„Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art.“ Nein, das Essener Aalto-Theater hat in dieser Spielzeit keine Vertonung der Grimmʼschen Rumpelstilzchen-Geschichte im Programm. Jedenfalls nicht direkt. Dieses zentrale Zitat stammt aus Richard Wagners Oper Lohengrin, die seit Anfang Dezember das Essener Publikum spaltet.
von STEFAN KLEIN
Worum geht es in Lohengrin? Elsa von Brabant wird beschuldigt, ihren kleinen Bruder umgebracht zu haben. Da sie nicht selbst für ihr Recht kämpfen kann, kommt ihr Lohengrin, gezogen von einem Schwan, zur Hilfe geeilt und besiegt für sie den sie beschuldigenden Friedrich von Telramund, um so ihre Unschuld zu beweisen. Telramund, nun vogelfrei, ist natürlich nicht gut auf den mysteriösen Ritter zu sprechen und heckt mit seiner Frau Ortrud einen Plan aus, das eigene Ansehen wiederherzustellen und im Gegenzug die Reputation Lohengrins zu zerstören: Sie wollen Elsa dazu bringen, Lohengrin zu fragen, wie er heiße und woher er komme. Diese Fragen, so hatte Lohengrin gleich zu Beginn klargestellt, dürfe niemals jemand stellen. Als Elsas nachvollziehbare Neugierde nach der Hochzeit mit ihrem Retter immer größer wird und Ortrud mit Sticheleien und Manipulationen ihren Teil dazu beiträgt, stellt Elsa die verbotenen Fragen und zwingt ihren Gatten damit zum Rückzug. In einem dramatischen, Wagner typischen Finale folgen Wiedergeburt, Freude, Tod und Trauer schnell aufeinander und die Zuschauer wie auch das Volk der Brabanter werden in eine ungewisse Zukunft entlassen.
Musikalisch auf einem Niveau, das seinesgleichen sucht
Wer sich für einen Besuch von Wagners Lohengrin im Aalto-Theater entscheidet, sollte genügend Zeit mitbringen. Inklusive zweier Pausen verbringt man gut viereinhalb Stunden im schönen Essener Musiktheater. Hat man es durch den etwas trägen Mittelteil des ersten Aktes geschafft, vergeht die Zeit jedoch wie im Fluge. Hierzu tragen vor allem die Essener Philharmoniker unter Leitung von Tomáš Netopil bei. Ihre Interpretation der mitweilen sperrigen, aber durch und durch bombastischen Komposition Wagners hat das Potential, sowohl eingefleischten Wagnerianern neue Seiten des Werkes zu eröffnen, als auch Wagner-Skeptikern zu zeigen, wie eindrucksvoll das Schaffen des Komponisten sein kann. Mit großer Spielfreude und vor allem Ausdauer gleiten die Essener durch fast vier Stunden Programm, ohne Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Viel besser kann man Wagner kaum interpretieren.
Ähnliches gilt für die SolistInnen. Die britisch-kanadische Sopranistin Jessica Muirhead muss sich als Elsa hinter keiner der großen Diven verstecken, die diese prestigeträchtige Rolle vor ihr sangen. Auch Daniel Johansson (Lohengrin), Heiko Trinsinger (Friedrich von Telramund) und Katrin Kapplusch (Ortrud) singen und spielen ihre Partien bravourös. Eine CD-Aufnahme der Essener Philharmoniker unter Leitung Netopils hätte in dieser Besetzung Standardwerk-Potential.
Neue Seiten am Wagnerstoff, die nicht bei jedem gut ankommen
Das Publikum der Premierenvorstellung sieht es größtenteils ähnlich und bedankt sich bei den SolistInnen und dem Orchester mit tosendem Applaus. Weniger euphorisch ist der Beifall für die Regie. Als Regisseurin Tatjana Gürbaca mit Bühnenbildner Marc Weeger und Kostümdesignerin Silke Willrett auf die Bühne kommt, sind einige Buh-Rufe zu hören. Doch warum? – Hierfür sollte man wissen, dass das Regiekonzept weder extrem modern noch sonderlich klassisch daherkommt. Man könnte von einer zeitlosen Inszenierung sprechen, doch offenbar reiben sich einige an ihr. Die große Bühne des Aalto-Theaters ist für einen Großteil des Abends auf einen relativ kleinen Kasten im Zentrum der Bühne beschränkt. Hier sieht man überdimensionierte weiße Stufen, auf denen sich die gesamte Handlung abspielt. Es wird mit Ebenen gespielt, Hierarchien werden deutlich und den übergroßen Stufen werden Miniaturbauten gegenübergestellt. Erst sehr spät öffnet sich der Rest der Bühne, und dem Volk von Brabant, aber auch dem Publikum wird deutlich, in welch beschränkter Weltsicht man sich eigentlich befindet. Bühnenbild, Personenregie und Kostüme sind nicht gewollt modern, wirken aber auch keineswegs allzu gestrig – die negativen Reaktionen auf das künstlerische Team sind also absolut unangebracht, wenn nicht gar ärgerlich: Offenbar ist den Buhrufenden entgangen, welch Raffinesse Gürbaca in den Choreografien einiger Szenen beweist. Als herausragendes Beispiel ist die Szene zwischen Elsa und Lohengrin direkt im Anschluss an ihre Hochzeit zu nennen. Wenn eigentlich das Paar seine Hochzeitsnacht verbringen möchte, plagt Lohengrin seine geheim zu haltende Herkunft. Der Schwan, der sich später als Elsas verzauberter Bruder herausstellen soll, sitzt und liegt ständig zwischen den frisch Vermählten und zeigt, dass eine Verbindung der beiden im Grunde nicht möglich sein kann. Dieser Kniff, dass hier also sowohl Lohengrins Herkunft als auch Elsas eigener Bruder in Personalunion dauerhaft im Gemach des Paares sitzt, ist nur einer von vielen sehr guten Einfällen, die Gürbaca nutzt, um dem oft gesehenen Lohengrin-Stoff etwas Neues zu entlocken.
So empfiehlt sich der Essener Lohengrin eigentlich für jeden: Für Wagner-Fremde, die hier einen ganz wunderbaren ersten Einblick in das Werk des Über-Komponisten erlangen, für Wagner-Freunde, die es schaffen werden, in Lohengrin viele kleine Neuigkeiten zu entdecken, und selbst für Wagner-Gegner, die durch die musikalische Brillanz vielleicht eines Besseren belehrt werden können. Nur eines sollte man in jedem Fall mitbringen: Sitzfleisch.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Samstag, der 07. Januar 2017
Mittwoch, der 11. Januar 2017
Sonntag, der 26. März 2017
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