Die neueste Inszenierung von vorschlag:hammer in Kooperation mit dem Ringlokschuppen Ruhr widmet sich, wenn auch nicht ausschließlich, den Kleinsten unter uns. Mit Witz, Fantasie und am Ende gar einem Fünkchen Bürokratie ist Otfried Preußlers Die Abenteuer des starken Wanja nicht nur ein gelungenes Familienstück, sondern auch eine Kampfansage an den Arbeitszwang und Leistungsdruck unserer Zeit.
von SILVANA MAMMONE
Wanja ist faul. Aber entspannt. Er ist vor allem ein überdimensionaler Strickpullover mit integrierten Handschuhen, und es geht ihm ausgezeichnet in seiner bequemen Adonis-Pose und den Blümchen in den Socken. Sascha und Grischa oder Grischa und Sascha sehen das jedoch mit anderen Augen und verurteilen ihren Bruder für sein Nichtstun. Da liegt er im fast leeren Raum und „denkt nach“ oder „verdaut vielleicht professionell“ oder „steht als Modell für Maler zur Verfügung“. Wer weiß das schon in Wanjas Dorf, doch die Einwohner spekulieren, und urteilen beizeiten, angeregt über diese unkonventionell veranlagte Person. Wie auch in vorschlag:hammers herausragender Inszenierung von Goethes Die Leiden des jungen Werther wird der Protagonist von mehreren Darstellern gespielt (Kristofer Gudmundsson, Gesine Hohmann, Khosrou Mahmoudi und Stephan Stock). Durch die Rollenteilung schöpfen sie ihr Potenzial als Ensemble vollkommen aus, porträtieren und zelebrieren die mannigfaltigen Facetten ihrer Hauptfigur und erweitern zudem unser Figuren- und im philosophischerem Sinne Charakterverständnis.
Ofen-Meditation
Nur der Vater verteidigt seinen kleinen Wanja, der sich sowieso nicht aus der Ruhe bringen lässt; außerdem tun ihm seine Geschwister auch aufrichtig leid, denn „die kennen Faulheit nicht“. Indessen erhält Wanja eine Prophezeiung, die sein Faulenzertum noch auf die Spitze treibt: Wenn er sieben Jahre auf dem Ofen läge und sich ausschließlich von Sonnenblumenkernen ernähre, würde er am Ende imstande sein, sein Familienhaus emporzuheben. Unser Held stellt sich der außergewöhnlichen Aufgabe, wenn auch unter den argwöhnischen Blicken der anderen Dorfbewohner, die teils Verständnis zeigen, teils jedoch wutentbrannt über den Nichtstuer herziehen. Egozentrisch sehen einige lediglich ihren Nachteil in Wanjas Nichtstun, denn er isst weder, was die Köchin kocht, noch reiht er sich ordnungsgemäß in das geschäftige und wohlstrukturierte Treiben der Gemeinschaft. Mit durchbohrenden Blicken steht diese vor dem Publikum, um ihre diversen Meinungen zu deklamieren. Auf herausragende Weise versteht es die Gruppe, mit ihrem Erzähltheater eine nahezu heilige Spannung zu erzeugen, die schlussendlich aus ihrer Hingabe zu den jeweiligen Geschichten und Figuren zu stammen scheint und den oft spärlich, jedoch gleichsam fantasievoll gestalteten Raum ganz und gar ausfüllt.
vorschlag:hammer verstehen es, durch eigentümliche Methoden die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten und bei den Kindern Reaktionen zu erzeugen, die spannend zu beobachten sind. Denn das Wonneproppen-Publikum wird mitunter auch mit einbezogen in die schwerwiegenden Entscheidungen des Helden. „Soll ich doch runter?“, fragt Wanja die kleinen Zuschauer, die zu erheblichen Teilen auch durchaus eine Meinung haben und ein impulsives „JA“ oder „NEIN“ verlauten lassen. Wanja hält die sieben Jahre tapfer durch, und so schießt mit einem Mal die Amplitude seines Schaffens in die Höhe. Er ist heldenhaft stark und voller Energie. So macht er sich auf die Reise in das Land „jenseits der weißen Berge“, wo er, so die Prophezeiung, dazu bestimmt ist, Zar zu werden. Kostüm und Requisite (Mascha Mihoa Bischoff ) reichen von Klopapierspender-Hüten, Besen-Perücken, einem Miniaturwohnzimmer bis zu Stoffbärten, die an Playmobilfiguren erinnern, um nur einen Bruchteil der reduzierten und ebenso fantasievollen Ausstattung zu nennen. Somit schafft die Gruppe durch ihren besonderen Einfallsreichtum einen Kosmos, der die Fantasie beflügelt und Sehgewohnheiten und Erwartungen aufrüttelt wie auch beizeiten unterwandert.
