Nora Gomringer hat mit ihrem Text Recherche in diesem Jahr den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen – und das vollkommen zu recht. Die knapp 18 Seiten erscheinen nun mit gut 150 zusätzlichen in einer Sammlung eher mehr als weniger überflüssiger Texte unter dem Titel Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren.
von ANNA KREWERTH
Künstler sind bekanntlich gerne spleenig, manchmal sind sie gerade deshalb künstlerisch begabt. Man verzeiht ihnen ihre Abstrusität, die gelegentlich mit einer gewissen Weltferne einhergeht, weil sie mit ihrem Schaffen bereichern. Diejenigen hingegen, die mit dieser Eigenheit kokettieren, sie zur Schau stellen und beständig betonen, ohne sie tatsächlich zu besitzen, langweilen schnell.
Öfter mal mehr über mich [Nora Gomringer]
Ein großer Fehler des Lesers ist es, zu denken, wenn er mehr über den Autor und den Kontext der Entstehung eines Werkes wüsste, wäre dies ein Zugewinn – zumeist verhält es sich nämlich genau anders herum. Wenn Nora Gomringer den Hintergrund der Genese ihrer Texte erläutert, verblassen diese zusehends und zurück bleibt eine fade Ahnung von Belanglosigkeit. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn die Autorin nach dem Selbstzitat ihres Auschwitz-Gedichtes Und es war ein Tag. Und der Tag neigte sich anlässlich einer Rede zum 60. Jubiläum des Verbandes der Literaturübersetzer die Weisheit kundtut: „Sie wissen ja, wer lesend ein Buch in Händen hält, der kann nicht gleichzeitig eine Waffe auf einen anderen richten“. Das schmerzt.
In den im vorliegenden Band veröffentlichten Prosastücken, die sich in die Kategorien „Texte“ und „Reden“ gliedern, zitiert die Lyrikerin gern sich selbst, aber auch andere Autoren und Künstler – was die qualitativ hochwertigsten Passagen ausmacht. Ansonsten, so könnte man resümieren, plaudert sie aus dem Nähkästchen. Die Zutaten hierbei sind: sie selbst, ihr gänzliches Künstlersein sowie ihr vermeintlich vollkommen selbstkritischer Umgang mit der eigenen Person:
„Meine [Nora Gomringers] Mutter berichtet, dass mein [Nora Gomringers] erstes Wort aus Goethes letztem Satz stammt: Licht“ – „Sie ließen es zu, dass ich [Nora Gomringer] mit meiner [Nora Gomringers] rudimentär ausgebildeten Singstimme in ihrem Arrangements ‚herumfuhrwerkte‘, ja sie beteuerten sogar, dass ihnen meine [Nora Gomringers] Stimme als weitere Farbe gut gefiele im Gefüge“ – „Ist die impertinente Person [Nora Gomringer] nicht Dichterin […]? Ist sie [Nora Gomringer] nicht eine, die sowieso viel zu viel spricht und das immer zu laut?, mögen Sie sich fragen und in allem recht haben und doch …“.
Diese „schmackigen“ Auszüge zu besagtem Themenspektrum zeigen: Wenn die Übersetzung Gomringers Werke ins mexikanische Spanisch sie (laut Eigenaussage!) zu einer „überheblichen, anstrengenden Person“ werden lässt, bestätigt sich dieser Eindruck beim vorliegenden Band bereits im Original. Die Frage bleibt: Warum hat Nora Gomringer, deren „Castellano“, offenbar so gut ist, diese Feinheit zu bemerken, ihre Texte nicht gleich selbst übersetzt? Es mag an ihrer omnipräsen[tier]ten Bescheidenheit liegen … oder doch daran, dass Übersetzer allesamt so „schöne Wesen unglaublicher Begabung“ sind.
Das Beste kommt zum Schluss
Der Bachmann-Preistext Recherche steht am Ende des Bandes, dessen prinzipiell geringer Umfang erst einmal bis zur Seite 151 bewältigt werden muss, bevor die Entlohnung für den übrigen Schmus, pardon: die prolixe Lokution, winkt. Nora Gomringer hat nämlich ein wahrhaft sprachschöpferisches, originelles und amüsantes Schreibtalent. Dies tritt jedoch erst zutage, wenn sie sich von sich selbst und ihrem Tun löst. In Recherche schlüpft sie in die Rolle ihrer Schriftstellerkollegin Nora Bossong und lässt ihr Banalitäten plapperndes Ich hinter sich. Und genau dadurch trifft sie den ernst-ironischen, lebensklugen und doch nicht belehrend-überheblichen Ton, der in allen anderen Texten im Gewand hohler Binsenweisheit und affektierter Künstlermanie verloren geht. Dass der Text das prämierte Ausstellungsstück eines von Kungelei durchzogenen Preisverleihungszeremoniells ist und der Literaturbetrieb die Kunst zum Gegenstand eines Nischenpublikums macht, ist nicht neu und tut dem literarischen Wert von Gomringers Text keinen Abbruch. Dass aus vermarktungsstrategischen Erwägungen heraus Texte abgedruckt werden, die Schopenhauer als „Myriade beschmutztes Papier“ bezeichnet hätte, ist hingegen höchst ärgerlich.
