Mord auf der Principal

Lluís Llach - Die Frauen von La Principal Cover: Insel

Lluís Llach – Die Frauen von La Principal Cover: Insel

Das Weingut La Principal ist das größte Anwesen in Ríus, einer kleinen spanischen Provinzstadt. 1940 wird hier ein alter Mordfall aufgerollt, während zugleich eine ungewöhnliche Liebesgeschichte beginnt. Lluís Llachs Die Frauen von La Principal handelt von Unabhängigkeit, Moral und von neuen Wegen, die in der tiefsten Provinz Spaniens während der Herrschaft des Franco-Regimes beschritten werden.

von ANNA BREIDENBACH

Die Geschichte erscheint wie eine eingerollte, trockene Wüstenblume im ausgedörrten Nichts ihres sonnenverbrannten Lebensraums. Versteckt und scheinbar lebensunfähig wartet sie auf den Regen, der sie plötzlich dort hervorschießen und blühen lässt, wo niemand es vermutet hätte. Das Wasser, der Antrieb für diese ungewöhnliche Geschichte, ist Inspektor Lluís Recader, der im November 1940 nach Ríus kommt. Er ist entschlossen, einen Fall aufzuklären, der sich vor vier Jahren ereignet hat: Früh am Morgen fanden Arbeiter der Farm La Principal die grausam zugerichtete Leiche ihres ehemaligen Vorarbeiters vor dem Eingang zum Weingut. In den Wirren der „nationalen Erhebung“ der folgenden Jahre und der Machtübernahme durch das Regime General Francos war der Fall in Vergessenheit geraten. Nun ist Recader entschlossen, den Mord aufzuklären. Was wie ein Kriminalroman anmutet, entpuppt sich bald als eine viel komplexere, schichtenreichere Geschichte. Je länger die Nachforschungen des Inspektors andauern, desto mehr erfahren er und damit gleichsam der Leser über die Geschichte des Anwesens, über ihre ungewöhnlichen Herrinnen und ihre Schicksale. Vieles berichtet Ursula, die alte Amme, die bereits seit drei Generationen auf der Principal arbeitet. Sie erzählt die Geschichte der Familie in Episoden, die wie Märchen erscheinen. Immer wieder unterbrechen diese Zeitsprünge die Haupthandlung von 1940.

Starke und authentische Frauenfiguren

Sooft die Zeit der Handlung auch wechselt, so konstant ist dagegen der Ort, an dem sich die Geschichte abspielt. La Principal steht im Vordergrund, das riesige Weingut, Stammsitz einer erfolgreichen spanischen Winzerfamilie. Es wird von drei mutigen, klugen und unabhängigen Frauen durch die Turbulenzen des 20. Jahrhunderts gebracht. Auffallend angenehm schafft es der Autor, Charaktere zu erschaffen, die die gesellschaftlichen Grenzen zwar sprengen, die jedoch keine Importe des heutigen emanzipierten Frauenbildes darstellen und wie aufgepfropft wirken könnten. 1898 erbt Maria, das einzige Mädchen von fünf Geschwistern, den riesigen Familienbesitz von ihrem Vater. Sie schafft es, trotz der drohenden Reblaus den Weinanbau auf dem Gut weiterzuführen, und wird aufgrund ihrer diktatorischen Führungsart nur „die Alte“ genannt. Sie sucht sich einen ungewöhnlichen Ehepartner: einen musikalischen, feinfühligen Mann, der ihr die Führung über den Haushalt überlässt und stattdessen vom reichen Erbe seiner Eltern zehrt und sich geruhsam im Haus einrichtet. Das Paar hat eine Tochter, ebenfalls Maria genannt. Zu ihrer Jugendzeit wird sie von denen, die sie kennen, für zurückhaltend und unfähig gehalten, aus dem Schatten ihrer starken Mutter hervorzutreten und die Führung über das Anwesen zu übernehmen. Doch beim Begräbnis der „Alten“ ereignet sich eine Wandlung, die als das „Mirakel“ bekannt wird und von Ursula als fantastische Episode erzählt wird: Böse Geister fahren während des Gottesdienstes in Maria und verändern ihren Charakter, sodass auch sie fortan einen Spitznamen erhält, den der „Senhora“. Maria ist eine ungewöhnliche und starke Frau: Sie verliebt sich in einen bisexuellen Mann und wartet wie ihre Mutter nicht darauf, dass ihr Traumprinz ihr Avancen macht. Sie selbst sucht sich ihren Mann aus und ist entschlossen, ihre Beziehung um jeden Preis zu verteidigen. Auch dieses Paar bekommt eine Tochter: Carla repräsentiert die moderne, alleinstehende Frau des neuen Jahrtausends, die in der ganzen Welt herumreist, um ihren Weinhandel aufrechtzuerhalten, und die zusammen mit ihrem Vater im Jahr 2002 die losen Fäden der Geschichte zusammenführt.

Sexualität wird in Die Frauen von La Principal offen und zwanglos thematisiert. Die Liebe ist vielseitig, sie wechselt ihr Gesicht und verändert die Menschen, die von ihr zehren. Die Herrinnen des Anwesens ordnen sich nicht einem starken Mann unter. Homosexualität wird zu einem Kernthema des Romans, und realistisch zeigt Llach, wie die Menschen hinter einer traditionellen, konservativen  Fassade versuchen, ihre Liebe frei zu leben.

Spanien aus einer anderen Zeit

Zunächst scheint die spanische Provinz wie aus der Zeit gefallen und politische Gegebenheiten weit weg vom beschaulichen Gang der Ereignisse auf dem Gut. Die „nationale Erhebung“ stellt zwar einen Einschnitt im Leben der Charaktere dar. 1940 aber denkt keine der handelnden Personen an Krieg, der durch Europa tobt, und die Politik des Franco-Regimes scheint ohne wirklichen Einfluss auf die Geschichte zu sein. Jedoch ist das brisante Setting der Story entscheidend für die Polizeiarbeit im Mordfall auf der Principal. In der subtilen Verflechtung politischen Machtwillens in einer scheinbar provinzlerischen Geschichte liegt die Brillanz dieses Romans. Im Miniaturrahmen von Ríus zeigt sich die Verlogenheit eines Regimes, das sich in seinen eigenen ideologischen Widersprüchlichkeiten verstrickt.

Der Stil von Lluís Lach ist märchenhaft erzählend, getragen und gemächlich. Die Geschichte jedoch ist so intensiv beschrieben, dass der Leser die leuchtenden Farben hunderter Rebstöcke in der abendlichen spanischen Herbstsonne vor seinem geistigen Auge sieht. Llach hat einen stimmungsvollen Roman zu Papier gebracht, der die Leser ab der ersten Sekunde gefangen nimmt und noch lange nach der letzten Seite nachhallt. Die Vielschichtigkeit der Charaktere und die verschiedenen Facetten der Geschichte fängt er wunderbar ein. Der Leser bekommt einen authentischen Einblick in das katalanische Lebensgefühl einer vergangenen Zeit. Dort unten gibt es keine Kriminalfälle, wie sie im England von Agatha Christie geschehen, bemerkt Inspektor Recader treffend. In der kleinen Provinz behauptet sich das erhabene, stolze Spanien gegen ein unterdrückendes Regime.

 

Lluís Llach: Die Frauen von La Principal
Insel, 366 Seiten
Preis: 10,95 Euro
ISBN: 978-3-458-36257-9

 

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