Unterhaltsame Relevanz im Operettengewand

„Die Blume von Hawaii“ an der Oper Dortmund Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

„Die Blume von Hawaii“ an der Oper Dortmund Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Wie schön muss es sein, in einer Operettenwelt zu leben? Man umgibt sich mit fröhlichen und herzzerreißenden Melodien, alles ist bunt und glitzert, und man beschäftigt sich den ganzen Tag mit verwirrenden Liebesdreiecken und vielen Happy Endings. Die Oper Dortmund versucht nun, den Besuchern einen Einblick in ebendiese, vordergründig rein fröhliche, Operettenwelt zu geben und zeigt Paul Abrahams Die Blume von Hawaii. Während Spaß, Goldregen und Showtreppen den Hauptteil des Abends einnehmen, überraschen die Dortmunder doch auch immer wieder mit erstaunlich tiefgreifenden und nachdenklichen Szenen und bieten so einen Operetten-Abend, der abwechslungsreicher kaum sein könnte.

von STEFAN KLEIN

In Paul Abrahams Die Blume von Hawaii geht es um die Thronerbin von Hawaii, Prinzessin Laya, die nach langem Pariser Exil in ihre Heimat zurückkehrt, sich dort für die Künstlerin Suzanne Provence ausgibt und so bei den Einheimischen und bei den amerikanischen Besatzern für allerlei Verwirrung sorgt. Das Ganze wird durch ein Liebesgeflecht aus gleich acht Protagonisten garniert und mit eingängigen Ohrwurmliedern geschmückt.

Matthias Grimmiger und Henning Hagedorn bedienen sich nun dieser Grundelemente und stecken sie in eine neue Rahmenhandlung. Komponist Paul Abraham persönlich, facettenreich gespielt von Mark Weigel, nimmt die Zuschauer an die Hand und führt als Erzähler durch die bunte Geschichte. Wenn sich der Vorhang öffnet, breitet sich die gesamte bunte Operettenwelt, die in Abrahams Kopf stets zu klingen scheint, vor dem Publikum aus. Es darf teilhaben an einer Welt, die dem Komponisten als Zufluchtsort vor der Realität dient und ihm so das Leben erträglich zu machen scheint. Hier und da verschwimmen die Ebenen und es wird die, mitunter verwirrende, Handlung immer wieder kommentiert und dem Zuschauer so nähergebracht. In den Momenten, in denen Abraham in die Handlung eingreift, selbst Teil von ihr wird und den Zuschauern (auf der Bühne repräsentiert von Gaines Hall) seine Sicht der Dinge erläutert, erinnert Thomas Enzingers Inszenierung oft an das Regiekonzept des Musicals The Drowsy Chaperone, das 2006 seine Broadway-Premiere feierte.

Der Broadway lässt grüßen

Dieser erzählerische Kniff ist nicht der einzige Moment, an dem man an Musicaltheater denken muss. Die gesamte Inszenierung erinnert an Musicals aus dem goldenen Zeitalter des Broadways. Mehr als einmal fragt man sich, ob man in Paul Abrahams Operette oder einem Cole-Porter-Backstage-Musical, wie zum Beispiel Kiss me, Kate, sitzt. Die Liedtexte und Dialoge sprühen vor Witz und Einfallsreichtum und Bühne und Kostüme (bunt, bunter: Toto) könnten farbenfroher und glitzernder nicht sein. Die Showtreppe ist goldener als in 42nd Street, das großartige Tanzensemble (Choreografie: Ramesh Nair) bietet eine Mischung aus Anything Goes-Stepptanz und (in einer der besten Szenen des Abends) Bob-Fosse-Bewegungen und die Matrosen singen und tanzen sich in bester On the Town-Manier durch ihre Auftritte.

Thomas Enzinger inszeniert Abrahams Operette als buntes Broadway-Musical in einer Form, wie man es lange nicht auf deutschen (oder auch amerikanischen) Bühnen gesehen hat. Zwar gibt es immer wieder augenzwinkernde Momente, doch Enzinger nimmt Abrahams Stück ernst und gibt es auch in den absurdesten Situationen niemals der Lächerlichkeit preis. Vielmehr gelingt ihm, gerade auch durch die Rahmenhandlung, eine Verbeugung vor dem fast vergessenen Paul Abraham, die dem Publikum Lust auf mehr Operette macht.

