Einen Stoff, aus dem man Träume und Märchen spinnen kann, verarbeitet Vesna Goldsworthy in ihrem neuen Roman. Gorsky erzählt von großer Schönheit, glänzenden Reichtümern und einer Liebe, die Paläste versetzen will. Aus diesen Zutaten werden seit Urzeiten Geschichten gewoben – und eine von ihnen hat diesen Roman besonders inspiriert.
Von KARIN BÜRGENER
Gläserne Türme spiegeln einander, hinter Mauern und Metalldetektoren sprudelt der Champagner und der Boden vibriert unter nimmermüden Baukränen. Es scheint, als hätte London nie eine Finanzkrise erlebt. In den noblen Vierteln Knightsbridge und Chelsea leistet man sich sogar den anachronistischen Luxus, hin und wieder ein gedrucktes Buch zu kaufen. Dies sichert den kargen Lebensunterhalt von Nikola Kimović, Verkäufer in Fynchs Bookshop. Der ehemalige Flüchtling aus Belgrad landete mehr aus Zufall und materieller Not in dem etwas verstaubten Buchladen, nachdem er feststellen musste, dass der Bedarf an promovierten Anglisten überschaubar ist.
Das unvorhergesehene Ereignis tritt in Form eines ominösen Oligarchen in Nikolas Leben. In direkter Nachbarschaft zu seiner Wohnung baut Roman Gorsky ein Stadtpalais gigantischen Ausmaßes nach seinen unbescheidenen Vorstellungen um. Dazu gehört auch die Einrichtung einer prächtigen Bibliothek, die Nikola mit signierten Erstausgaben, illustrierten Sonderdrucken und weiteren gedruckten Kostbarkeiten füllen soll. Neben seiner fürstlichen Entlohnung lernt Nikola bald auch weitere Annehmlichkeiten seiner neuen Beschäftigung kennen. Gorsky ist nicht nur bekannt für ausufernde Feste, er ist auch Besitzer mehrerer Limousinen samt Chauffeur, Privatjets und einer griechischen Insel. Großzügig lässt Gorsky seinen Bibliothekar an diesen Vorzüglichkeiten teilhaben. Woher der Reichtum eigentlich kommt, bleibt ungewiss. Nikolas kommt auch nur langsam dahinter, dass Gorsky diesen extravaganten wie exzessiven Lebensstil nicht nur aus purer Freude an der Prasserei pflegt, sondern als Balztanz betreibt. Beeindrucken möchte er damit seine St. Petersburger Jugendliebe, die ebenso schöne wie geheimnisvolle Natalia Summerscale, die dummerweise schon mit einem bonzenhaften Engländer verheiratet ist.
The Great Gorsky
Dieser Plot erinnert nicht nur schemenhaft an den Literaturklassiker The Great Gatsby von Francis Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1925. Zur Erinnerung: Darin versucht der Emporkömmling Jay Gatsby seine frühere Liebschaft Daisy mit neureicher Attitüde, architektonischen Extravaganzen und rauschenden Festen für sich zu gewinnen. Ihr rüpelhafter Gatte Tom weiß dies jedoch zu verhindern, was unvermeidlich tragisch endet. Erzählt wird diese amour fou von einem zufälligen, fast unbeteiligten Beobachter: Der frisch nach Long Island gezogene Nick Carraway schildert das Geschehen aus neutraler, nahezu kühler Perspektive. Betroffenheit, moralische Bedenken oder gar Urteile muss der Leser ganz allein hinzudichten. Genauso verhält es sich in Goldworthys Text. Dass man schon ahnt, wie die Geschichte ausgehen könnte, lässt den Spannungsbogen nicht etwa brechen, denn die Autorin orientiert sich nicht haargenau an der Gatsby-Vorlage. So tauchen bei ihr einige illustre Figuren auf – eine promiskuitive Ex-Turnerin, ein als Steuerberater getarnter Kokaindealer –, die die Handlung nicht unwesentlich beeinflussen und den Ausgang bis zum Schluss offenhalten. Zudem sorgt der elegante, pointierte Stil für einen Lesefluss, den man nur ungern unterbricht.
Gorsky ist mehr als die geschickte Adaption eines Klassikers. Der Roman transferiert die Handlung nicht nur aus der frühkapitalistischen Hemisphäre der US-amerikanischen Ostküste in die heutige Finanzmetropole London, er transformiert das Geschehen zudem in eine Liebesgeschichte, die die Affäre zwischen Gatsby und Daisy zwar nicht an Dramatik, dafür aber an Tragik um Einiges überbietet. Dies ist vor allem der Figur der Natalia Summerscale zuzuschreiben, die im Gegensatz zu ihrem literarischen Vorbild durchaus selbstbestimmt zu agieren weiß, und anders als die etwas alberne Daisy alles andere als naiv ist. Aber manchmal reichen eben weder Courage, blendende Schönheit, die größte Liebe oder auch unvorstellbare Reichtümer, um das flüchtige Ding namens Glück länger als ein paar Augenblicke festzuhalten.
Lieblingszitat:
„Vergessen Sie die Moslems. Wenn die sich in die Luft jagen, denken sie an zweiundsiebzig jungfräuliche Muschis. Die Russen sind gefährlicher. Die kämpfen und denken an nichts.“ (S. 39)