Erwachsen werden mit Florian Berg

COVER_Marklein_Florian Berg ist sterblich_BlumenbarWenn ein phänomenaler Janko Marklein als Chronist die Abgründe der westdeutschen Jugend nachzeichnet, wird deutlich, dass diese, genau wie der Protagonist in seinem Debüt Florian Berg ist sterblich, voller Widersprüche ist. Die westdeutsche Jugend scheint keine Probleme zu haben, aber davon sehr viele!

von VERENA SCHÄTZLER

Florian Berg macht es dem Leser nicht leicht. Frauen, die sich in ihn verlieben, behandelt er herablassend, wie im Fall von Line, der er bis ins kleinste Detail beschreibt, was er alles an ihr abstoßend findet, oder er wendet körperliche Gewalt an, wie bei Isa, als sie das erste Mal mit ihm schlafen will. Verliebt er sich selbst und wird abgewiesen, wie im Fall von Anna, nimmt er das emotionslos hin.
Er will mitreden, ist aber nur ein Mitläufer, der nicht in der Lage ist, seine eigene Meinung kund-zutun. So beteiligt er sich an Streikaktivitäten an seiner Universität, hat aber im Grunde keine Ahnung, worum es überhaupt geht, „vermutlich [um] irgendwas mit Studiengebühren“.

Florian Berg ist menschlich

Zu Beginn der Lektüre steht Florian Berg noch am Anfang des Studiums. Er begegnet Line, die für seinen Geschmack zu anhänglich, aber gut vernetzt ist und ihm daher helfen darf, seine Kurse zu belegen. Er selbst ist eher an seiner Tutorin interessiert, die im Gegensatz zu ihm sehr genau weiß, was sie will. Und mit Florian einen Kaffee trinken zu gehen, gehört erst mal nicht zu diesen Dingen. Auch im weiteren Verlauf kann sie sich keine Beziehung mit ihm vorstellen, es reicht ihr, „wenn wir uns alle paar Wochen auf ein Stück Marmorkuchen treffen“.

Florian steckt immer noch in den Fängen des Erwachsenwerdens. Wie viele Jugendliche und junge Erwachsene weiß er zwar nicht, was er mit seinem Leben anfangen möchte, dafür meint er aber alles besser wissen zu müssen. Als erwachsener Leser möchte man ihn manchmal schütteln und ihm sagen, er solle sich nicht so anstellen. Er ist Klassenbester, kommt aus einem nicht immer perfekten, aber liebevollen Elternhaus, hat eigentlich alles, was er sich wünschen könnte, steht sich selbst dennoch im Weg und zerbricht sich den Kopf über Probleme, die keine sind. Jugendliche sehen sich während der Pubertät selbst oft als unverwundbar an, und so ist für ihn zu Beginn des Studiums seine Sterblichkeit erst einmal nur eine abstrakte, logische Schlussfolgerung. Während der ersten Sitzung des Seminars Logik und Wissenschaftstheorie illustriert Tutorin Anna dann auch: „Aus den beiden Sätzen: ‚Alle Menschen sind sterblich‘ und ‚Florian Berg ist ein Mensch‘ folge logisch ‚Florian Berg ist sterblich‘“. Diese Schlussfolgerung macht deutlich, dass Florian in erster Linie ,menschlich‘ ist. Jeder Mensch hat diese Entwicklung durchmachen müssen.

Erwachsenwerden ist nicht einfach, darüber zu lesen auch nicht

Marklein erzählt nicht nur von Florians Gegenwart, sondern auch von dessen Vergangenheit. Kapitelweise wechseln sich Ereignisse aus Florians Studentenleben, das 2010 in Leipzig beginnt, mit Ereignissen aus seiner Schulzeit ab, die eine Woche nach seinem 13. Geburtstag anfangen und vier Jahre später enden. So lernt der Leser Florian immer etwas besser zu verstehen und findet heraus, aus welchen Verhältnissen er stammt.
Der Schreibstil Markleins ist dabei schnörkellos, emotionslos und bemüht politisch-korrekt. Immer wieder stolpert der Leser während der Lektüre über das Binnen-I. Ein Umstand, der zum Schluss noch auf die Spitze getrieben wird, als in Florians Jugendgruppe der Vorschlag gemacht wird, das bis dato durchgehend geschlechtsneutral verwendete ‚man‘ in der Parole „Wir sind hier / wir sind laut / weil man uns die Bildung klaut“ durch ‚mensch‘ zu ersetzen.
Des Weiteren stehen große Ereignisse gleichberechtigt neben eher unwichtigen Details. So nimmt das Verschwinden eines Jungen aus der Gegend für Florian den gleichen Stellenwert ein wie seine Begeisterung für die Harry Potter-Romane. Diese ungewöhnliche Juxtaposition und andere Stilmerkmale verdeutlichen Florians Entwicklungsstand. Jugendliche haben während der Pubertät und der anschließenden Adoleszenz-Zeit auch nicht immer Zugang zu ihren Gefühlen und wissen ihre Erfahrungen nicht immer richtig einzuordnen. Sie versuchen Dinge richtig zu machen, schießen dabei aber öfter über das Ziel hinaus. Auch wenn im Verlauf seines Studiums immer mehr philosophische Bücher einen größeren Einfluss auf Florian erlangen, behält die Harry Potter-Reihe, und damit eine Verbindung zur Kindheit, weiterhin ihre Vorrangstellung in seinem Leben.

Florian Berg ist sterblich ist kein einfaches Buch, das man so ‚nebenher‘ lesen kann. Der schwierige Charakter Florians zusammen mit dem unpersönlichen Schreibstil Markleins macht es dem Leser nicht immer leicht. Das offene Ende kommt dann sehr plötzlich, was aber nicht anders zu erwarten ist. Auch das Erwachsenwerden hat keinen richtigen Endpunkt, sondern ist ein fortschreitender Prozess. Florian hat also noch einiges vor sich. Auch wenn die Lektüre nicht reibungslos vonstattengeht, erkennt sich der Leser selbst in einigen Dingen wieder, sobald er sich an seine Adoleszenz-Zeit erinnert.

 

Janko Marklein: Florian Berg ist sterblich
Blumenbar, 336 Seiten
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-351-05022-1

2 Gedanken zu „Erwachsen werden mit Florian Berg

  1. Also nach dieser Kritik weiß ich nicht, was, ich denken soll. Eine eigenartige Hauptfigur von der man schon vorher das Gefühl hat: über so ein Arschloch will ich doch kein Buch lesen. So wie der offensichtlich Frauen behandelt gehört er dringend in die sozialpsychologische Beratung, die jede Universität oder das jeweilige Studentenwerk anbietet. Also ich fühle mich nicht dazu ermutigt, dieses Buch zu lesen.

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