Eine Oper über ein gallisches Dorf würde bei vielen Regisseuren vorhersehbare Comic-Interpretationen hervorrufen. Anders sieht es in dieser Spielzeit im Essener Aalto-Theater aus. Imogen Kogge und Tobias Hoheisel bringen Vincenzo Bellinis Norma nun als erstes Stück der diesjährigen Spielzeit in fast biederer, dafür aber ausgesprochen zeitloser Inszenierung auf die Bühne. Ein herrlich motiviertes Solistengespann sowie die hohe Qualität der Essener Philharmoniker zaubern einen gelungenen Opernabend, ganz ohne Miraculixʼ Zaubertrank.
von STEFAN KLEIN
„Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Diese berühmten ersten Sätze der Asterix-Comics beschreiben die Ausgangssituation von Vincenzo Bellinis Norma eigentlich schon sehr gut. Norma ist Druidin eines unbenannten gallischen Dorfes, das sich bisher erfolgreich der Übernahme durch die Römer entziehen konnte. Während die Dorfbewohner allzeit bereit an den Waffen stehen, um die Römer vollends in die Flucht zu schlagen, beschwichtigt Norma sie, noch zu warten. Sie sagt, sie warte auf ein Zeichen der Mondgöttin. Das Schweigen der Göttin ist Norma jedoch wohl ganz recht, hat sie doch heimlich zwei Kinder mit dem römischen Prokonsul Pollione. Ein vernichtender Angriff, unter anderem auf den Vater ihrer Kinder, ist natürlich nicht in ihrem Sinne. Als ihre Druidin-Novizin und schwesternhafte Freundin Adalgisa sich ihr anvertraut und sagt, sie habe sich heimlich in einen Römer namens Pollione verliebt, sieht die Situation für Norma jedoch ganz anders aus und ihr steht der Sinn nach Rache.
Eine Reduzierung auf das Wesentliche
Imogen Kogge und Tobias Hoheisel hielten offenbar wenig davon, Erwartungshaltungen zu erfüllen und handelten damit genau richtig. Auf den ersten Blick könnte man dem Regieteam Einfallslosigkeit vorwerfen. Niemand sieht aus wie Obelix und die Handlung wurde auch nicht in die Arena auf Schalke oder in einen Untergrund Club in Brooklyn verlegt. Auf der Bühne sehen wir Gallier, die aussehen, wie Gallier vielleicht ausgesehen haben (Kostüme: Tobias Hoheisel), und sie bewegen sich in einer Welt, die zwar wahrscheinlich nicht wie Gallien aussieht, dafür aber auch nicht wie ein Supermarkt oder Autobahnrastplatz. Es ist ein stilisiertes Gallien zu sehen: Barrikadenhafte Holzplanken, angestrichen in blauweißen Farbübergängen, türmen sich in verschiedenen Formationen auf der Bühne auf und schaffen so den Hintergrund für Normas emotionalen Furienritt (Bühne: auch Tobias Hoheisel). Durch die zurückgenommene Personen-Regie und die Reduzierung auf das Wesentliche in Kostüm und Bühne schaffen Kogge und Hoheisel den idealen Rahmen für die facettenreiche Musik Vincenzo Bellinis.
Belcanto at its best
Bellini schuf 1831 mit Norma wahrscheinlich eine der bekanntesten Belcanto-Opern der Geschichte. Ihre volle Pracht erreicht die Musik auch immer dann, wenn in den Arien das stattfindet, was man im Belcanto sucht: lange, sich in die höchsten Höhen schraubende Koloraturen voller Energie. Doch auch in den Rezitativen und Zwischenspielen wird immer wieder deutlich, warum sich Norma nun seit fast 200 Jahren auf den Spielplänen der Opernhäuser dieser Welt findet.
Die Essener Philharmoniker agierten bei der Premiere unter dem Dirigat Giacomo Sagripantis so energisch und voller Spielfreude, dass es ein Fest war, ihnen zuzuhören und zuzusehen. Mit dem Orchester im Rücken bereitete es auch den Solisten des Abends sichtbar Freude, ihren anspruchsvollen Partien Leben einzuhauchen.
Allen voran muss Katia Pellegrino genannt werden, die als Norma mehr als einen Zwischenapplaus provozierte. Ihr Spiel zwischen Verliebtheit und blanker Rachsucht ist mitreißend und ihr Gesang so emotional und technisch versiert, dass sie auch die prominentesten Norma-Interpretinnen für drei Stunden vergessen lässt.
Gianluca Terranova ist in der Partie des römischen Prokonsuls Pollione zu sehen. Er hat die Chance, dem einzig wirklichen Antagonisten des Stückes ein Schicksal zu geben, das trotz eigentlicher Antipathie dem Publikum nahe geht. Diese Chance ergreift Terranova und zeigt eine sehr gute Vorstellung als Pollione.
Etwas hinter den beiden großen Partien zurück bleibt Bettina Ranch als Adalgisa. Hier ist das Problem jedoch einzig in der Rolle zu sehen: Die Novizin bleibt über den Verlauf des Abends naiv und ihre Liebe zu Pollione wirkt sprunghaft. Hinzu kommt, dass Bellini die Adalgisa deutlich weniger virtuos kolorieren lässt als die Norma, sodass sie im direkten Vergleich deutlich weniger spektakulär wirkt.
Das Potential, lange auf dem Spielplan zu bleiben
Imogen Kogge und Tobias Hoheisel haben mit der Norma im Essener Aalto-Theater eine Inszenierung geschaffen, die sich auf Grund ihrer vordergründig wenig spektakulären Regie fast als zeitlos betiteln ließe und sich so für viele kommende Spielzeiten empfiehlt. Schafft es das Aalto-Theater dann auch in den kommenden Jahren, Katia Pellegrino für die Titelpartie zu gewinnen, sollte einem langjährigen Erfolg nichts im Wege stehen.
Das Aalto-Theater hat schon mit der 1989er Aida-Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf bewiesen, dass es gute Interpretationen durchaus über viele Jahre hinweg immer wieder aus der Kiste hervorholt. Ob wir auch die Kogge/Hoheisel-Norma noch in 30 Jahren in Essen sehen dürfen? Das lässt sich nicht voraussagen, zu wünschen wäre es jedoch.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Mittwoch, der 12. Oktober
Freitag, der 14. Oktober
Sonntag, der 16. Oktober
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