Mit der Inszenierung von Alan Ayckbourns Familiengeschäfte verwandelt Regisseur Marius von Mayenburg das Schauspielhaus Bochum in eine Hochburg von Verrat, Intrigen und – Gelächter. Von Mayenburg präsentiert eine erfrischende Komödie, die mit einer gelungenen Prise Schauer à la David Lynch und Splatter à la Tarantino das Publikum bestens unterhält.
von ANNIKA MEYER
Etwas ist faul im Möbelhaus Ayres and Graces, das Jack von seinem teilweise senilen Schwiegervater Ken übernimmt. Dieser weiht seinen Nachfolger ein, dass ihre Möbelstücke ungelabelt exportiert, mit italienischem Markennamen versehen und zu höheren Preisen verkauft werden – doch wer steckt hinter dem Betrug? Jack durchforstet die Firma, in der fast seine gesamte Familie arbeitet und – wie sich später herausstellt – in die eigene Tasche zu wirtschaften scheint. Sein Versuch, aus Kens Lebenswerk doch noch ein ehrliches Unternehmen zu machen, droht allerdings zu scheitern an der neurotischen und gierigen Familie sowie am zwielichtigen Privatermittler Hough, der längst auf den Fall angesetzt wurde…
Ein wahres Feuerwerk an Situationskomik, Slapstick und Verbalattacken wird geboten, während sich Jack durch den Dschungel der Kleinkriminalität seiner Familie schlägt. Dabei beginnt das Stück so fulminant, dass das Tempo nicht stets gehalten werden kann, während Jack und dem Publikum alle Verwicklungen aufgedröselt werden und neue Probleme zutage treten. Langweilig wird es nie; dafür sorgt das Ensemble, das zwar – selbst für eine Komödie – häufig eine Spur zu überspitzt ein facettenreiches Personal auf die Bühne bringt, dieses aber mit hervorragendem Timing und viel Körperlichkeit präsentiert. Michael Schütz spielt das neue Firmenoberhaupt herrlich kernig, mit großem Körper- und Stimmeinsatz, aber auch wundervoll unsicher, wenn er nicht weiß, wie er mit seiner jüngsten, rebellierenden Tochter Sammy (in Kurt Cobain-Montur und mit festen Tritten: Juliane Fisch) umgehen soll. Damir Avdic überzeugt als sein plumper Schwiegersohn Roy, der für Ehefrau Tina (gar nicht so zimperlich, wie der erste Eindruck vermuten lässt: Friederike Becht) erst durch seine illegalen Machenschaften wieder interessant wird. Und Torsten Flassig präsentiert den Privatdetektiv Hough wunderbar schräg zwischen lüsternem Inspektor-Gadget-Verschnitt und Nylons tragendem Fetischisten (Kostüme: Miriam Marto), der keine Gelegenheit auslässt, sich an Jacks Frau Poppy (als solider Gegenpart zu ihrer überzeichneten Familie: Bettina Engelhardt) und an deren Töchter ranzumachen und großartig obszön Joghurt, Pfeffermühle und Fellteppich in Szene setzt.
Aus 1 mach 4 mach 1
Auch die Bühne von Nina Wetzel und Doreen Back trägt einen wichtigen Teil dazu bei, dass das Geschehen reibungslos abläuft. Zwei Stockwerke mit Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad stehen auf der Drehbühne und dienen im Laufe der Handlung gleichzeitig als Behausungen von Jack und Poppy, von Poppys Bruder Desmond (gespielt von Florian Lange, der als weinerlicher Hobbykoch gelungen auf den Geist geht) und seiner Frau Harriet (als jammernde und schrille Neurotikerin: Therese Dörr) und als Wohnstätten von Jacks Bruder Cliff (macht sowohl in Abendgarderobe als auch in Einbrecherkluft eine gute Figur: Heiko Raulin), seiner Frau Anita (lasziv und abgedroschen: Minna Wündrich) und indirekt auch ihren italienischen Liebhabern und Geschäftspartnern (allesamt abwechslungsreich verkörpert durch Daniel Stock) sowie von Ken (liebenswert verwirrt gespielt von Klaus Weiss) und Harriets Schwester Yvonne (undurchsichtig: Veronika Nickl), die sich nicht ganz uneigennützig um das Familienoberhaupt kümmert. Geschickt werden die Räume der verschiedenen Wohnstätten gleichzeitig bespielt, sodass die Szenenübergänge fast filmisch wirken. Zeitlupen und die Musik von Matthias Grübel, der sowohl mit Liedern der 1980er als auch mit elektronischen, oft düsteren Klängen die Vorgänge unterstreicht, unterstützen diesen Eindruck.
Das Bühnenbild wird nicht nur simultan, sondern auch grenzüberschreitend bespielt: Hin und wieder laufen Personen aneinander vorbei – schließlich sind sie nicht im gleichen Haus –, dann werden Wände durchschritten und Türen missachtet. Das Spiel mit dem Modellhaften, das Provozieren der Metaebene des Theaters bereitet Vergnügen, besonders wenn Torsten Flassig als Hough einige Grenzen überschreitet und damit selbst bei den auszuspionierenden Familienmitgliedern für Verwirrung sorgt. Dass das kriminelle Geschäft oft dort besprochen wird, wo andere ihre menschlichen Geschäfte verrichten, ist ein weiterer Gimmick, der sich dezent durch den Abend zieht.
Eine Komödie kommt selten allein
Nicht jeder Funke springt aufs Publikum über, mancher entfacht aber einen derartigen Lachbrand, dass das Wort auf der Bühne nur noch schwer zu verstehen ist. Die Vorlage Alan Ayckbourns, den man wohl als einen der produktivsten und erfolgreichsten Dramatiker der heutigen Zeit bezeichnen kann, wird in Bochum gekonnt umgesetzt. Trotz der angesprochenen Themen, die auch das derzeitige Weltgeschehen mitbestimmen – Eigenbereicherung, fehlende Moral und ein System, das geradezu darauf ausgelegt ist, umgangen zu werden–, verkommt die Komödie nie zu einem Lehrstück mit Zeigefingermoral; trotz düsterer, aber ästhetischer Bilder sinkt nie die Stimmung. Von Mayenburg und sein Regieteam schaffen es, Komödie einfach Komödie sein zu lassen und dennoch sanft zum Nachdenken anzuregen. Am Ende erlangt mit Jack auch das Publikum die Erkenntnis, dass nicht alles schwarz und weiß ist: Regeln sind dehnbar, aus einem wahren Moralritter kann vielleicht ein Don Vito Corleone entstehen. Doch solange die Familie zusammenhält, scheint ja alles im Reinen zu sein.
Informationen zur Inszenierung
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