Was tun, wenn die Leserzahl der eigenen Zeitung fortwährend abnimmt? Wenn in der Redaktion der ostdeutschen Kleinstadt keine bedeutenden Nachrichten mehr eintreffen und die Fusion mit einem größeren Blatt droht? Man erschafft sich die Schlagzeilen einfach selbst und liefert damit als Lügenpresse Kanonenfutter für die Rechten. Was nach politischer Brisanz klingen könnte, ist in Jan Neumanns Auftragswerk Bombenstimmung zu einer soliden, aber harmlosen und zum Teil überzogenen Komödie geworden – was nicht zuletzt an Hasko Weber liegt, der jetzt die Uraufführung mit seinem Weimarer Ensemble bei den Ruhrfestspielen inszenierte.
von ANNIKA MEYER
Die Lage ist angespannt: Nur noch Peter – Sport, Wirtschaft, Feuilleton, Vermischtes, manchmal Politik – und Marina – Anzeigen – sind die verbliebenen Mitarbeiter, die unter Chefredakteur Daniel – Sport und Politik, wenn er nicht grad auf Fortbildung ist – versuchen, eine kleine Tageszeitung am Leben zu halten. Der Wahlkampf um den Posten des Bürgermeisters tobt vor der Tür; die Rechten belagern das Städtchen, während der Amtsinhaber der angeblichen Mitte Horst Kurz durch einen Updatefehler von der Presse für tot erklärt wurde und um seine Wiederwahl fürchtet. Außerdem versucht der überambitionierte Daniel seine Angestellten davon zu überzeugen, dass Peters schwuler Neffe Heiko in Halle radikalisiert wurde und nun Teil einer islamischen Terrorbewegung ist. Viele Stränge laufen also in einem temporeichen Verwirrspiel zusammen, als nacheinander drei Bombendrohungen eintreffen, die – von unterschiedlichen Leuten aus verschiedenen Gründen geschrieben – die Zeitung, die Politik und Heikos Ruf retten sollen.
Tänzelnde Redakteure und strippende Handwerker
Grundsätzlich spricht vieles für einen unterhaltsamen und gewitzten Abend. Jan Neumann, Hausregisseur des DNT Weimars, versteht es, rasante Wortspielereien auf kluge Pointen und leichten Slapstick treffen zu lassen. Leider gelingt es dem Weimarer Intendanten Hasko Weber teilweise aber nicht, das Timing und die Finesse des geschriebenen Wortes auf die Bühne zu transportieren. Krunoslav Šebrek als Chefredakteur Daniel ist eine überspitzte Parodie auf einen übermotivierten Karrieristen, dessen autosuggestive Übungen eher nerven als amüsieren. Und auch Anna Windmüller mimt die naive und gutmütige Anzeigenberaterin Marina oft zu überzogen. Lutz Salzmann als Peter überzeugt hingegen als resignierter Allrounder mit herrlich altmodischen Hemden (Bühne und Kostüme: Cary Gayler), und auch Sebastian Nakajew als Handwerker Marcel weiß in zu engem Rennraddress und mit Klebepistole nicht nur Marina, sondern auch das Publikum zum Schmunzeln zu bringen. Solide spielen auch Julius Kuhn als Heiko, das Islamisten küssende Opfer eines Missverständnisses – was müssen Polizisten auch so schwerhörig sein! –, und Max Landgrebe als verzweifelter Noch-Bürgermeister Horst Kurz, der mit seiner Mischung aus Vortrag und Lied über die Macht jedoch weder Lacher noch Erleuchtung ernten kann.
Feuer frei?
Cary Graylers Bühnenbild lässt trotz der eher kleinen Spielfläche viel Raum für Auf- und Abgänge, Verwechslungen und Überraschungsmomente. Auch der Einsatz von Rotlicht und Rammsteins Feuer frei ist ein passender Einfall, die Szenen flüssig ineinanderlaufen zu lassen: Schließlich wird in der den Abend umrahmenden Anfangs- und Endszene darüber abgestimmt, ob man sich nach dem versehentlich tatsächlich ausgeführten Bombenanschlag – wenn man schon Fake News erschafft, kann man auch gleich die Fakten dazu kreieren – im Himmel oder in der Hölle befindet. Jeden neuen Auftritt der Figuren mit einem kurzen Einspieler von Rammstein zu untermalen und eine Frauenstimme hin und wieder unnötige Regieanweisungen einsprechen zu lassen, ist jedoch eher plump und verhindert meist sogar, dass die Handlung an Tempo gewinnt. Sicher ist – vor allem durch Neumanns gute Textvorlage – eine ordentliche Komödie bei den Recklinghäuser Ruhrfestspielen gezeigt worden. Doch vielleicht sollte man eher Biedermann und die Brandstifter oder Gefährliche Liebschaften am Schauspielhaus Bochum angucken, um sich von Hasko Webers und Jan Neumanns Regietalent zu überzeugen.