An die Bühnenwand und noch viel weiter
Schließlich nimmt Wanja das Publikum, seinerseits mit grasbedeckten Sitzkissen in den Händen, mit auf die Reise. Gemeinsam wird durch den Raum gewandert, und vorschlag:hammer beweisen ihren Einfallsreichtum auch in Bezug auf die Nutzung desselben. Aufregend für die Zuschauer geht die Reise zum Och an die linke Wand und zu den Hexen an die Hinterwand, bis sich der gefährliche Berg vor dem Publikum auftut. Schließlich verwandelt sich die Zuschauertribüne in eine furchterregende Höhle, kunstvoll mit blauem Licht und Nebel in Szene gesetzt. vorschlag:hammer machen sich ein einheitliches Raumgefühl zunutze, indem sie die wohlbekannte vierte Wand durchbrechen und so, dem Kinderstück dienlich, eine Art Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Inszenierung erzeugen und durch vielfältigen Gebrauch des Raumes überraschen. Die Inszenierung beinhaltet durchaus auch schauerliche Momente, wie im Falle der zuvor erwähnten Höhlenszene oder auch wenn drei Hexen mit spitzenverhüllten Gesichtern auftreten. Immer wieder entstehen neuartige Atmosphären im Raum, welche die Aufmerksamkeit zu bannen wissen.
Faulheits-Utopie
Wanja hat nun alle Aufgaben gemeistert und steht vor seiner letzten großen Herausforderung. Doch es muss kurz angemerkt werden, „dass er das nie geschafft hätte, WENN er nicht sieben Jahre auf dem Ofen gelegen hätte.“ Trotz aller Errungenschaften ist er etwas aufgeregt, denn nun ist er Zar, da kann auch Fürst Dimitrij mit seinem „Großfürstendiplom“ nichts gegen bewirken. „Ich bin auf eure Hilfe angewiesen“, plädiert Wanja an die Zuschauer. So beginnt die Parlamentssitzung. Regel Nr.1: „Niemand muss mehr arbeiten.“ „Aber dann gibt es kein Geld mehr“, kommt direkt der Konter aus der ersten Reihe. Nun wird angeregt utopiert, bis ein großes Handy für alle und Lohnentschädigungen fürs Spielen herauskommen. Dabei führen vorschlag:hammer die Kinder nirgendwo zwanghaft oder geplant hin. Reaktionen und Antworten auf die Vorschläge der Darsteller werden von denselben hingenommen und beizeiten fantasievoll weitergesponnen. Am Ende müssen dann auch alle mit dem eigenen Entschluss leben, die Gemeinschaft fifty-fifty in Faulenzer und Arbeiter eingeteilt zu haben.
Ein bisschen prägnante schwarz-auf-pink Aufklärungsarbeit leistet das Kollektiv zuletzt auch noch. Denn das Faulenzen für Kinder ist verfassungsrechtlich festgelegt, da letztere „gar nicht arbeiten dürfen!“ Und damit dies nicht nur Worte im Raum bleiben, kriegen alle am Ausgang besagten rosa Zettel, zur Vorlage beim widerrechtlichen Spülmaschinendienst. So geht Wanjas abenteuerliche Reise zu Ende, doch: „Lasst mich noch eine Sache sagen: Ich tue ab jetzt nix mehr.“ Das hat sich Wanja auch verdient. Ein von vorschlag:hammer eigens komponiertes Lied, dessen Text nur aus dem Wörtchen „tue“ besteht, schließt den Abend ab. Schließlich ist das kleine, der Faulheit entgegengesetzte Verb „tue“ am Ende der Inszenierung bloß noch eine schöne Melodie.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Donnerstag, der 02. März 2017, 10:00 Uhr
Freitag, der 03. März 2017, 10:00 Uhr
Samstag, der 04. März 2017, 16:00 Uhr
Sonntag, der 05. März 2017, 16:00 Uhr