Das nicht so falsche Klischee zeigt, dass Liebesgeschichten, wenn nicht unbedingt von Frauen geschrieben, so doch zumindest aus weiblicher Sicht geschildert und damit auch oft für Leserinnen produziert werden. Tim Szlafmyca hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Klischee ad acta zu legen: Sein Debütroman Die Relativität der Gleichzeitigkeit erzählt eine romantische Geschichte aus dem Alltag eines jungen Mannes, der zwischen Uni, seinem Küchenfenster und der Lieblingskneipe versucht, das Herz eines Mädchens zu erobern.
von STEFAN KLEIN
Der namenlose Ich-Erzähler in Tim Szlafmycas Die Relativität der Gleichzeitigkeit lebt ein Leben, wie es viele Studenten zwischen 20 und 30 leben. Er ist häufiger in seiner Stammkneipe als in der Universität, er macht sich Gedanken über Gott und die Welt und ist verknallt in seine beste Freundin. Emmy, so der Name der Angebeteten, ist mindestens genauso oft und gern in der Stammkneipe wie der Erzähler, wo sie sich stundenlang Geschichten erzählen und dabei über die wirklich wichtigen Fragen des Lebens nachdenken: Warum sind Matratzenläden immer in Eckhäusern? Wer würde bei einem Kampf zwischen Drachen und Ninjas gewinnen? Reichen die Gemeinsamkeiten, die man teilt, auch für eine Beziehung?
Letztere Frage stellt sich aber vor allem der Erzähler und weniger Emmy. Das frustriert den jungen Mann sehr. Da er selbst wenig Vertrauen in seine Flirtkünste hat, befragt er Internetforen, wie man das Herz seiner Wahl gewinnen kann. Als er es mit dem Tipp „Eifersüchtig machen“ probieren möchte, lernt er prompt Lea kennen. Damit wird die ideale Ausgangssituation für ein skurriles, aber auch anrührendes Freundschafts- und Gefühlschaos geschaffen.
Literaturschmiede Ruhr-Universität
Seit 2011 ist Tim Szlafmyca Teil der Bochumer Literaturinitiative Treibgut – Literatur von der Ruhr, wo er auf Lesungen vor allem Kurzgeschichten präsentiert. Hier schafft er es, auch in den absurdesten Texten immer ein wenig Melancholie mitschwingen zu lassen. Diesen Kunstgriff hat er nun auf Romanlänge erweitert und dabei das Absurditäten-Level so weit heruntergeschraubt, dass er einen sehr glaubhaften Erstling präsentiert, dessen 200 Seiten mehr als kurzweilig sind.
Szlafmyca, Student der Kunstgeschichte und Komparatistik, lässt seinen Ich-Erzähler immer wieder ausgiebig abschweifen. Sorgt man sich bei den ersten drei ADS-artigen Gedankenströmen noch, dass man es gegebenenfalls nicht durchhält, alle zwei Seiten vom Thema abzukommen, so freut man sich im Laufe des Romans umso mehr, an den oft kruden Gedanken des Erzählers teilzuhaben. Ein wiederkehrendes Gedankenspiel ist dabei der Unterschied zwischen dem universellen Universum, in dem wir alle leben, und dem privaten Universum, über das jeder für sich allein herrscht. Hierbei wird Szlafmyca fast philosophisch, überlegt, wie man entscheidet, wen man an seinem Universum teilhaben lässt, und findet Ansätze, die sich der ein oder andere Leser sicher auch schon überlegt hat. Doch immer wenn der ernste Gedanke sich zu sehr breit macht und die Melancholie zu überwiegen droht, lässt der Autor den Erzähler zum Beispiel lieber überlegen, wie er sein Wohnungs-Universum in Raum-Galaxien aufteilen und benennen sollte (seine Lösungen: Bierstraße, Bubu-Galaxie und Duschbecken-Zwerggalaxie).
Wo? Wann? Wer? – Hier! Jetzt! Wir!
Tim Szlafmyca verzichtet in seinem Text durchgehend auf nähere Beschreibungen der Umgebung oder auch nur die Nennung des Jahres, in dem wir uns bewegen. Spielt der Roman heute in Bochum? Vielleicht. Vielleicht aber auch vor fünf Jahren in Schwerin oder in näherer Zukunft in Münster. Eigentlich ist es aber auch egal, wo und wann sich die Handlung zuträgt. Der Autor schafft durch das bewusste Verschweigen eines realen Ortes eine gewisse Universalität. Der Leser soll und kann sich mit den Figuren identifizieren und sich so vorstellen, dass das Geschehen in seiner eigenen Heimatstadt stattfindet.
Während man diese Lücken als durchaus positiv auffassen kann, um seine eigenen Interpretationen einfließen zu lassen, ist das Auslassen von Musikbeschreibungen eher schade. Der Ich-Erzähler ist bekennender Vinyl-Liebhaber und Hobby-DJ. Er erstellt sich Tracklists im Kopf und ist auf der Suche nach dem perfekten Soundtrack fürs Leben. Leser des Romans wird es jedoch schwer gemacht, sich den Soundtrack zum Buch zusammenzustellen. Kein einziger Interpret wird genannt, kein Songtitel wird konkretisiert. Der britische Popliterat Nick Hornby ging in seinem Musik-Nerd-Roman High Fidelity da sehr viel konkreter mit Musikzitaten um. Dem Verkauf des Soundtracks zur gelungenen Verfilmung von 2000 hat es in jedem Fall nicht geschadet.
Komplizierte Gedanken zu romantischen Problemen
Eine romantische Komödie aus der Sicht eines Mannes zu erzählen, trauen sich nicht viele. (500) Days of Summer gelang dieser Spagat 2009 im Kino, ebenso der bereits erwähnte High Fidelity. Tim Szlafmycas Roman probiert es nun heute auf dem Buchmarkt. Die Relativität der Gleichzeitigkeit hat sich also viel vorgenommen und erreicht seine Ziele auch fast alle mühelos. Es ist als Leser schön, den Gedanken des Ich-Erzählers zu folgen. Von Seite zu Seite wird der Wunsch größer, dass er einen guten Ausgang für seine romantischen Probleme findet. Leser mehr oder weniger um die dreißig werden sich gut mit dem Sprachstil, den wirren Gedanken und den alltäglichen Problemen identifizieren können.
Tim Szlafmyca stellt mit Die Relativität der Gleichzeitigkeit einen gelungen Debütroman vor. Traut er sich nun, bei kommenden Werken an gewissen Stellen präziser, aber an den richtigen Stellen weiterhin universell zu bleiben, kann man sich sehr auf mehr aus seiner Feder freuen.
Tim Szlafmyca: Die Relativität der Gleichgültigkeit
Books on Demand, 208 Seiten
Preis: 9,99€
ISBN: 9783741265365
Eine interessante Rezension!
Danke!