Zwischen Wahrheit und Übermacht

Ibsens "Ein Volksfeind" am Schauspiel Köln Foto: Thomas Aurin

Ibsens “Ein Volksfeind” am Schauspiel Köln Foto: Thomas Aurin

Der Schweizer Roger Vontobel ist Hausregisseur in Bochum. Nun widmet er sich nach Hedda Gabler am dortigen Schauspielhaus abermals Ibsen und bringt den vernachlässigten Volksfeind auf die Bühne des Schauspiels Köln. Trotz zeitlosem Plot und glanzvollen Schauspielern verharrt der Abend leider viel zu oft in bezuglosen Brechungen und lässt dramatisches Dynamit verpuffen.

von HELGE KREISKÖTHER

Henrik Ibsens Volksfeind (En folkefjende) wurde im Frühjahr 1883 in Oslo uraufgeführt und vier Jahre später erstmalig in Deutschland gegeben. Der norwegische Dramatiker reagierte mit dem Werk auf die harsche Kritik an seinen ein Jahr zuvor entstandenen Gespenstern. Worum geht es jedoch in diesem Stück, das weder mit dem faustischen Peer Gynt noch mit der emanzipationsbemühten Hedda Gabler etwas gemein zu haben scheint?

In einer südnorwegischen Küstenstadt – im Grunde könnte es auch jeder andere mittelgroße Ort in Europa sein – arriviert der Kurarzt Tomas Stockmann. Er ist der jüngere Bruder des amtierenden Bürgermeisters Peter Stockmann und bei Presse wie Bevölkerung gleichermaßen beliebt. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als er eines Tages die Verseuchung des örtlichen Kurbades entdeckt, das der Gemeinde eigentlich eine goldene Zukunft bescheren sollte. Zwar müsste man ihm dankbar sein, ihn feiern – das Gegenteil ist aber der Fall. Sein Bruder intrigiert aus Finanz- und Prestigegründen solange gegen ihn, bis sich das ganze Dorf, einschließlich des besten Freundes und Volksboten-Chefredakteurs, von ihm abwendet. Selbst seine Familie samt den drei Kindern (in Köln nur zwei Söhne) vermag sich nicht mehr länger vor regelrechten Steinigungen zu schützen. Stockmann bleibt dennoch unbeirrt stur. Obwohl sich Ibsen selbst mit der aufklärerischen Rolle seines Protagonisten identifizierte, nahm er gleichwohl Distanz zu dessen Halsstarrigkeit und Größenwahn.

Vontobels Metier

Abgesehen von Shakespeare und Gerhart Hauptmann ist Ibsen zweifellos seit einigen Jahren Vontobels „Spezialgebiet“. Mit seiner exzessiven Bochumer Hedda Gabler schoss er einigen jedoch zu weit übers Ziel hinaus – Nachtkritik bewertete die Inszenierung gar als „mittelmäßig, unbeherzt, aufgemotzt“. Womöglich deshalb kommt der Volksfeind nun wesentlich karger und leider auch einfallsloser daher.

Als die Zuschauer den Saal betreten, herrscht bereits Sommerfest-Stimmung unter Doktor Stockmann (Vontobels Dauerbegleiter Paul Herwig) und seiner Familie. Auch der scheinbar beste Freund des Hauses Hovstad (Robert Dölle) ist anwesend und hilft, Bratwürste und frisch gezapftes Kölsch im Publikum zu verteilen. Ein unkonventioneller Einstieg, der zweifellos eine interessante Metaebene schafft, mit Dancing Queen-Karaoke, Breakdance-Einlagen usw. aber unnötig ausgedehnt wird und letztlich vollkommen bezuglos bleibt. Jedem anderen Stück, egal welcher Epoche, hätte man diesen „Prolog“ voranstellen können. Ein(e) Bühne(nbild) gibt es in der Inszenierung fortan ebenso wenig wie sonderliche Kostüme (gleichwohl dafür zuständig: Claudia Rohner und Tina Kloempken). Vielmehr agieren die Schauspieler zwischen dem normalen „Parkett“ im Depot 1 und zwei kleineren, zusätzlichen Zuschauerblöcken. Angesichts von Ibsens ausufernd detaillierten Regieanweisungen gibt es manchmal wahrscheinlich keine andere (Los-)Lösung.

