49 Jahre seit Philip K. Dick und noch immer keine elektrischen Schafe!

Blade Runner 2049

Denis Villeneuves Blade Runner 2049 läuft seit dem 5. Oktober in den deutschen Kinos.

Hollywood hat es schon wieder getan. Nach Star Wars und Alien wurde jetzt der nächste Sci-fi-Meilenstein per Sequel aus den 70ern und 80ern ins 21. Jahrhundert gehievt: Denis Villeneuve wagt sich mit Blade Runner 2049 an eine Fortsetzung zu Ridley Scotts Blade Runner von 1982. Yay oder Nay? Eine Enttäuschung à la Star Wars: Episode I blieb uns immerhin erspart.

 

von CARO KAISER

Die Königsdisziplin der Produktentwicklung ist es, das Produkt herzustellen, von dem der potenzielle Kunde noch gar nicht erahnt, dass er so etwas überhaupt gebrauchen könnte. Zahnpasta-Ausquetscher, Weingläser mit Ausschnitt am Rand, damit die eigene Nase beim Trinken nicht im Weg ist, selbst umrührende Tassen, ein Sequel zu Blade Runner, Schlüssel mit eingebauter Mini-Taschenlampe – alles nett, aber bisher konnte ich auch ohne irgendetwas davon sehr erfüllt leben. Ist Blade Runner 2049 deswegen schlecht? Nein. Ist er so gut wie Ridley Scotts Original? Eher auch nicht. Hat er denn wenigstens etwas von dem beißenden Sarkasmus, der Philip K. Dicks Original Do Androids Dream of Electric Sheep? (1968) so unterhaltsam gemacht hat? Leider nein. Keine Maschine, die schlecht gelaunten Ehefrauen zu kichernden Mädchen macht und auch kein Jesus-Verschnitt im Fernsehen. Ryan Gosling muss vorerst ohne elektrische Schafe über seine Identität philosophieren.

Einmal Shibuya auf Ecstasy, immer Shibuya auf Ecstasy

Aber da der Großteil der Fans von Blade Runner diesen großartigen Roman eh nie gelesen hat (definitive Leseempfehlung an dieser Stelle), muss Blade Runner 2049 auch gar nicht versuchen in seine Fußstapfen zu treten. In die übergroßen von Ridley Scott muss Regisseur Denis Villeneuve dann aber leider doch. Aber worum geht es überhaupt?

Erneut haben wir es mit einem lakonischen, aber doch irgendwie sympathischen Polizisten (Ryan Gosling) zu tun, der von Menschen kaum zu unterscheidende Androiden, Replikanten genannt, jagt, umbringt und dabei ultralässig aussieht. Der Film spielt 30 Jahre nach der Handlung seines Vorgängers. In dieser Zeit sind die Replikanten von Menschen-metzelnden, absolut verbotenen Problemfällen zu – mehr oder weniger – friedlichen, in die Gesellschaft integrierten Sklaven geworden, die ihren Meistern treu ergeben sind. Beim Protagonisten des Films, Officer K, handelt es sich ebenfalls um eines dieser neuen Replikantenmodelle (oder etwa doch nicht?). Als Officer K das Skelett einer Replikantin findet, die offenbar beim Gebären eines Kindes gestorben ist (was eigentlich nicht möglich sein sollte, da Replikanten steril sind), wird Officer K auf die Suche nach diesem inzwischen erwachsenen Kind geschickt, um den Ausbruch eines Krieges zwischen Menschen und Replikanten zu verhindern. Oder so ähnlich. Seien wir ehrlich, der Handlungsverlauf war auch schon beim ersten Teil nur Entschuldigung, um vorm Panorama eines futuristischen Neon-Reklamen-Los-Angeles über den Unterschied zwischen Mensch und Maschine, die Definition menschlicher Gefühle und die Identität des Protagonisten philosophieren zu können. Die Kampfszenen sollten uns nur bei Laune halten. Filmpuristen dürfen sich dahingehend freuen: Dennis Villeneuve hat das Konzept erkannt und auf sein Sequel übertragen. Also sind all diese Sachen erneut mit von der Partie: die böse Firma, die künstliche Intelligenzen herstellt; ein Protagonist, der romantische Gefühle für eine K. I. ebenjener bösen Firma hegt; ein Los Angeles, das aussieht wie Tokio; jede Menge Neon-Reklame (warum habe ich auf einmal das Bedürfnis in einem Peugeot Coca Cola zu trinken?); leicht bekleidete Damen; Japano-Gebrabbel; ein düster-melancholischer Synthesizer-Soundtrack (diesmal leider nicht von Vangelis, dafür aber von Hans Zimmer); Kampfszenen im Regen (leider ohne gut zitierbare Kalendersprüche); philosophische Debatten über die Essenz des Menschseins – und irgendwann taucht dann auch noch Harrison Ford als mittlerweile in die Jahre gekommener Blade Runner-Protagonist Deckard auf. Fanservice muss sein!

 

Jared Leto und der Fluch der fehlenden Screentime

Ist diese ganze „zweites Semester Philosophie“-Geschichte denn nun immer noch genauso unterhaltsam wie in den 80ern? Im Grunde ja – aber nicht über 164 Minuten. Ridley Scotts Film hatte mit knapp zwei Stunden, die perfekte Länge – Denis Villeneuve lässt uns mit den 40 Minuten mehr, die sein Film hat, die Kinomöblierung in den Rücken wachsen. Und trotzdem stellt sich die Frage, warum Jared Leto als rätselhafter, moralisch fragwürdiger Firmenchef und Big Bad Niander Wallace nicht ein bisschen mehr Screentime bekommen hat (Suicide Squad scheint Jared Letos erlaubte Maximalzeit an Bildschirmpräsenz als Filmbösewicht drastisch gesenkt zu haben). Wallaces sphinxhaften Dialogzeilen ist zwar schwer zu folgen, aber seine Replikanten-Action-Sekretärin Luv, die als seine ausführende Hand dem Zuschauer deutlich häufiger präsentiert wird, ist leider eine schrecklich langweilige, charakterlose Figur und taugt überhaupt nicht als erinnerungswürdige Antagonistin. Abgesehen davon ist Wallaces Firmensitz visuell so klasse in Szene gesetzt, dass ich mir für das nächste Sequel (wir wissen alle, dass es kommen wird) wünsche, dass es bitte ausschließlich in diesem Gebäude spielt. Der Film sieht ohnehin großartig aus, aber das Spiel von Licht, Schatten und Wasserreflexionen in Wallaces Firmensitz stechen noch einmal heraus.

Zugegeben, ich war äußerst skeptisch, als ich gehört habe, dass Blade Runner eine Fortsetzung bekommen soll. Letzten Endes muss ich aber gestehen, dass der Film tatsächlich einen Filmabend wert ist. Er sieht gut aus, er hört sich gut an, er schafft es, die philosophischen Diskussionen des Originals aufzugreifen und zu erweitern, Ryan Goslings Officer K versagt nicht komplett als neuer Protagonist. Ob er allerdings in ein paar Jahren als ähnlich revolutionär angesehen wird wie sein Vorgänger, wage ich zu bezweifeln. Dafür bleibt Blade Runner 2049 dann doch zu sehr Replikant.

 

Blade Runner 2049 (2017). Regie: Denis Villeneuve. Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Amas, Robin Wright, Jared Leto. Laufzeit: 164 Minuten. Seit dem 5. Oktober 2017 im Kino.

Ein Gedanke zu „49 Jahre seit Philip K. Dick und noch immer keine elektrischen Schafe!

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