Am Schauspiel Essen feiert eine Romanadaption Weltpremiere: Sophia, der Tod und ich nach dem Bestseller des Singer-Songwriters Thees Uhlmann. Mit nur fünf Schauspielern und ein wenig Musik gelingt ein kurzweiliger Abend, der ein sehr dunkles, Ängste evozierendes Thema ungewohnt leichtfüßig behandelt und die angetanen Zuschauer mit einem warmherzigen Plädoyer für das Leben nach Hause schickt.
von HELGE KREISKÖTHER
Thees Uhlmanns Sophia, der Tod und ich erschien zwar erst vor zwei Jahren, ähnlich dem mittlerweile zum Klassiker und Theatertext avancierten Tschick von Wolfgang Herrndorf schaffte es der Roman aber, in kürzester Zeit ungemein populär zu werden. Dies mag vor allem daran liegen, dass Uhlmann sich nicht um irgendwelche mehr oder minder traditionsreichen Genres schert, sondern „von der Leber weg“ – zugegeben: manchmal etwas flapsig und redundant – erzählt und somit die Grenzen zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur, zwischen Action- und philosophischem Roman sprengt. „Wäre das Buch ein Bier, es wäre mit Liebe gebraut“, war etwa auf Spiegel Online zu lesen. Dazu müssen jedoch ein paar Worte zum Inhalt gesagt werden.
An die Tür des namenlosen, etwa 40-jährigen Ich-Erzählers klopft eines Tages der Tod persönlich und fordert ersteren auf, innerhalb von drei Minuten mitzukommen. Der verhältnismäßig plötzlich angeordnete „Sterbevorgang“ wird dann aber durch Sophia unterbrochen, der penetrant klingelnden Ex-Freundin des Ich-Erzählers. Ob er nicht mehr wisse, dass sie heute seine Mutter besuchen wollten, fragt sie. Angesichts einer solchen Überrumpelung gewährt der Tod ausnahmsweise Aufschub und erlebt eine Menge intensiver Tage an der Seite des zankenden, doch immer noch von Zuneigung erfüllten Paares. Die skurrile Freude wird jedoch getrübt durch die Zeit, die abläuft, Sohnemann Johnny, den der Ich-Erzähler seit über sieben Jahren nicht gesehen hat, und den zweiten, wesentlich bösartigeren Tod, dem sein Kollege viel zu menschenfreundlich agiert.
Nur Roadmovie?
Sophia, der Tod und ich lebt von jener unverschnörkelten Philosophie à la Camus, die Thees Uhlmann schon in seinem Song Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf verbreitet hat: Im Wissen, dass Leben und Sterben im Grunde ein absurder Vorgang ist, sich die Endlichkeit nicht ewig ausdehnen lässt und der Reiz des Lebens gerade in nebensächlichen, grotesken Details steckt, findet man die notwendige Kraft, die es braucht, um nicht kaputtzugehen.
Die Essener Theateradaption von Regisseur Tilman Gersch (Dramaturgie: Jana Zipse) nimmt sich des Textes – verständlicherweise, denn es ist wie gesagt die erste Bühnenadaption überhaupt – sehr behutsam an: Sprache und Dialoge sind nahezu unbearbeitet, nur beiläufige Episoden wurden rausgekürzt bzw. zugunsten des Redeflusses verdichtet. Auch Bühnenbild, Kostüme und Requisiten (Henrike Engel) kommen sehr sparsam, aber durchaus nicht eintönig daher. Den ganzen Abend über betrachtet der Zuschauer überdimensionale Postkarten in verschiedenen Größen, auf denen z. B. gezeichnet oder herumgeturnt wird. Leitmotivisch sollen sie an die Eigenart des Ich-Erzählers erinnern, seinem Sohn Johnny täglich unbeholfene Postkarten zu schreiben, ohne zu wissen, ob diese überhaupt ankommen, geschweige denn gelesen werden. Obgleich man an der einen oder anderen Stelle den Einsatz einer Drehbühne, Kostümwechsel oder längere, melancholische Musikeinsätze erwarten könnte, lässt Gersch keine Langeweile entstehen. Der Text als solcher erzeugt einen Sog, dem man sich, den zahlreichen unmittelbaren Zuschauerreaktionen gemäß, nicht nur beim Lesen oder Hören, sondern auch im Theater nicht entziehen kann. Mit der simplen Ästhetik eines linearen Roadmovies gelingt also etwas Unbekümmertes, Vielschichtiges, kurz gesagt: Bewegendes.
Schauspieler mit Hingabe
Stefan Diekmann agiert, wenn auch etwas nerdig-monoton, souverän als Hauptfigur und Ich-Erzähler im You’ll-never-walk-alone-T-Shirt. Auch Stephanie Schönfeld alias Sophia ist eine passende Besetzung, die man sich anhand der Lektüre äußerlich etwas anders vorgestellt haben mag, die aber zwischen Klugscheißerei, Dauer-Gemecker und sensiblen Einbrüchen genauso einen absolut glaubwürdigen Ton findet wie Ingrid Domann als rüstige Rentner-(Schwieger-)Mutter. Eine besondere Freude für den Zuschauer bietet aber Jens Winterstein als der Tod: Bedrohlich geschminkt und schwarz eingekleidet weckt er nicht nur Assoziationen an Dracula und Till Lindemann, sondern spielt seine absurde Figur mit einer solchen Herzenswärme, voller unbefangener Lebensfreude und niedlicher Verzweiflung ob der lästigen Pflichtausübung, dass man immer wieder zu Tränen gerührt ist. Wenn er dann Wolfgang Petrys Wahnsinn mitsingt, bekommt der allseits bekannte Schlager eine völlig neue, herrlich komische Dimension.
Gibt es eigentlich ein Buch, überhaupt ein Kunstwerk, das sich nicht auf irgendeine Weise mit dem Tod auseinandersetzt? Thees Uhlmann lässt uns die ganze Schwere des morbiden Dauerthemas dennoch vergessen. So ist der Tod ebenso kindlich begeistert über die ersten Spaghetti seines „Lebens“ wie über seine erste Straßenbahnfahrt; bei der Mutter des Ich-Erzählers macht er sich als Charmeur namens Morten de Sarg beliebt, während Sophia ihren Ex auffordert, doch noch einmal mit ihm zu schlafen, bevor die ganz schön langen drei Minuten ablaufen. So viele fantasievoll dargestellte Zwischenmenschlichkeit fordert regelrecht auf zu vielen weiteren Theateradaptionen.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Samstag, der 11. März
Mittwoch, der 22. März
Samstag, der 8. April