Ein rosa leuchtender Minielefant, ein Obdachloser, eine Tierärztin und ein burmesischer Tierpfleger auf der Flucht vor einem profitgierigen Genforscher in chinesischem Auftrag. Die fantastische Ausgangssituation in Martin Suters neuem Roman verspricht viel, die Handlung bleibt trotzdem blass. Dennoch ist ein unterhaltsames Buch dabei herumgekommen.
von SOLVEJG NITZKE
Wer beim Aufwachen rosafarben leuchtende Minielefanten sieht, wird wohl, wie Schoch, zunächst an seinem eigenen Verstand zweifeln. Umso mehr tut das der obdachlose Alkoholiker, der sich nach neun Jahren auf der Straße keine Illusionen mehr über seinen Zustand macht – ohne dabei zu ahnen, dass sich durch diese Begegnung sein Leben noch einmal auf den Kopf stellen wird.
Woher die rosa Elefanten kommen
Die Vorgeschichte dieser Begegnung folgt auf dem Fuße. Der kleine Elefant ist alles andere als eine Ausgeburt der Fantasie (auch wenn im Roman immer und immer wieder betont wird, wie unglaublich diese Begegnung ist). Es handelt sich um ein, je nach Perspektive, ge- oder missglücktes Experiment. Der Genforscher Roux, getrieben von dem Ehrgeiz, seinen ehemaligen Chef zu überflügeln, setzt alles daran, seine Forschung zu sogenannten „glowing animals“ am lebenden Objekt zu erproben. Sein Größenwahn könnte wahrlich nicht besser verkörpert werden als durch das Forschungsziel eines ausgerechnet rosafarbenen Elefanten. Aber Freudsche Interpretationen beiseite: Ganz der kapitalistische Wiedergänger seiner literarischen Vorbilder, Victor Frankenstein und Dr. Moureau, verblassen sämtliche ethischen Erwägungen gegenüber dem Versprechen des personifizierten Erfolges. Er kann sich also gar nicht vorstellen, was schließlich passiert, nämlich dass Menschen durch ihre Gefühle gegenüber Tieren und ethischer Abscheu gegenüber seiner Arbeit motiviert werden könnten, Status und persönliches Wohl aufs Spiel zu setzen, um den Elefanten vor ihm zu verstecken.
Welche Ethik?
Allerdings ist Roux’ Monster auch geradezu monströs niedlich. Der kleinwüchsige pinke Elefant wird somit schnell zum potenziellen Spielzeug. Roux wittert ein enormes Geschäft für Kinder, die sonst schon alles haben – darüber vergisst er sogar seine Nobelpreisambitionen. Anders als Frankensteins Kreatur muss der kleine Elefant seine Monstrosität nicht verstecken, im Gegenteil, sie bringt die Figuren des Romans – sofern sie nicht skrupellose Geschäftsleute sind – reihenweise dazu, ihre besten, menschlichen Seiten (wieder) zu entdecken. Zwar bemüht sich das kleine Wesen redlich, seine menschlichen Hüter von seinem Elefantensein zu überzeugen (selbstverständlich findet sich stets ein Elefantenverhaltensexperte, der seine Gesten zu deuten vermag), er kann dadurch aber nicht verhindern, dass er das positiv besetzte Äquivalent eines Monsters wird: ein Wunder. Die Heiligkeit dieses Geschöpfes, seine Liebenswürdigkeit und nicht zuletzt seine Possierlichkeit rechtfertigen also offenbar sämtliche Anstrengung, die die unwahrscheinlichen Elefantenretter unternehmen. Allzu oft jedoch wird dabei die Anerkennung der Tatsache, dass sie letztlich Diebstahl begehen, nur gestreift. Keine Zeit und kein Interesse für die ethischen Begründungen des ethischen Handelns, heißt es von Schoch. Wobei man doch meinen könnte, dass jemand, dessen Tag daraus besteht, alle drei Stunden einen Elefanten zu füttern, durchaus ein wenig Zeit und Energie auf die gedankliche Erkundung der Implikationen der so übernommenen Verantwortung aufwenden könnte. Aber wozu? Denn die Figuren scheinen sich der Berechtigung ihres Handelns so sicher zu sein, dass es gar nicht nötig ist, deren Konsequenzen zu hinterfragen. Der Zweck heiligt also die Mittel, und um wieviel mehr gilt das, wenn der Zweck ein heiliger ist.
Flucht in schwarz/weiß
Das niedliche Tierchen, das der Skrupellosigkeit gentechnischer Forschung entspringt, macht es den Rettern denkbar einfach. Zwar weisen sie alle eine gewisse Widerständigkeit gegenüber den modernen Erfolgs- und Fortschrittsgeboten auf, aber erst der Elefant und seine Rettung verwandeln Ablehnung in Mission. Der freiwillig obdachlose Banker, der burmesische „Elefantenflüsterer“ und die sozial engagierte Tierärztin sind sich einig, dass jedes Mittel recht ist, um sich der „Genindustrie“ in den Weg zu stellen. Doch ist es so einfach? Alle Zweifel werden so schnell beiseite gewischt, dass zumindest bei mir die Frage immer dringlicher wurde, ob es nötig ist, dass alle Figuren und der Erzähler so klar unterscheiden können, was gut und böse ist. Abgesehen davon, dass die Forschungssituation hochgradig fragwürdig, wenn nicht gar implausibel ist, hat Suter selbst schon Beispiele für wesentlich komplexere Erzählsituationen und vor allem interessantere Figuren geliefert. Interessanter deshalb, weil Suters stärkste Protagonisten (allen voran in Die dunkle Seite des Mondes und Ein perfekter Freund) gezwungen werden, sich selbst und ihre Motive infrage zu stellen. Demgegenüber ist Elefant bedauerlich schematisch. Gut und Böse sind so klar zu unterscheiden und entsprechen so eindeutig gängigen Klischees, dass ich mir beim Lesen wünschte, das Ganze mit ein bisschen Uneindeutigkeit nachzuwürzen. Gerade von Suter, in dessen Romanen die Möglichkeiten und Chancen neuer Technik schon zu tollen Erzählungen geführt haben (z. B. in Small World), hätte ich mir mehr gewünscht.
Genau deswegen würde ich aber auch nicht von der Lektüre abraten, denn Suter bleibt zumindest ein Meister der Unterhaltungsliteratur. Er kennt sich so offensichtlich gut in den Zürcher Milieus aus, über die er schreibt, dass einige zunächst wie Taschenspielertricks wirkende Auflösungen doch nicht trivial, sondern erstaunlich plausibel wirken. Hat man vor, nur ein Suter-Buch zu lesen, dann vielleicht lieber ein anderes. Langweilen wird man sich mit diesem aber auch nicht.
Martin Suter: Elefant
Diogenes Verlag, 352 Seiten
Preis: 24 €
ISBN: 978-3-257-06970-9