Fritz Katers neues Stück Love You, Dragonfly wird von Alice Buddeberg für das Theater Bonn inszeniert und entfaltet in sechs Parallelgeschichten eine bildstarke, poetische Sprache, bleibt jedoch in überkommenen Erzählmustern verhaftet.
von NINA BLÄSIUS
Fritz Kater, hinter dem eigentlich der Theaterregisseur Armin Petras steckt, hat für das Theater Bonn ein Stück geschrieben, das in insgesamt sechs motivisch lose verbundenen Schlaglichtern durch die Geschichte der letzten 80 Jahre die Bruchstellen des Lebens behandelt. All die Probleme und deren Lösungen, wie es die Figur des amerikanischen Studenten auf seinem verschlungenen Weg zum American Dream schildert. „6 Versuche zur Sprache des Glaubens“ ist der Untertitel des Stückes und die verschiedenen Spielarten des Glaubens – an sich selbst, an Systeme, an Gott – sind zweifellos ein Motiv, das alles verbindet.
Doch es gibt überzeugendere und interessantere Verbindungen zwischen den einzelnen Episoden als den sehr weit gefassten Begriff des Glaubens: zum Beispiel die unterschiedlichen Rollen, die Wasser in Form von Weihern, Flüssen und Schnee spielt, oder der schwarze Vogel, von dem in Variationen immer wieder die Rede ist. Bereits in der ersten Geschichte, die 1935 in der Sowjetunion verortet ist, beschreibt eine der Figuren ihren längst abhanden gekommenen Glauben an das persönliche Glück mit den Worten „Glück ist ein schwarzer Vogel – er glänzt in der Sonne und krepiert auf der Straße“. Dieser schwarze Vogel kommt später immer wieder vor, besonders in Gestalt der Schwalben. Das Suchen und Finden dieser kleinen Verknüpfungen zwischen den Abschnitten ist eine der spannendsten Aufforderungen, die Love You, Dragonfly an das Publikum stellt.
Es regnet Buchstaben und beschriebene Seiten
Das minimalistische Bühnenbild von Cora Saller beschreibt einen am Rand mit Bänken besetzten Halbkreis, auf dessen abschüssigem Untergrund die Schauspieler immer wieder nach Halt suchen. Diese Konstruktion illustriert zum Anfang und zum Ende den schneebedeckten Hang, der mit Skiern überwunden werden muss, doch dazwischen bildet er eher eine Analogie zu den Abschüssigkeiten der Figuren, den Momenten, in denen das Leben unaufhaltsam ins Rutschen kommt, sowohl innerlich als auch äußerlich. Nach und nach werden immer mehr Requisiten in diesem Halbkreis zurückgelassen und bilden Spuren der vergangenen Geschichten.
Zu den liegenbleibenden Requisiten gehören auch die Buchstaben, die vom Himmel fallen – eine schön umgesetzte Idee, die betont, wie wichtig Sprache in diesem Stück ist: Es geht um die Sehnsucht, von einer anderen Sprache neu erschaffen zu werden, und die Unmöglichkeit, sich zu verständigen. Die poetischen Sätze fallen immer wieder auf, und trotz des einfach gehaltenen Bühnenbildes entstehen ganze Panoramen in der Szenerie, erschaffen allein von der Bildgewalt, mit der Fritz Kater seine Figuren ihre jeweiligen Lebensrealitäten erzählen lässt.
Unreflektierte Unterdrückungsstrukturen
Frei nach Motiven von Arbusow, Bernanos und Aitmatow geschaffen, hat dieses Stück jedoch eine große Schwäche: Es verwehrt denjenigen die Stimme, die ihre Geschichte selbst erzählen sollten. So klebt sich die seit der Spielzeit 2016/2017 neu am Theater Bonn beschäftigte Lena Geyer zerpflückte, zu Boden gefallene Buchstaben an, um ihr Gesicht zu schwärzen. Auf diese Weise schlüpft sie in die Rolle des afrikanischen Adoptivsohns eines überforderten Professors (Holger Kraft), die sie vibrierend vor Leben, Wut und der Ohnmacht darüber, nicht verstanden zu werden, zwar überzeugend spielt, aber in der sie dennoch als weiße Frau einem schwarzen Mann die Stimme gibt – noch dazu einem Flüchtlingsjungen, der in seinem Adoptivvater die ewig gleichen Phrasen des westlichen Überlegenheitsgefühls findet. Ein amerikanischer Unternehmer (ebenfalls Holger Kraft) rettet erst seine karibische Frau aus der Prostitution und entdeckt dann die Möglichkeit der Geschlechtsumwandlung als Beschäftigungstherapie, sobald ihn seine Frau nicht mehr körperlich begehrt: Die Langhaar-Perücke wird vom Himmel herabgelassen wie eine Offenbarung. Das junge Schulmädchen, das erst vergewaltigt wird und sich dann auf den Grund des nahe gelegenen Weihers flüchtet, wird von Sören Wunderlich mit lolitahafter Koketterie im Schulmädchenkostüm gespielt. Wenn alle Figuren vom anderen Geschlecht gespielt würden, ließe sich da noch ein Muster erkennen, so jedoch bleibt Einzelnen eine authentische eigene Stimme schlichtweg versagt.
Die Männer sind die Mörder, die Unternehmer, die Wissenschaftler – die Frauen sind diejenigen, die leiden. Sie sind wiederholt Opfer von Vergewaltigungen, Opfer ihrer eigenen Liebe und Loyalitäten, Opfer von tödlichen Krankheiten. Es sind einfallslose, immer gleiche Erzählmuster, in die Fritz Kater hier verfällt. Dass ein Theaterstück, das durchaus innovativ mit dem Glauben an Systeme und Innovationen spielt, so unreflektiert mit diesen Unterdrückungsstrukturen umgeht, ist bitter – besonders an einem Theater wie Bonn, das mit Volker Löschs Inszenierung von Nathan der Weise dieses Jahr schon gezeigt hat, wie es aussehen kann, wenn politisches Theater funktioniert und die sonst oft Ungehörten selbst sprechen. Trotz der schillernden Qualitäten seiner Sprache wird Love You, Dragonfly also leider nicht der irisierenden Leichtigkeit der namensgebenden Libelle gerecht.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Sonntag, der 09. Oktober
Freitag, der 21. Oktober
Donnerstag, der 27. Oktober