Brunftzeit im Schlachthof

FILMPLAKAT_Ildikó Enyedi_Körper und Seele_Inforg-M&M Film Kft.Liebesfilme sind abgeschmackte Massenware? Fast Food für Hausfrauen Mitte Vierzig? Der neue Film der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi, Körper und Seele, erzählt zwar eine Liebesgeschichte, aber Freunde von seichter Romantik werden hier sicherlich keine Schmetterlinge im Bauch bekommen.

von CAROLIN KAISER

Zugegeben, es gibt romantischere Orte als einen industriellen Schlachtbetrieb. Entsprechend selten ist der Schlachthof dann auch Schauplatz von romantischen Filmen. Allerdings sind Finanzberater mit gelähmtem Arm und autistische Qualitätsprüferinnen mindestens genauso selten die Protagonisten solcher Filme. Überhaupt stellt sich die Frage, ob man Ildikó Enyedis neuen Film Körper und Seele wirklich als Liebesfilm bezeichnen möchte. Melodrama klingt auch zu sehr nach Gute Zeiten, Schlechte Zeiten. Aber vielleicht sollte man einen Film, der davon handelt, dass besagter Finanzberater und besagte Qualitätsprüferin sich in ihren Träumen in einem verschneiten Wald als Hirsch und Hirschkuh treffen, nicht allzu stark an Genreeinteilungen binden?

I had a dream – Wie, Sie auch?!

Nach einer beruhigenden Szene im tiefsten Winterwald, wo sich ein Hirsch und eine scheue Hirschkuh näherkommen, kommt der Schnitt zu dreckigen, dicht gedrängten Kuhfüßen. Wer kein Blut sehen kann oder PETA-Mitglied ist, braucht gar nicht weiterzulesen – der Film versteckt nicht, dass er in einem Schlachtbetrieb spielt. Ganz im Gegenteil. Wer schon immer mal sehen wollte, wie das Blut aus einer Kuh spritzt, die gerade geköpft wurde – herzlichen Glückwunsch! Aber keine Sorge, die Schlachtung von Rindern ist nicht der Hauptfokus des Films. Der liegt auf Endre (Géza Morcsányi), circa Ende vierzig, mit gelähmtem Arm, Finanzberater in einem Schlachtbetrieb, und Mária (Alexandra Borbély), jung, hübsch, intelligent und sozial komplett unbrauchbar. Endre und die anderen Mitarbeiter des Schlachthofs versuchen, die neu angestellte Mária in ihr Kollegium einzugliedern, doch die in sich gekehrte Frau lässt alle Avancen an sich abprallen. Dass es sich bei ihr nicht um eine hochnäsige Eiskönigin, sondern um eine verunsicherte Frau mit möglichen psychischen Ursachen für ihr zurückgezogenes Verhalten handelt, wird dem Zuschauer früh vermittelt. Nach ihrem ersten Arbeitstag sitzt Mária zuhause an ihrem Esstisch, spielt mit Salz- und Pfefferstreuer ihr Gespräch mit Endre nach und versucht, die Worte zu finden, die ihr für einen gelungenen Small Talk mit Endre hätten einfallen müssen.

Szenen mit den beiden Hirschen kennzeichnen den Übergang von einem Tag zum anderen. Auch weniger spitzfindige Zuschauer kommen schnell zu dem Schluss, dass es sich um Träume der beiden Hauptfiguren handeln muss. Als Mária und Endre im Rahmen einer psychologischen Untersuchung der Schlachthofangestellten erfahren, dass sie beide seit Tagen denselben Traum haben, sucht Mária nun auch von sich aus den Kontakt zu Endre. Was danach folgt, ist ein vorsichtiges Annähern mit mehr als der einen oder anderen – von der Regisseurin bewusst so inszenierten – peinlichen Stille.

Meditation für zwischendurch

Ein aufgeregter Film ist Körper und Seele sicherlich nicht. Besonders die Waldszenen wirken fast schon meditativ. Obwohl der Film durchaus ein großes Potenzial zur Langatmigkeit hat, merkt man nicht jede der 116 Minuten auf dem Sitzfleisch. Aber natürlich ist der Film nur was für Leute, die sich auch für etwas schwerere Filmkost interessieren.

Ja, der Film hat gewisse Schwachstellen – manche Handlungspunkte außerhalb der Liebesgeschichte werden ein bisschen halbherzig behandelt, die Hirschszenen und das Schlachthofsetting degenerieren in der zweiten Hälfte des Films auch eher zu Stiefkindern, und wer irgendwelche Erklärungen oder Infragestellungen dieser ganzen Seelenverwandtschaftsgeschichte sucht, wird hier nicht bedient. Aber abgesehen davon, ist Körper und Seele ein angenehm melancholischer Film, der sich trotz Liebesgeschichte nicht zu sehr in Kitsch und Klischees verirrt.

Körper und Seele (2017). Regie: Ildikó Enyedi. Darsteller: Alexandra Borbély, Morcsányi Géza, Réka Tenki, Zoltán Schneider, Ervin Nagy. Laufzeit: 116 Minuten. Seit dem 21. September im Kino.

Ein Gedanke zu „Brunftzeit im Schlachthof

  1. Ich finde den Film ganz wunderbar und stimme dir zu, dass er eher etwas für Menschen ist, die schwere Filmkost mögen. Den Goldenen Bären auf der Berlinale hat er meiner Meinung nach auf jeden Fall verdient. Außergewöhnliche Story und ganz ganz starke Bilder!

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