Auf ein Gläschen Absinth in den Rhein

Wagners "Rheingold" an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Hans Jörg Michel

Wagners “Rheingold” an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Hans Jörg Michel

Die Deutsche Oper am Rhein erarbeitete unter der Regie von Dietrich W. Hilsdorf eine Rheingold-Inszenierung, die schonungslos mit Richard Wagner umgeht, während sie gleichzeitig sein musikalisches Genie ehrt. Nach Premiere und Spielzeit in Düsseldorf schwimmt Hilsdorfs Vorabend zur Ringtetralogie den Rhein entlang und feierte nun Premiere im Duisburger Opernhaus. Hier wurde es vom Publikum gefeiert und lässt auf weitere spannende Wagner-Abende an den Häusern am Rhein hoffen.

von STEFAN KLEIN

Noch bevor die Kontrabässe aus dem Orchestergraben mit ihren wabernden Es-Tönen zu hören sind, steht der Gott Loge (Raymond Very) auf der Bühne, vollführt einen kleinen Zaubertrick mit Flammen in seinen Händen und zitiert Heinrich Heine. Mit Ich weiß nicht was soll es bedeuten stellt Regisseur Dietrich W. Hilsdorf seinem Ring-Auftakt den Beginn von Heines Loreleylied voran. Der jüdische Autor beschreibt in seinem Gedicht eine betörende Frauengestalt, die mit ihrem Gesang Seeleute umgarnt und deren Schiffe auf Grund laufen lässt. In der Rheingold-Interpretation Hilsdorfs nimmt nun eindeutig der Komponist Wagner die Rolle des Verführers ein. Betrachtet man die Ring-Saga rein auf dem Papier, ist hier zwar von allerhand Gewalt, Intrigen und Kämpfen zu lesen, doch es bleibt alles weitestgehend harmlos und immer deutlich im Reich des Fantastischen. Erst auf der Bühne zeigt sich, welch ideologische Zuordnungen in der Geschichte stecken könnten. Und so präsentiert Hilsdorf an der Oper am Rhein ein Rheingold, das durch seine Schwarz-Weiß-Zeichnung dem Komponisten sicher gefallen hätte. Das Regieteam entlarvt den Antisemiten Wagner und macht deutlich, wie mit Mitteln der Musik und der Inszenierung das Publikum gelenkt werden kann.

Leichte Mädchen und ein diebischer Zwerg

Wagners Rheingold beginnt mit einem Vorspiel, das kaum mehr Spannung erzeugen könnte. Nach und nach baut sich ein Klanggebilde auf, das den Hörer soghaft plätschernd von der Quelle des Flusses bis zu seinen reißenden Stromschnellen führt. Der Rhein entspringt vor dem inneren Auge und wirft einen mitten in die epochale Geschichte rund um das Rheingold, seine Macht, die Götter, Intrigen und Gier.

Wenn sich der Vorhang öffnet, stehen die Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Floßhilde in einem Salon des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Sie trinken Absinth und sind gekleidet wie Kurtisanen. Ihre Aufgabe ist es, das Rheingold zu bewachen. Als der Nibelung Alberich auftaucht, umgarnen die Damen den Zwerg, um ihn abzulenken. Alberich jedoch entsagt der Liebe und raubt das mächtige Rheingold, um sich daraus einen Ring schmieden zu lassen. Loge beobachtet die Szene und nimmt die Rheintöchter mit zum Gott Wotan, der den Damen erst seine Hilfe anbietet, als seine Schwägerin Freia von den Riesen Fasolt und Fafner entführt wird und diese eben jenes Rheingold als Lösegeld für Freia, die Hüterin der Jugend unter den Göttern, fordern.

Karikaturen zur Unterstützung des Regiekonzepts

Dieter Richter entwickelte eine leicht angeschrägte und kurze Bühne mit wenig Ausstattung. Lediglich ein paar Tische und eine seitlich angebrachte Treppe, die die Rheintöchter zum lasziven Räkeln einlädt, sind dauerhaft auf der Bühne zu sehen. Im Hintergrund erstreckt sich eine große Projektionsfläche, die das Geschehen bei den Rheintöchtern noch zu spiegeln scheint und so Raum für weitere Interpretationen lässt, dann jedoch schnell einfach nur noch „da“ ist. Befinden wir uns beispielsweise in der Götterwelt, so sind dort ein blauer Himmel mit weißen Wölkchen zu sehen. Hier wäre sicher Potenzial gewesen, das nicht genutzt wurde.

