
Ayad Akhtars “Geächtet” vom Wiener Burgtheater bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen Foto: Georg Soulek
Bei den Recklinghäuser Ruhrfestspielen werden dieses Jahr unter dem Motto „Kopf über, Welt unter“ große, oft unbequeme Fragen und komplexe Themen auf verschiedenste Weise auf der Bühne präsentiert und verhandelt. Ayad Akhtars mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Stück Geächtet könnte damit den Kern der diesjährigen Spielzeit treffen – der Regisseurin Tina Lanik und dem Dramaturgen Florian Hirsch vom Wiener Burgtheater fehlt es jedoch an Mut zur Kürzung und Abstraktion, um den Zuschauer bei all den Abhandlungen über das Für und Wider des Islams, die Frage nach dem individuellen Wert des Glaubens u. v. m. emotional am Ball zu halten.
von ANNIKA MEYER
In einem weiß in weiß eingerichteten offenen Wohnzimmer (Bühnenbild: Stefan Hageneier) begegnet man einem erst einmal typisch erscheinendem New Yorker Paar: Amir ist Anwalt und stets am Handy, um sich die Karriereleiter hochzuarbeiten, Emily ist Malerin und versucht optimistisch und nicht immer erfolglos, ihre Bilder in Ausstellungen zu präsentieren. Beide unterstützen das Berufs(aus)leben des Anderen – wäre da nicht ein Knackpunkt: Amir, als Amir Abdullah in Pakistan geboren, hat seinen Namen in ein anscheinend harmloser klingendes indisches „Kapoor“ geändert, um perfekt assimiliert in den USA den American Dream zu leben. Er hat sich vom muslimischen Glauben abgewandt und verachtet die Lehren, die er für sich aus dem Koran zieht und die er für rückständig und für (vor allem das weibliche) Individuum verachtend hält. Seine Frau Emily hingegen hat die islamische Kunst für sich entdeckt und sich zu einer Fürsprecherin der Religion entwickelt, die die in der Renaissance verlorengegangenen Werte der Gemeinschaft und des Zusammenhalts hochhalte. Hier nun setzt die Handlung ein: Amir spricht sich – auf Wunsch seines gläubigen Neffen – für einen fairen Prozess für einen Imam aus, der angeblich Geld für Terroristen gesammelt hat. Sein vermeintlich indischer Hintergrund wird daraufhin in der vorwiegend jüdischen Kanzlei infrage gestellt und nicht er, sondern seine Kollegin Jory letztendlich zur Partnerin gemacht.
Sprache statt Spiel
Doch bis Amir seine Beförderung – und letztlich gar seinen Job, seine Wohnung und seine Frau – verliert, wird noch viel geredet. Über religiöse Statements in der Kunst, über den Einfluss des Islams auf die westliche Kultur. Über die Behandlung von Muslimen in den USA nach 9/11. Über die Ausdifferenzierung der Religion und ihrer politischen Nutzung. Über das Für und Wider der weiblichen Verschleierung und Lesarten des Korans. Ja, der Zuschauer wird geradezu überhäuft mit komplexen Ansichten, aber auch mit unnötigem Namedropping von Künstlern und Theoretikern. Bei aller Brisanz und gelungener Vielfalt der Thesen und Meinungen zermürbt es auf Dauer, dass das Ensemble eher als reines Sprachrohr des Autors zu fungieren scheint, als dass es die Bühne als theatralen Ort für pointierte Handlung nutzt.
Dabei gibt es viele gute Szenen des eigentlich starken Wiener Ensembles: Fabian Krüger als Amir berichtet gelungen einfühlsam und beschämt von seiner ersten Liebe Rivka, die er – beeinflusst von seiner gläubigen Mutter – aufgrund ihrer jüdischen Herkunft anspuckte, und legt gekonnt die Ambivalenz der Rolle dar, wenn er in alte Muster verfällt, als er den jüdischen Isaac – zufällig Jorys Mann und Emilys Kurator – auf die gleiche Weise beim Höhepunkt des sich aufbauschenden Streits demütigt. Nicholas Ofczarek gibt wunderbar überheblich den Kunstvermittler Isaac, der mit seiner „Teilnahme“ am Bullenrennen in Pamplona zu prahlen versucht und Amir gekonnt und drastisch vor Augen führt, dass Fundamentalismus nicht in der Religion, sondern im Individuum verankert ist. Christoph Radakovits zeigt als Amirs Neffe Hussein einen beeindruckenden Wandel vom naiven Moslem, der anfangs aus Selbstschutz seinen Namen in „Abe“ ändert und später aus Hass über die Ungerechtigkeit der USA gegenüber Moslems zu einem radikalen Islamisten zu werden droht. Und Katharina Lorenz überzeugt als Emily sowohl als gutgläubige und weltoffene Künstlerin als auch als desillusioniertes Prügelopfer.

Ayad Akhtars “Geächtet” vom Wiener Burgtheater bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen Foto: Georg Soulek
Mut zur Lücke!
Emilys Porträt von Amir ist es auch, das als anfangs unauffälliger roter Faden durch das Stück läuft und für ein starkes Abschlussbild sorgt: Allein in der leeren Wohnung, betrachtet und imitiert Amir Emilys Bild von sich, das an Velázquezʼ Juan de Pareja angelehnt ist. Amir, einst 600$-Charvet-Hemden tragender Anwalt, ist zuletzt nur noch der stolze Sklave im schlichten Wollpullover, der an ebendiesem Stolz zugrunde gegangen ist. Man hätte sich mehr solcher Theaterbilder, Anekdoten und kleiner Gesten, die zur Interpretation einladen, gewünscht, um den reichhaltigen Pool an Aussagen, die das Stück bereithält, auszudrücken. Stattdessen werden viele Gedanken und Theorien zerredet, die Bühne als Medium scheint an manchen Stellen gar überflüssig und könnte einem gutgeschriebenen Essay weichen. Ayad Akhtar mag zurecht mit seinen hochaktuellen und komplexen Stücken die deutschsprachigen Bühnen in den letzten Jahren erobert haben. Der Wiener Inszenierung mangelt es jedoch am Mut zur (gesprochenen) Lücke, um nicht nur die Botschaft, sondern auch die Emotionen und Spannungen des Stückes übertragen zu können.
Informationen zur Inszenierung