Das Düsseldorfer Schauspielhaus bringt Arthur Millers Hexenjagd auf die Bühne. In der Regie des Russen Evgeny Titov entwickelt das Stück mitunter einen düsteren Sog, verblasst aber insgesamt wegen seiner etwas ideenlosen Imitation konventioneller cineastischer Effekte. 14 leidenschaftliche Schauspieler berühren das Publikum ungeachtet ihrer schablonenhaften Rollentypen.
von HELGE KREISKÖTHER
Arthur Millers Hexenjagd (im Original The Crucible) gehört längst zum Klassikerkanon sowie zur festen Lektüre im Englischunterricht und in vielen Theater-AGs. Uraufgeführt wurde das Drama 1953. Die Handlung ist zwar in einem wesentlich früheren Kontext angesetzt – Salem im Jahre 1692, um genau zu sein –, greift jedoch den paranoiden Zeitgeist der McCarthy-Ära auf, um zeitlose gesellschaftliche Themen auf die Bühne zu bringen: die Angst vor dem Fremden, die Vermischung von persönlicher Rache und öffentlicher Bloßstellung, Denunziation und Rufmord versus beherztes Füreinander-Einstehen, Aufklärungs- und Gerechtigkeitsarbeit.
Alles beginnt mit einem merkwürdigen rituellen Akt mitten im Wald, bei dem Abigail, Betty und einige weitere Mädchen vom Gemeindepfarrer Parris, ihrem Onkel respektive Vater, entdeckt werden. Am Folgetag ist Abigail krank und zeigt sich hysterisch, sodass im puritanischen Dorf das Gerücht von Hexerei die Runde macht. Man zieht den Exorzisten John Hale zurate, der allerdings nicht zu „heilen“ vermag, sondern die Angst, der Teufel gehe in Salem um, noch weiter schürt. Ein Gerichtsprozess wird einberufen, in dem die – ursprünglich verdächtigten – Mädchen als Zeuginnen beginnen, jede und jeden zu beschuldigen. Nur John Proctor, mit dem Abigail einst eine Affäre hatte, erkennt, dass sie nur mit der Angst der Allgemeinheit spielt, um einen persönlichen Rachefeldzug zu initiieren.
Kino oder doch Theater?
Nachwuchsregisseur Evgeny Titov, Jahrgang 1980 und Absolvent des Wiener Max-Reinhardt-Seminars, verlegt das Setting des gesamten Abends in eine Schlachthaus-Atmosphäre, welche ein wenig an den ersten Saw-Film erinnert (Bühne: Christian Schmidt). Im ersten Teil sieht man noch ein Bett, auf dem fleißig exorziert wird, im zweiten dann zahlreiche Stühle – stellvertretend für den Gerichtssaal – und schließlich einen Berg von Plastiktüten, vermutlich voller Leichen (Requisite: Driton Kamberi, Robin Pötschke). Ein solches Bühnenbild erscheint legitim, stiftet es doch Einheit und stellt von Beginn an klar, dass Hexenjagd eine überaus düstere Gesellschaftsentwicklung nachzeichnet. Aktualitätsbezüge zu heutigen Stimmungsmachern, Verschwörungstheoretikern und populistischen Angstschürern vermeidet Titov konsequent. Die zeitlose psychologische Frage, wie sich Individuen verhalten, wenn das Kollektiv zum (Wolfs-)Rudel wird, erscheint ihm relevanter. Gleichwohl könnte man Titov vorwerfen, dass er es sich ganz schön einfach macht, denn sein Zuschnitt ist oldschool-naturalistisch – ein echter Blickfänger die schwarze Kuh, die von der Decke plumpst und daraufhin von Elizabeth (Judith Bohle) ausgeweidet wird – und vor allem cineastisch. Harte Schnitte inklusive sekundenlanger Finsternis im Publikum (Licht: Konstantin Sonneson) erfolgen leitmotivisch, begleitet von dumpfen Trommelschlägen, verzerrten Stimmen und dem Gekreische der hysterischen Mädchen auf der Bühne – durchaus effektvoll, aber oftmals leider auch vorhersehbar und irgendwann eine Spur zu viel.
Die Dosierung des Pathos
Die starken Szenen des Abends leben von der Hingabe der beklemmend schwarz-weiß eingekleideten Darsteller (Kostüme: Nicole von Graevenitz), nicht nur in den Haupt-, sondern erfreulicherweise auch in allen Nebenrollen. Als Primi inter Pares sind Sebastian Tessenow, der trotz einiger Versprecher einen selbstgewissen, nie selbstgerechten Proctor verkörpert, und Stefan Gorski als renommierter Teufelsaustreiber Hale hervorzuheben. Letzterer begreift den Wahnsinn der maßlosen „Säuberungsaktionen“ am Ende naturgemäß am deutlichsten. Für ihre energetische Darbietung müssen weiterhin die fünf Damen aus dem Ensemble und von außerhalb gelobt werden, welche u. a. in die Rollen der vier pubertären Mädchen schlüpfen: Tabea Bettin alias Abigail (faszinierend zwischen Lolita und Lady Macbeth), Lieke Hoppe alias Mary (am besten in den schmerzvollen Momenten), Cennet Rüya Voß alias Betty und Janna Gangolf alias Susanna. Bianca Twagiramungu spielt die barbadische Sklavin Tituba, vermeintliche Anstachlerin der „Abtrünnigen“, deren Aussage bei Miller bezeichnenderweise am wenigsten Glauben geschenkt wird (Martin Luther Kings I have a dream-Rede sollte erst zehn Jahre nach Uraufführung von The Crucible gehalten werden). Titov legte Wert darauf, dass sie, fernab von jeglichem Blackfacing, auch von einer farbigen Schauspielerin auf die Bühne gebracht wird.
Tendenziell wirkt die Machart der Düsseldorfer Hexenjagd leider zu platt, zu drehbuchhaft. Natürlich ist schon der Originaltext dramaturgisch und stilistisch „einfacher“ konstruiert als ein Shakespeare: Miller war unverblümt sozialkritischer Zeitgenosse von Tennessee Williams und Raymond Carver. Dass gewisse Dialoge mit Pfarrer Parris (Thomas Wittmann) oder Richter Danforth (Florian Lange) nur die stereotype Verblendung ihres Berufsstandes illustrieren, ist also z. B. gewollt. Dass manche Szenen, die an sich schon genügend kathartisches Potenzial mit sich brächten, jedoch fast hollywood-artig in die Länge gezogen werden (vor allem betrifft das die emotionale Abschiedsszene zwischen den angeketteten Eheleuten Proctor im Gefängnis), erscheint bedauerlich. Stattdessen hätte Titov vielleicht die psychologischen Abgründe noch weiter, noch detaillierter, mit ein wenig mehr Gelassenheit und weniger Actioneffekten ausloten können. Es scheint, als traue er sich noch keine eindeutigere eigene Handschrift zu und setze daher umso mehr auf „treffsichere“ Mittel einer mit biblischen Anspielungen durchzogenen Bühnenparabel.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
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