Dennoch wird es optisch nie langweilig. Effektvolle Durchbrüche, mit denen die Bergwerkarbeiter die bürgerliche Fassade sprichwörtlich zum Bröckeln bringen, oder auch die Decke, die donnernd einer riesigen Klaue nachgibt, sorgen nahezu für Action und dank Volker Weinharts Lichtregie für atmosphärische Bilder. So wird vor allem Nibelheim zu einem zwielichtigen und düsteren Ort und setzt sich von dem eleganten Salon der Götterwelt ab.

Auch die Figurenzeichnung dieser Inszenierung lässt keine Fragen im Raum stehen. Renate Schmitzers Kostüme unterstützen maßgeblich das Regiekonzept der anzunehmenden plakativen Denkweise Wagners. Während die heldenhaften Götter in eleganten Gehröcken, teuren Abendroben und gutbürgerlichen Mänteln daherkommen, sehen die Zwerge in Nibelheim aus wie jüdische Karikaturen aus NS-Propagandafilmen und dreckige Kohle-Kumpel. Die Riesen Fasolt und Fafner werden als listige plateausohlentragende Tischlergesellen auf die Bühne geschickt und sind trotz des imposanten Schuhwerks leider kaum größer als das übrige Personal.

Wagners "Rheingold" an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Hans Jörg Michel

Wagners “Rheingold” an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Hans Jörg Michel

Bayreuther Luft und etablierte Stimmen

Generalmusikdirektor und Bayreuth-Routinier Axel Kober hat die Duisburger Philharmoniker gut im Griff und weiß die starke Wirkung von Wagners Komposition auszunutzen. Die pausenlose Inszenierung erfordert in jeder der zweieinhalb Stunden vollste Konzentration vom gesamten Orchester, sodass vom ersten Es-Dur-Akkord bis zum letztendlichen Einzug in Walhall der Spannungsbogen nicht abbricht. Die Duisburger meistern diese Aufgabe und hinterlassen ihr Publikum musikalisch gefordert, jedoch zufrieden.

Auch auf Seiten der Darsteller gibt es nichts zu beanstanden. Ob Stefan Heidemann als Alberich, Anna Princeva als Freia oder die Riesen Thorsten Grümbel und Lukasz Konieczny, alle sind gesanglich und im Spiel auf einem hohen Niveau. Herausheben sollte man jedoch James Rutherford. Der etablierte Wagner-Sänger glänzt in der Mammut-Partie des Wotan. Außerdem überzeugen Heidi Elisabeth Meier, Kimberley Boettger-Soller und Iryna Vakula als verführerische Rheintöchter.

In einigen Passagen, vor allem wenn sie auf der seitlichen Treppe spielen, ist es jedoch nicht immer leicht, die Sänger zu verstehen. Ansonsten kann man sich über weite Strecken die Übertitel sparen und sich auf das differenzierte Spiel der Darsteller einlassen.

Tiefstapeln, um hohes Lob zu ernten

Dietrich Hilsdorf sagte zu Vertretern der Presse im Juni dieses Jahres, man habe das Rheingold sicher schon sehr oft gesehen, doch gefallen habe es einem eigentlich nie. Mit dieser etwas polemischen Behauptung versuchte der Regisseur natürlich, die Erwartungshaltung möglichst gering zu halten. Dieses Tiefstapeln hätte er jedoch nicht nötig gehabt. Abgesehen von etwas fragwürdigen Entscheidungen, wie das bereits angesprochene Verpuffen der Möglichkeiten, die einem eine Videowand gegeben hätte, oder den Umsetzungen der leider notwendigen Verwandlungsszenen, hat Hilsdorf ein mehr als solides Rheingold geschaffen, das durch die historische Setzung in die Entstehungszeit der Oper sowie die schmerzliche Entlarvung des politisch fragwürdigen Komponisten Ideen präsentiert, die sicher dem gesamten Ring guttun werden, den die Zuschauer in Düsseldorf und Duisburg im Laufe des kommenden Jahres in seiner Gänze genießen können. Ob Hilsdorf an seinem Konzept des Wagner-Entlarvens festhält, bleibt abzuwarten und zu hoffen. Die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und unserer Kultur ist heute wahrscheinlich wichtiger denn je. Und dazu gehört es auch, Richard Wagner zwar als musikalisches Genie preisen und feiern zu können, doch gleichzeitig seine politischen Ansichten aufs Schärfste zu verurteilen. Dies gelingt der Oper am Rhein beispiellos durch musikalische Exzellenz und eine Inszenierung, die einem schmerzhaft vor Augen führt, nicht alles so hinzunehmen, wie es einem präsentiert wird.

Informationen zur Inszenierung

 

Nächste Vorstellungen:
Freitag, der 24. November 2017
Sonntag, der 03. Dezember 2017
Samstag, der 16. Dezember 2017
 

3 Gedanken zu „Auf ein Gläschen Absinth in den Rhein

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