Karen Duves Endzeitroman Macht zeigt Deutschland in der Hand von Staatsfeminismus und toxischen Vorstellungen von Männlichkeit. Ein scheinbarer Gegensatz, aber vor allem eine konsequente Weiterentwicklung ihrer Philosophie.
von NINA BLÄSIUS
Wunderpillen, die wieder jung und schön machen – und Krebs erregen. Frauen, die das Land regieren – und versuchen, den Zeitpunkt des Weltuntergangs noch ein wenig nach hinten zu verschieben. Nichts bleibt ohne Konsequenzen und ob die Menschheit überhaupt noch zu retten ist, bleibt auch nach der Lektüre von Karen Duves Macht unklar. Ihr neuer Roman zeichnet ein düsteres Bild unserer Zukunft, Deutschland im Jahr 2031, und eigentlich ist hier niemand mehr Sympathieträger.
„[…] je bedenkenloser man andere benachteiligt, desto schöner ist das Leben“
Karen Duve begann schon 2011 in ihrem Selbstversuch Anständig essen, sich mit den Folgen von Fleischkonsum, Massentierhaltung und den daran gekoppelten gesellschaftlichen Verdrängungsprozessen auseinander zu setzen. Es folgte 2014 ihr Essay Warum die Sache schiefgeht: Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen, der ihre persönlichen Erlebnisse mit Fakten und Statistiken unterfütterte und zeigte, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Andernfalls bringen wir uns um Klima, Leben und den letzten Rest Menschlichkeit, den wir vielleicht noch haben. Macht ist nun die direkte Übersetzung dieses Essays in die Fiktion. Es ist ein Appell, ein zynischer Spiegel, den Duve uns da vorhält.
Der Protagonist Sebastian Bürger (ein wenig subtiler sprechender Name) ist ein gewalttätiger Soziopath, der zwar immer wieder all die richtigen, politisch korrekten Dinge sagt – dann aber genau das Gegenteil tut. Er weiß, dass Fleischkonsum den Planeten ins Verderben stürzt, aber da die Apokalypse jetzt sowieso vor der Tür steht, will er wenigstens den gleichen Spaß haben wie all die anderen. Er weiß zwar, dass es nicht richtig ist, seine Ehefrau in den „Prepper Raum“ im Keller zu sperren, trotzdem tut er es. Sein biologisches Alter beträgt schon über siebzig, aber mit der Verjüngungspille Ephebos putscht er sich im Laufe des Romans auf jugendliche Zwanzig herunter – auch wenn er weiß, dass sein Körper Konsequenzen davontragen wird. Sein Frauenbild ist so veraltet, wie sein Körper es biologisch sein müsste: Heilige oder Hure, Zwischenstufen gibt es für ihn nicht. Als ihm seine Jugendliebe vorwirft, er habe doch damals auch für Feminismus und Gleichberechtigung demonstriert, gibt er zu, dass er das nur getan habe, weil es von ihm erwartet wurde. Bürgers überkommene Vorstellungen von Frauen, Machtverhältnissen und Männlichkeit zeigen sich auch in seinen vielen expliziten Sexszenen: Der Großteil ist mit sexueller und emotionaler Gewalt verbunden.
Das Private ist politisch
Der Vergleich mit Houellebecqs Unterwerfung liegt nahe, denn die beiden Romane teilen nicht nur unsympathische Hauptfiguren und toxische Geschlechterrollen. Aber während Houellebecq sich auf die religiösen und politischen Entwicklungen konzentriert, ist Duves Zukunftsversion eher sozio-kulturell. Sie konzentriert sich auf den Mikrokosmos der Figur Sebastian Bürger und beginnt mit der Kritik im Privaten, ihre Themen sind vor allem Geschlechterkampf, Vegetarismus, Tierquälerei (das Finale ist ein buchstäbliches Schlachtfest) und die Idiotie derjenigen, die sich ewig unverstanden fühlen. Aber sie streift auch Themen wie Religion, wobei sie sich eher auf christliche Splittergruppen konzentriert als auf den Islam, Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Mischung aus all diesen Themen wirkt dabei oft etwas unausgegoren, ein stärkere thematische Stringenz hätte dem Text gut getan.
Nichtsdestotrotz gibt es viele entdeckenswerte Details in diesem Buch: Es gibt nur noch die Unterscheidung zwischen weiblicher und männlicher Bundeskanzlerin, der Erwerb von umweltschädigenden Gütern wie Fleisch und Flugtickets wird über CO2-Punkte geregelt und das Lieblingsspielzeug von Bürgers Tochter ist ein regenbogenfarbenes Einhorn-Hologramm. Diese Spielereien und das killerrapsgelbe Cover können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Duves Weltbild hier eindeutig in den Zynismus gekippt ist.
Die richtigen Fragen
Wenn die Bösen die guten Sachen sagen, wem kann man dann noch glauben? Und wieviel Demokratie vertragen wir eigentlich? Sollte man seine Ideale verraten, nur weil der Rest der Welt keine mehr hat? Duve gibt keine Antworten, aber sie stellt die richtigen Fragen. Wer das „reaktionär“ (Süddeutsche Zeitung vom 18. Februar 2016) findet, hat da offensichtlich etwas nicht verstanden. Macht ist vielleicht kein revolutionärer, aber ein lesenswerter Roman!
Karen Duve: Macht.
Galiani-Berlin
416 Seiten
21,99 €
ISBN: 978-3-86971-008-2