„Die Blume von Hawaii“ an der Oper Dortmund Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

„Die Blume von Hawaii“ an der Oper Dortmund Foto: Björn Hickmann, Stage Picture

Darsteller, die in Erinnerung bleiben

Nicht nur die Inszenierung lässt häufig an das populäre Musicaltheater denken. Abrahams 1931 uraufgeführte Jazz-Operette schielt auch musikalisch mehr als einmal über den großen Teich zum New Yorker Broadway. Die Dortmunder Philharmoniker swingen und jazzen, angeführt von Philipp Armbruster, mühelos durch Abrahams abwechslungsreiche Komposition.

Auf Seiten der Darsteller ist definitiv Gaines Hall positiv herauszustellen. In seiner merkwürdigen Doppelrolle als Gesprächspartner Abrahams in der Rahmenhandlung, der spontan als Jim Boy in Abrahams Fantasie besetzt wird, sticht er sowohl gesanglich als auch tänzerisch und im Schauspiel heraus. Der Amerikaner schafft es, den schmierigen Frauenhelden Jim Boy mit einem einfachen Lächeln genug Sympathie zu geben, dass man auch ihm am Ende das Happy End gönnt. Den komödiantischen Höhepunkt des Abends beschert dem Premierenpublikum Emily Newton bei ihrer Interpretation von Heutʼ Hab Ich Ein Schwipserl. Sie lallt, lacht und stolpert sich als Suzanne Provence durch die komische Nummer, nachdem sie zwei Akte lang zuvor als Prinzessin Laya vornehm und voller Würde über die Bühne stolzierte. Folkwang-Absolventin Karen Müller verkörpert die Tochter des amerikanischen Gouverneurs auf Hawaii, Bessie Worthington. Die Partie verlangt eine komische, aber stimmlich starke Soubrette, die man in Müller gefunden hat. Mit moderner Stimme und ausgezeichnetem Tanz stiehlt sie mehr als eine Szene und bleibt auch lange nach der Aufführung noch in Erinnerung. Marc Horus hat mit den Liedern von Prinz Lilo-Taro hier und da zu kämpfen. Er verkörpert den von allen angehimmelten Monarchen wunderbar schleimig und später herzzerreißend verliebt, doch die Gesangspartie scheint ihm nicht besonders zu liegen. Manuel Pujols Opernchor des Theaters Dortmunds spielt und singt hingegen voller Freude und ist eine Augenweide in Totos wunderbaren Kostümen.

Ein Komponist zwischen Genie und Wahnsinn

Paul Abraham hatte kein leichtes Leben. Nach seinen großen Erfolgen in Europa musste er vor den Nationalsozialisten fliehen und suchte sein Glück in Amerika, wo sich der Erfolg jedoch nicht richtig einstellen wollte. Als Folge einer verschleppten Syphiliserkrankung verlor er irgendwann den Verstand. Immer wieder unterbricht der Erzähler Abraham in Dortmund die Handlung der Operette und lässt uns an seinen Gedanken und seinem Lebensweg teilhaben. So entsteht eine spannende Mischung aus Fantasie und Biografie, komische Steppnummern wechseln sich mit Gedanken zum Thema Flucht ab.

Thomas Enzinger und sein Team schaffen es damit, Die Blume von Hawaii auch mehr als 85 Jahre nach der Uraufführung weder antiquiert noch albern wirken zu lassen, sondern zeigen modernes und relevantes Musiktheater anno 2017.

 

 

Informationen zur Inszenierung
 
Nächste Vorstellungen:
 
Freitag, der 27. Januar 2017
Sonntag, der 05. Februar 2017
Mittwoch, der 08. Februar 2017
Samstag, der 11. Februar 2017

 

Ein Gedanke zu „Unterhaltsame Relevanz im Operettengewand

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