu überleben gelernt haben.
Schizophrenie der Bilder
Wirklich neu ist diese Interpretation nicht – im Gegenteil: Die auffällige Reduzierung des Set-Designs und die im wahrsten Sinne ‚dreckige‘ Inszenierung zeichnete etwa schon die Filmversion Polanskis aus. Und doch sind Qualität und Ästhetik der Bilder andere: Bereits die Anfangssequenz, die Schlacht gegen den abtrünnigen Than von Candor, ist deutlich von einer Computerspiel-Ästhetik geprägt, die sich durch Zeitlupen und digitale Bildfärbung weniger um Realismus bemüht, als darum, dass es, nun ja, ‚cool‘ aussehen soll. Aber vielleicht ist damit der Motivation und Umsetzung solcher Szenen Unrecht getan. Hinter den schönen Bildern und ästhetisierten Kampfszenen lässt sich nämlich durchaus auch ein Bewusstsein für eine mögliche, spannende Verbindung von moderner Bildästhetik und dem zugrunde liegenden Text ausmachen.
Was gleichzeitig erreicht wird, ist eine auffällige Doppelung der Figuren und ihrer Sehweisen. Durch Parallelmontagen und eine Vielzahl an Perspektiven ein und desselben Geschehens werden nicht nur Gedanken und Traumata sichtbar, sondern es entwickelt sich so etwas wie eine ‚Schizophrenie der Bilder‘. Ganz auf die Bekanntheit der Geschichte und ihre immanente Spannung vertrauend, werden wir als Zuschauer herausgerissen und vor die Frage gestellt, ob wir dem, was wir sehen, überhaupt glauben können. Insbesondere der Mord Macbeths an seinem König gewinnt auf diese Weise eine diffuse Ambivalenz: Die Handlung selbst wird kaum gezeigt, sondern frühzeitig und zugunsten ganz unterschiedlicher Reaktionen des Protagonisten geschnitten. Eine solche Bildsprache kann nur als konsequent bezeichnet werden, geht aber leider zugunsten einer auffälligen und letztlich emotionslosen Ästhetisierung unter. Zudem funktioniert diese Konzentration auf die Bildebene auch und vor allem durch die vorausgesetzte Bekanntheit, aber auch Kürzung des Stoffes selbst und eine oftmals irritierende Zurückhaltung der Schauspieler.
Fehlendes Vertrauen in den Text
Die Rolle des wahnsinnigen Königs scheint eine Paraderolle für Michael Fassbender zu sein (der dieses Jahr noch mit einer anderen, nämlich der des Apple-Gründers Steve Jobs im Kino zu sehen sein wird), und doch weiß er diese nicht anders auszufüllen als mit schweigsamem Zorn und konzentrierter Zurückhaltung. Marion Cotillard hat als Lady Macbeth bessere Karten. Auf subtile Weise weiß sie die Machtgier, den Kontrollverlust und die wachsende Verzweiflung ihrer Figur darzustellen. Doch wirkliche Gefühle kann auch sie nur manchmal beim Zuschauer wecken. An dieser Stelle zeigt sich der größte Schwachpunkt dieser Adaption.
Der Film beginnt mit dem Anblick eines toten Kindes und damit bereits mit einer Szene, die so nicht in der Vorlage zu finden ist. Eine Überraschung hinsichtlich der sonst ausgestellten Werktreue und der Unantastbarkeit des ikonischen Textes. Das bei Shakespeare stets kinderlose Paar verliert einen kleinen Sohn und ihr verzweifelter Schmerz legt eine psychologische Fundierung für jedes folgende, grausame Vorgehen. Ein durchaus interessanter Ansatz, der aber leider nicht ausgeführt wird und somit als reine Legitimation eher Misstrauen in die Emotionsökonomie des Films und leider auch in den zugrunde liegenden Text selbst offenbart. Anstatt sich auf dessen komplexe Vielschichtigkeit zu verlassen, wird jegliche charakterliche Entwicklung, aber auch jede spannende Ambivalenz gestrichen. Die Dialoge wirken auswendig gelernt und bleiben als theatralisch-leere Hülsen fremd. Der Text wird auf das Notwendigste gekürzt, jedoch zugunsten einer Bildsprache, die an der gleichen inkonsequenten Mutlosigkeit leidet. So mag der blutrote Himmel, in den Macbeth zu versinken droht, ästhetisch beeindruckend sein und der bildlichen Symbolisierung nicht nur des vergossenen Blutes, sondern auch einer verdorbenen Seele dienen, an die tragische Tiefe des Textes kommt er leider nicht heran. Zurück bleiben Bilder, die beeindrucken, schön anzuschauen sind und die stellenweise tatsächlich auch eine komplexe Selbstreflexion offenbaren. Wirklich berühren können sie nicht, und trotz ihres drastischen und brutalen Inhaltes tun sie letztendlich niemandem weh.
Macbeth (2015). Regie: Justin Kurzel. Darsteller: Michael Fassbender, Marion Cotillard, David Thewlis. Laufzeit: 119 Minuten. Seit dem 29.10. im Kino.
Danke für diese Betrachtung und Einordnung. Das deckt sich mit meinen Eindrücken und Überlegungen nach der Vorstellung. lg_jochen
Deine Kritik beweist, dass du ein großes Hintergrundwissen besitzt, gerade in Bezug auf andere Verfilmungen des Stückes. Darüber hinaus lieferst du eine interessante Analyse der Ästhetik des Films, die auch auf mich großen Eindruck gemacht hat.
Trotzdem möchte ich dir in einem Punkt entschieden widersprechen: ich finde nicht, dass die ästhetische Überfrachtung zur Verflachung des Stoffes führt. Ganz im Gegenteil, in meinen Augen stellt das Schauspielerpaar Fassender/ Cotillard einen ernstzunehmenden Gegenpol zur ästhetischen Ebene des Films dar, denn auf die Inszenierung ihrer Monologe und Dialoge scheint mir genauso viel Mühe verwendet worden zu sein wie auf die Hintergründe, Räume und Landschaften, vor denen sie agieren. Ich habe selten ein intensiveres Zusammenspiel zweier Akteure gesehen und eine derart unheimlich und bedrückende Stimmung gespürt. Der Film als Ganzes scheint mir von künstlerischem Wert zu sein, zumindest in dem Sinne, dass er etwas Gewagtes und Neuartiges mit dieser angestaubten Vorlage versucht, was sich von seinen Vorgängern und vom Standardkinofilm abhebt.