„Abhauen gibt’s nicht. Wär schön. Aber geht nicht.“

Adolf Winkelmann: Junges Licht // Quelle: Weltkino

 

Der Dortmunder Adolf Winkelmann hat mit Ralf Rothmanns Junges Licht einen der eindringlichsten Ruhrgebiets-Romane verfilmt. Der Film über eine Kindheit im Ruhrgebiet der Sechziger will sehr viel. Hier und da nervt er auch. Aber in der Erinnerung wird er immer besser.

von FABIAN MAY

„Noch bist du frei“, sagt der Bergmann (Charly Hübner) zum Sohn Julian (Oscar Brose), bevor das Stahlwerk vorm Balkon sie beide und die Reste ihres Frühstücks in eine schwarze Staubwolke hüllt. „Du kannst alles werden. Du kannst Bergmann werden, Stahlarbeiter oder Koker.“

In der Zechenarbeiter-Welt, in der die Filmfigur Julian aufwächst, ist das kein Widerspruch. So ist das, als der Bergbau noch die Zukunft ist. Es ist eine derbe Zeit, bestehend hautpsächlich aus Arbeit, Rauchen, Bier, Prügeln und sexuellen Anspielungen. „Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir nichts passieren, nie“, sagt Marusha (Greta Sophie Schmidt), die notorisch gelangweilte Vermieterstochter, die sich gewohnheitsmäßig vor offenem Fenster umzieht. Für Julian, der später einen halbherzigen Ausbruch versuchen wird, klingt das aus ihrem Mund eher bedrohlich.

„Woher weiß der Rothmann, was in meiner Kindheit losgewesen ist?“

Viele Erzähler von hier haben sich diesen Ruhrgebietskindheiten der Sechziger gewidmet, als die Welt vom Zechenwäldchen, wo die Jugendbande Hunde anzuzünden versucht, bis zum Kohlenkeller reichte, wo einem der pädophile Vermieter (Peter Lohmeyer) auflauert. Aber kaum jemand veranschaulicht so gut, was das mit einem feinfühligen Zwölfjährigen macht, wie der in Oberhausen aufgewachsene Autor Ralf Rothmann (62). Die Feuilleton-Bezeichung als einer der „feinnervigsten“ Autoren seiner Generation erwarb er sich mit Coming-of-Age-Romanen wie Julians Geschichte Junges Licht (2004):

Die Mutter (Lina Beckmann) qualmt gegen die Überforderung oder schlägt Julian den Kochlöffel auf dem Hintern kaputt. Der Vater, mit dem er die Sommerferien über allein ist, liebt ihn, ist aber nicht so gut darin, Gefühle zu zeigen. Der größte Zuneigungsbeweis ist noch, wenn er dem ausgebüxten Julian sagt: „Abhauen gibt’s nicht. Wär schön. Aber geht nicht.“ Und ihn auf dem Gepäckträger mit nach Hause nimmt.

Der Dortmunder Filmemacher Adolf Winkelmann (69) erzählt, er habe das Buch gelesen und gedacht: „Woher weiß der Rothmann, was in meiner Kindheit losgewesen ist?“ Genauso unwohl habe er sich inmitten der Grob- und Plattheiten seines Umfelds gefühlt. Die Klischeehaftigkeit, an der dieser Film oft vorbeischrappt, ist als Abstoßungspunkt also einkalkuliert.

Ein slow burner: Wird in der Erinnerung immer besser

Umso befreiender wirken Julians Fluchten. Mit dem sensiblen Protagonisten erforscht das Kamera-Auge (David Slama) die elegisch gefilmten Randbereiche der Zechensiedlung. Man sieht, wie Julian verträumt durch diesen heißen Sommer wandelt und misstrauisch sein letztes bisschen Kindheit gegen die derben und bedrohlichen Gestalten zu behaupten sucht. Die Fotos, die er mit der Kamera des Vermieters macht, wird er nie entwickeln lassen.

Einfach auf einen Nenner zu bringen ist dieses Seh-Erlebnis, das hier und da unvermittelt ins Schwarzweiß wechselt, nicht. Es ist vor allem eigen und will mitunter zu viel. Aufgepfropft wirkt zum Beispiel das durchgehend zu hörende Thema (Tommy Finke) des Soundtracks. Zwar transportiert es mit Gitarre und Melodica gut jene Bescheidenheit der Mittel, die man im Ruhrgebiet so hochhält. Doch wenn dann die pathetischen Bläser die ausfahrenden Kumpel zu Helden der Arbeit vergolden, ist das nur ein zwangsironischer Kommentar eines Nachgeborenen, der die Illusion stört.

Ansonsten erweist sich der Film in vielen liebevollen Details als slow burner. Will heißen: Je länger das Schauen zurückliegt, desto besser wird er in der Erinnerung. Ganz so wie die Kindheit, die er erzählt.

Junges Licht (2016). Regie: Adolf Winkelmann. Drehbuch: Nils und Till Beckmann, Adolf Winkelmann. Darsteller: Charly Hübner, Oscar Brose, Lina Beckmann, Peter Lohmeyer, Greta Sophie Schmidt, Nina Petri. Laufzeit: 124 Minuten. Seit dem 12.5. im Kino.

 

 

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