Zur Eröffnung der Spielzeit 2017/18 präsentiert das Essener Aalto-Musiktheater den vielleicht größten Klassiker des tschechischen Musiktheaters, Smetanas Die verkaufte Braut, auf Deutsch. Während das junge Regieduo SKUTR inszenatorisch nur wenige Akzente setzt, lässt der Abend in musikalischer Hinsicht beinah keinen Wunsch offen. Vor allem Jessica Muirhead in der Titelpartie und Tomáš Netopil an der Spitze seiner Essener Philharmoniker sorgen für genussvolle Momente.
von HELGE KREISKÖTHER
Bedřich Smetana, der noch auf den deutschen Vornamen Friedrich getauft wurde, gilt vor allem aufgrund seiner mehrteiligen Sinfonischen Dichtung Mein Vaterland (hierin die berühmte Moldau) als Begründer der tschechischen Nationalmusik. Die böhmischen Tänze Polka, Furiant und Skočná machte er „salonfähig“ und übte damit nachhaltigen Einfluss auf spätere Komponisten wie Dvořák und Janáček aus. Die verkaufte Braut (im Original: Prodaná nevěsta) wurde 1866 in Prag uraufgeführt und gehört neben Die Brandenburger in Böhmen, Dalibor und Libussa zu Smetanas dezidiert volkstümlichen Nationalopern. Da der Komponist im Alter unter Taubheit litt, einer zunehmenden Geisteskrankheit verfiel und 1884 bereits mit 60 Jahren starb, konnte er den internationalen Siegeszug seines Bühnenwerks leider nur im Ansatz miterleben. Heute erfreut sich Die verkaufte Braut auf den Opernbühnen großer Beliebtheit.
In einem böhmischen Dorf gehen der verschuldete Kruschina und seine Frau Ludmilla einen Deal mit dem Heiratsvermittler Kezal ein: Für ganze 300 Dukaten soll ihre Tochter Marie an Wenzel, den einfältigen Sohn eines Gutsbesitzers, verkauft werden. Sie hat jedoch nur Augen für den Fremden Hans und diesem bereits selbstgewiss die Treue versprochen. Als aber auch er nach einem Fest überraschenderweise dem „Handel“ mit seiner Geliebten zustimmt, ist Marie hin- und hergerissen zwischen quälender Sehnsucht und trotzigen Rachegelüsten. Am Ende geht alles gut aus: Es findet – dank Hans – doch zusammen, was zusammengehört.
Zündende Partitur
Karel Sabinas Libretto zur Verkauften Braut bringt alles mit sich, was man von einer folkloristisch inspirierten Komischen Oper erwarten dürfte: Szenen aus dem „Landleben“ – verdichtet im Mikrokosmos einer sensationsgierigen Dorfgesellschaft, die Bier und Tanz schätzt –, eine dickköpfige, aber vor allem edelmütige Titelheldin, stark kontrastierende „Bewerber“ aus Mittel- und Oberschicht sowie einen raffgierigen Halunken, der schließlich klein beigeben muss. Mitreißend und zeitlos wird die Textvorlage allerdings erst durch Smetanas Musik, die sehr plastisch die zwischenmenschlichen Prozesse nachzeichnet, sich nicht nur in Arien und Duetten mit melodischem Schmelz, sondern auch in ausgelassen-rhythmischen Orchesterpassagen äußert. Schon die spieltechnisch herausfordernde Ouvertüre steckt voller thematischer Abwechslung, was die Essener Philharmoniker in eindrucksvoll rasantem Tempo belegen. Der Vorhang öffnet sich schon während der ersten Takte, und sogleich befindet sich Marie auf der Bühne: Dass die britisch-kanadische Sopranistin Jessica Muirhead, die schon als Elsa in Lohengrin oder als Micaëla in Carmen bejubelt wurde, stimmlich und darstellerisch in dieser etwas verkannten Rolle aufgeht (wandlungsfähig statt nur naiv), wird schnell klar. Sie präsentiert sich über den gesamten Abend souverän. Nach ihr müssen auch der Bass Tijl Faveyts als gewieft-schrulliger Kezal (sein Deutsch ist mit am verständlichsten) und der Tenor Richard Samek als beherzter Hans hervorgehoben werden. Der Opernchor des Aalto-Theaters (Einstudierung: Jens Bingert) agiert besonders an jenen Stellen wunderbar unterhaltsam, wo sich Frauen und Männer ihre Passagen „entgegnen“.
Giraffe, Teddybär & Co.
Die erste Szene präsentiert eine große Turnhalle mit einem Basketballkorb, Seilen, Barren und aufgetürmten Stühlen (Bühne: Martin Chocholoušek). Man vermag sich durchaus vorzustellen, wie sich dieser Ort in unmittelbarer Nachbarschaft eines zentralen Dorfplatzes befindet oder von den Bewohnern womöglich selbst als Feierstätte umfunktioniert wird (Dramaturgie: Svenja Gottsmann). Verändern wird sich dieses Setting innerhalb der Inszenierung von SKUTR (das sind Martin Kukučka und Lukáš Trpišovský) nicht mehr sonderlich: Abgesehen von einigen geschickten atmosphärischen Andeutungen (Waldkulisse, Kerzen), amüsanten Requisiten diverser Größenordnungen (u. a. eine Giraffenattrappe) und der zeitweiligen Erweiterung des Raumes durch Öffnung der Seitenwände bleibt das Konzept verhältnismäßig konventionell. Anstatt Zeitbezüge herzustellen oder gar politische Botschaften zu konstruieren, scheinen die beiden Regisseure, auch mithilfe der bunten Kostüme von Simona Rybáková, die komödiantische, also die Buffo-Note der Oper unterstreichen zu wollen. Der Spagat zwischen der konsequenten Verwerfung des klischeehaft Volkstümlichen und seiner gleichzeitigen Überstrapazierung (v. a. durch „Comedynummern“ und reichlich Konfetti) gelingt ihnen, ob Mangel oder Absicht, allenfalls situativ.
Schade ist, dass die Essener Aufführung (in der Übersetzung von Kurt Honolka) auf Deutsch gesungen wird, denn somit geht zwangsläufig ein Stück des tschechischen Lokalkolorits verloren und man assoziiert so manche Textstelle aus den Übertiteln unwillkürlich mit dem Operettenkitsch eines Kálmán oder Franz Lehár. Deutsch, Italienisch oder Französisch fällt international tätigen Opernsängern natürlich um einiges leichter, doch ist ja z. B. auch Tschaikowskijs Eugen Onegin im Aalto-Theater im russischen Original inszeniert worden. Seiʼs drum: Diese Spielzeiteröffnung „aus Böhmens Hain und Flur“ kann sich allemal sehen, vor allem aber hören lassen. Und sie macht, zwischen den üblichen Longsellern, neugierig auf eventuelle weitere Aufführungen Komischer Opern. Vielleicht einmal Zar und Zimmermann?
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
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