Und er war eben doch ein Nazi

Per Leo: Flut und Boden // Quelle: Klett-Cotta

 

Als Historiker ist der Autor Per Leo damit vertraut, sich auf Spurensuche in der Vergangenheit zu machen. In seinem literarischen Debüt Flut und Boden. Roman einer Familie taucht er bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts hinab, um von dort aus die Geschichte seiner eigenen Familie zu ergründen. Auslöser hierfür, aber nicht alleiniger Fokus des Romans, sind sein Großvater Friedrich und dessen Nazivergangenheit.

 

von GREGOR J. REHMER

Opa war kein Nazi: so der Titel einer bekannten Studie von Harald Welzer et al. (2002), in der aufgezeigt wird, dass viele Enkelkinder die Überzeugungen und Taten ihrer Großeltern während des Nationalsozialismus oft umdeuten und sich die Vergangenheit von Opa und Oma – trotz historischer Kenntnisse über die Zeit und die Verbrechen der Deutschen – gerne schönreden. Per Leo, Historiker und selbst Vertreter der Enkelgeneration, tut dies nicht. Ganz im Gegenteil: Basierend auf der eigenen Familiengeschichte, berichtet er in Flut und Boden über Opa Friedrich, den „Abteilungsleiter im Rasseamt des RuSHA-SS“, des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS, und gibt damit offen zu: Opa war ein Nazi!

Dabei stellt der Autor durch den Untertitel des Buches – „Roman einer Familie“ – gleich zwei Punkte klar: Einerseits geht es nicht nur um den Großvater, sondern um die gesamte Familie, von Uropa Heinrich bis zum Ich-Erzähler Per selbst, und somit um die Rekonstruktion eines genealogischen Zusammenhangs. Andererseits dürfen die LeserInnen nicht erwarten, dass ihnen nur Tatsachen geschildert werden, da in einem Roman Fiktionalisierung erwartet werden kann – wo diese stattfindet, bleibt jedoch offen.

„The Making of a Nazienkel“

Nach dem Tod des Großvaters fängt der Ich-Erzähler an, sich näher mit dessen Vergangenheit zu beschäftigen. Als Ausgangsquelle dienen ihm dabei nicht nur die Bücher und Schriftstücke des Opas, die im Regal stets verdeckt waren, sondern auch Dokumente und Akten über seinen Großvater aus verschiedenen Archiven. Per erkennt, dass Opa Friedrich „ein lupenreiner Nazi gewesen“ ist, der als Schulabbrecher und nach einer Lehre und verschiedenen Jobs schließlich bei der SS landete und sich dort in eine führende Funktion im Rasseamt hocharbeitete, wo er Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen hatte. Nur wegen fehlender Beweise blieb ihm nach dem Krieg eine Verurteilung erspart.

Neben Großvater Friedrich liegt der Fokus des Erzählers Per vor allem auf dessen Bruder Martin, der kein Nazi war, womöglich sogar von der Gestapo gefangen genommen, von seinem Bruder aus dem Gefängnis geholt wurde und nach dem Krieg in die DDR ging. Auch von Friedrichs Kindern, also Pers Vater sowie seinen Onkeln wird berichtet. Zu guter Letzt beschreibt Per Ausschnitte seines eigenen Lebens – das Verhältnis zu seinem Vater, Studium, Depression, Nachforschungen.

„Kopfsache“

Die Gegenüberstellung der Brüder Martin und Friedrich konzentriert sich insbesondere auf die väterliche Erziehung der beiden und das geistig-intellektuelle und religiöse Milieu, aus dem sie stammen, zum Teil auch auf ihre Wege nach dem Krieg. Geschickt werden damit zwei Ziele gleichzeitig erreicht: Zum einen wird ein Überblick über die Geistesgeschichte ab 1900 gegeben, bei dem dann z. B. auch die Themen Antisemitismus und deutsche Teilung angesprochen werden. Zum anderen verdeutlicht Leo, dass es keine Frage der Herkunft und nicht allein der Erziehung ist, ob jemand ein überzeugter Nazi wird, oder nicht. Hierdurch wird die fade Ausrede mancher Nazis – „man hatte ja keine Wahl“ – deutlich angeprangert.

Die Passagen, die sich den Kindern von Opa Friedrich widmen, thematisieren die Auswirkungen der Erziehung eines Nazis auf die zweite Generation sowie die verschiedenen Umgangsweisen dieser mit dem Erbe der Väter. Auch hier wird deutlich, dass gleiche Herkunft und Erziehung eben nicht immer die gleiche Reaktion hervorrufen. Denn während ein Sohn zum Kläger wird – wie schon aus der Väterliteratur bekannt –, nimmt der andere den Vater fast schon in Schutz.

Im Gegensatz zur Väterliteratur und ganz im Einklang mit weiteren Familienromanen der dritten Generation, wird in Per Leos Flut und Boden gerade nicht der totale Bruch mit der Tätergeneration behauptet, sondern es werden Entwicklungslinien aufgezeigt. Die Geisteshaltung, die zum Zweiten Weltkrieg – und somit auch zum Holocaust – geführt hat, geistert auch nach dem Krieg noch umher.

„Wenn das der Goethe wüsste!“

Anders als viele Familienromane der dritten Generation legt Leo jedoch nicht unbedingt Wert auf eine Handlung. Es sind die Einstellungen der Charaktere und die geistesgeschichtlichen Hintergründe, die ihn interessieren. Das macht das Buch zuweilen doch etwas zäh und fördert nicht gerade die Leselust. Auch der locker anmutende Stil des Autors und das Einstreuen von Gedicht- oder Song-Zitaten können hier keine Abhilfe leisten.

Mit seinem Debüt Flut und Boden legt Per Leo einen Generationenroman vor, der nicht nur über die eigene Familie berichtet, sondern auch Auskunft über ausgewählte Aspekte eines ganzen Jahrhunderts gibt. Dieser Überblick ist klug gemacht und dadurch beeindruckend. Leider bleibt die Lesefreundlichkeit dabei mitunter auf der Strecke. Der Roman zieht sich an vielen Stellen zu sehr in die Länge, mit dem Ergebnis, dass das Buch nach der Lektüre nicht unbedingt einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

 

Per Leo: Flut und Boden. Roman einer Familie
Klett-Cotta, 350 Seiten
Preis: 21,95 Euro
ISBN: 978-3-608-98017-2

 

 

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