Marcel Ruijters versucht in seiner gleichnamigen Graphic Novel, das Leben Hieronymus Boschs möglichst vollständig darzustellen. Das gelingt für Boschs Umwelt – das Besondere und Fantastische seines Werks unterschlägt Ruijters jedoch.
von CAROLIN KALINOWSKI
Man kann lange Zeit staunend damit zubringen, die detailreichen und fantastischen Werke Hieronymus Boschs zu betrachten und immer neue Absurditäten zu entdecken: „Hey Mann, hat der Typ da ‘nen Blumenstrauß im Arsch?“ – Hat er.
Hieronymus Bosch hieß eigentlich Jeroen van Aken. Der biografische Comic von Marcel Ruijters vollzieht dessen Leben nach, das sich hauptsächlich innerhalb seiner Geburtsstadt ‘s-Hertogenbosch abgespielt haben muss. Dazwischen erzählt Ruijters, wie er im Rahmen der Leipziger Buchmesse verlauten ließ, was alles hätte passieren können.
Befüllung von Leerstellen
Der Comic zeigt das Leben in der familiären Werkstatt und in der Stadt sowie Boschs Umgang mit verschiedenen Gesellschaftsschichten. Auch die Beziehung zu seiner Frau wird umrissen.
Ruijters erzählt anhand bekannter Eckdaten ein mögliches Leben des Künstlers Bosch.
Leider ist er beim Füllen der großen Leerstellen nicht so mutig, einzelne Punkte spannend und detailreich auszuschmücken. Stattdessen schneidet Ruijters zugunsten der Vollständigkeit die Elemente der Erzählung lediglich an. Das gilt auch für die Charaktere: Für Wortgefechte und Kabbeleien der Figuren ist zwar Platz, sie können ihre Wirkung aber kaum entfalten, weil sie charakterlich bloß umrissen werden. Ebenfalls zugunsten der Vollständigkeit könnten die etlichen Rückblenden sein, die in die skizzierten Szenen eingebunden sind. Alles in allem mag kein Lesefluss entstehen.
Ruijters hetzt durch alles hindurch, statt mit Mut zur sowieso vorhandenen Lücke Raum für Details zu geben. Was dabei am Ende entsteht, ist eine gute Darstellung der Arbeit eines Kunsthandwerkers im Europa des späten 15. Jahrhunderts, Bosch selbst ist aber austauschbar.
Bei all der Hinterhältigkeit, dem Gestank und der Grausamkeit der Mitmenschen Boschs fehlt in Ruijtersʼ Comic aber der Blick des letzteren für die Körperlichkeit der Menschen, wie sie in Boschs berühmtem Garten der Lüste zu sehen ist. Dieses Bild ist mit seinem hedonistisch anmutenden Mittelteil nicht ausschließlich mit einem erhobenen Zeigefinger erklärbar. Der lustbetonte Interpretationsansatz Boschs fehlt im Comic aber ebenso wie ein Eingehen auf die vielen fantastischen Elemente des Werkes. Das spiegelt Ruijtersʼ Sicht auf Boschs Werk wider, das „nicht so träumerisch, wie wir denken“ sei.
Nicht nur in Bezug auf die Figuren als Personen, sondern auch hinsichtlich des künstlerischen Werks Boschs unterschlägt Ruijters das Besondere und lässt den Maler auch als Kunsthandwerker „austauschbar“ zurück.
Zu groß gedacht
Was Ruijters nachvollziehbar machen kann, ist Boschs Blick für menschliche Abgründe, und zwar mehrfach und in verschiedenen Formen: Bettler, Diebe, Henker, Grausamkeit und Gewalt sind in Boschs Umwelt allgegenwärtig, wenn der Leser ihn auf seinen Gängen durch die Stadt begleitet. Die Menschen ergötzen sich an Hinrichtungen und grausamen Spielen: In der Eingangsszene wird etwa Saufangen veranstaltet, ein Spiel, bei dem Blinde mit Knüppeln versuchen, ein Schwein zu erschlagen. Wer das schafft, darf es behalten und essen. Die Dorfgemeinschaft befeuert die Szene mit Gebrüll und Gelächter. Die vielen in die Ecken der Stadt pinkelnden Menschen sowie die zahlreichen aus den Fenstern gekippten Nachttöpfe dienen als Beispiel dafür, wie Ruijters es schafft, auch den Geruch einer Stadt des späten 15. Jahrhunderts inklusive des Ekelpotenzials für den Menschen des 21. Jahrhunderts nachfühlbar zu machen.
Ruijtersʼ Stil ist sehr bunt, aber deutlich plakativer als Boschs. In der Totalen funktioniert das gut: Die Stimmung von Henkersszenen, Tumulten und dem großen Stadtbrand kann der Comic transportieren. Einzelne Figuren sind jedoch stellenweise nur schwer auseinanderzuhalten oder mimisch zu interpretieren. Auch ein ergänzender Erzähler fehlt an manchen Stellen. Die Handlung der Figuren bleibt unkommentiert.
Am Ende des Comics befindet sich als Ergänzung ein Anhang mit Erläuterungen zu Eckdaten, Personen und sowie ein Abdruck von Bildern Boschs, u. a. das Triptychon Garten der Lüste.
Ruijters gibt einen guten Überblick, er nutzt den vorhanden Platz aber nicht für Feinheiten und Details. Hier sei deshalb auf Willi Blöß verwiesen. Er hat schon 2006 das, was Ruijters leistet, auf 24 Seiten im A6-Format – wenn auch kurz und knapp – weitaus lesenswerter bearbeitet.
Marcel Ruijters: Hieronymus Bosch
Avant-Verlag, 159 Seiten
Preis: 24,95 €
ISBN: 978-3-945034-36-1
Die Zitate beziehen sich auf: http://www.lvz.de/Kultur/News/Marcel-Ruijters-widmet-Hieronymus-Bosch-eine-detailverliebte-Graphic-Novel