Das bunte Drumherum
Mit den Kotexten ist es so eine Sache. Ob man es will oder nicht, Texte, die man um andere Texte „herumliest“, beeinflussen die Lektüre beider wechselseitig. Im Falle Gomringer geschieht dies zum Vorteil des Textes Recherche und zum Nachteil aller anderen, obwohl diese für sich allein gelesen möglicherweise gleichwohl schwach blieben. Die Lyrikerin, die schon in ihrem Band Ich werde etwas mit der Sprache machen (2011) Glossen, Essays und Reden vereint und ihr künstlerisches Schaffen reflektiert, sollte sich möglicherweise noch einmal vor Augen führen, dass nicht alles, was gesagt wird (auch im Auftrag der Stadt Bamberg oder der Brose Baskets), gesagt werden muss oder sollte (etwa anlässlich einer Preisverleihung) oder schlicht gesagt werden will (im ganz eigenen Interesse), auch gedruckt werden muss. Und auch zuhören und lesen sind nicht dasselbe – ebenso wenig wie ihre jeweiligen Kontexte. Doch zurück zu den Kotexten, zu denen auch Werke gehören, die der Leser vor und nach der Lektüre eines Buches gelesen hat. Im vorliegenden Fall: Uli Hufens Studie über Blatnjak Das Regime und die Dandys (2010), Joachim Meyerhoffs Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (2015) und Heinz Strunks Junge rettet Freund aus Teich (2013). Zu Gomringers Unglück, so könnte man entschuldigend sagen, ist Hufens Begeisterung für die Kunstform des russischen Gaunerchansons unprätentiös und ansteckend, Meyerhoffs „Drittling“ berührend, amüsant und lebensnah und Strunks Sprache in ihrer schmucklosen Tragik so treffend wie es kaum jemand vermag. In dieser Nachbarschaft fällt es tatsächlich schwer zu bestehen.
Nora Gomringer: Ich bin doch nicht hier, um Sie zu amüsieren
Voland & Quist, 168 Seiten
Preis: 15,90 €
ISBN: 978-3863911157
Wenn hier etwas „schmerzt“, dann doch diese Rezension. Anna Krewerth hat insofern Recht, als das Buch – das gewiss der Verlag Voland & Quist mindestens so sehr ‚gewollt‘ hat wie die Autorin – zum Teil ein Plaudern aus dem Nähkästchen ist. Aber das macht Nora-Eugenie Gomringer immerhin gut; im Gegensatz zum Job, den hier die Rezensentin macht.
Dass auch von den Texten ausserhalb des Buchs nur „eine fade Ahnung von Belanglosigkeit“ bleibe, weil die Autorin „ein Banalitäten plapperndes Ich“ ist, DAS schmerzt wirklich.
Besonders kennntnisreich meint sich Frau Krewerth zu den Übersetzungsproblemen zu äußern. Ja, man kann auch ohne eine Sprache vollkommen zu beherrschen spüren, dass eine übersetzte Passage noch nicht ganz ‚stimmt‘. Und man kommt sich ziemlich überheblich und anstrengend vor, wenn man das dem Übersetzer kund tut. Von dieser im Buch geschilderten Erfahrung ist Frau Krewerth offenbar so weit entfernt, dass ich ihr die Berechtigung absprechen möchte zu bemerken: Nora Gomringer möge doch ihre Texte besser gleich selbst übersetzen.
Es ist sicher schwierig, als Autor(in) ein fremdes und negatives Votum zu den eigenen Texten nicht persönlich zu nehmen. Warum aber etwas mit einer Gegenattacke erwidern, das sich noch nicht einmal gegen die eigene Person richtet? Rezensionen sind keine Kriegserklärungen, sondern pointierte Beiträge zu einem möglichen Gespräch über Literatur. Man fährt besser damit, wenn man sie als quasi-sportliche Übung betrachtet in einer Arena, in der auch schon mal der Sand spritzen darf. Der Witz von Anna Krewerths Rezension mutiert in der Entgegnung jedenfalls leider zur ungehörigen Ehrabschneidung. Wer einer Rezensentin den Mund bzw. das Urteil verbieten will, kann über Sinn und Aufgabe von Literaturkritik auch gern noch einmal nachdenken.