Wie der Held zum Sündenbock wird

Am ehesten wäre noch Stockmanns gänzlich weiße Einkleidung symbolisch interpretierbar: Er vertritt unentwegt die reine, unbefleckte Wahrheit und wird nur von der Gesellschaft, nie von seinen eigenen Schwachheiten „beschmutzt“. Was der Einstieg wiederum vermittelt, ist, zu zeigen, wie beliebt und volksnah die Hauptfigur zu Beginn noch ist. Paul Herwig spiegelt dies mit euphorischer Naivität ebenso glanzvoll wider wie seine schlussendlich wahnsinnige Besessenheit, die Ibsens Volksfeind gewissermaßen zum Leidensgenossen von Macbeth werden lässt: Beide fantasieren sich so lang in ihre unerschütterliche Machtposition, bis sie selbstverschuldet stürzen. „Und wenn die ganze Welt in Stücke fällt, ich krieche nicht zu Kreuze!“, heißt es einmal (Dramaturgie: Thomas Laue). Auch Jörg Ratjen in der Rolle des windbeuteligen Buchdruckers Aslaksen und Katharina Schmalenberg als Stockmanns offenherzige Frau Kathrine überzeugen in der Kölner Version durchweg; der charismatische Robert Dölle sowieso. Mehr noch gebührt jedoch der bewährten Schauspielergröße Bruno Cathomas Beifall für seine brillante Ausgestaltung des armselig-selbstsüchtigen Peter Stockmann.

Ibsens "Ein Volksfeind" am Schauspiel Köln Foto: Thomas Aurin

Ibsens “Ein Volksfeind” am Schauspiel Köln Foto: Thomas Aurin

Kein Vergleich zu Richard III.

Was dem Spannungsverlauf der Inszenierung schadet – und bei Ibsen mit seinen „Showdowns“ muss ein solcher nun mal zu erwarten bleiben –, sind die kontinuierlichen Brechungen mit der Spielebene. Abgesehen von der hinreichend kommentierten Eingangssequenz gibt es noch einige weitere Momente, in denen mit ausdrücklichen „breaks“ versucht wird, das Publikum möglichst dicht bzw. real am Geschehen teilhaben zu lassen. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Obwohl es durchaus „erfrischt“, wenn sich Cathomas, Dölle, Ratjen und Thomas Brandt regelmäßig ins Publikum setzen, erschiene mehr Stück und weniger Kommentar zum Stück oftmals sinnvoller. Auch rein technische Elemente stören die dramaturgische Entwicklung. Nach Umschwenken der Handlung, d. h. nach dem Seitenwechsel von Stockmanns Freunden, hält dieser eine Rede gegen seinen Bruder und die ganze verkommene, liberale Gesellschaft. Herwig ist auch hier auf ansteckend hitziger Richard III.-Temperatur, indem er z. B. seinen Bruder herablassend nachäfft. Wenn er während seines Redeflusses jedoch zurücklaufen, sein Schlagzeug hervorschieben, daran Position finden, sich seine Ohrstöpsel reinstecken und seinen nächsten Solo-Einsatz erst einmal abwarten muss, geht für den Zuschauer aber regelrecht „die Luft raus“. Im Bochumer Richard III. fiel dies zumindest weniger auf.

Mit diesem Abend gelingt es Vontobel bedauerlicherweise nicht, einen mit anderen Produktionen vergleichbaren Sog zu erzeugen. Zuweilen entsteht eher die Atmossphäre einer packenden Live-Debatte denn eines mitreißenden Theaterabends. Empfehlenswert ist die Inszenierung also allenfalls aus Repertoire- und Ensemblegründen.

 

Informationen zur Inszenierung

 

Nächste Vorstellungen:
Sonntag, der 22. Mai
Samstag, der 28. Mai
Mittwoch, der 8. Juni

 

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