Milan Deklevas Die Weltbürgerin. Roman über Alma Karlin ist Mittler zwischen Kulturen. Dekleva und sein Übersetzer Klaus Detlef Olof vollführen eine sprachliche Annäherung an die Andersheit und den Nonkonformismus der Globetrotterin Alma Karlin. Ihr persönliches, tragisch endendes Schicksal wird zum Ausgangspunkt einer Aussöhnung – zwischen der deutschen und slowenischen Sprache sowie zwischen Karlins Werk und dessen Rezeption. Das Buch selbst wird zum Denkmal an eine Vergessene.
von THOMAS STÖCK
Schriftsteller sind Weltenbummler. Die meisten unter ihnen wandeln durch Bücherwelten. Alma Karlin zieht es auch im wirklichen Leben weltwärts. 1889 im slowenischen Teil Österreich-Ungarns in einer Stadt namens Cilli geboren, siedelt sie bereits in jungen Jahren in die Millionenmetropole London über. Ihr extensives Studium europäischer Sprachen – verbürgt sind abgelegte Prüfungen in Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Schwedisch, Dänisch sowie Norwegisch – ermöglicht ihr den Zutritt zu einer Vielzahl an Kulturen. Während des Ersten Weltkriegs muss sie nach Christiania, eine Freistadt im dänischen Kopenhagen, migrieren, da sie als Angehörige eines Feindstaats in England zu einer Persona non grata wird. Über einen erneuten Aufenthalt in ihrer Heimatstadt verschlägt es Karlin nach Triest und Genua, von dort aus reist sie nach Südamerika, ins peruanische Arequipa. Ihre Rückkehr in die Heimat und ihr literarischer Durchbruch werden überschattet durch den Zweiten Weltkrieg und sie schließt sich der jugoslawischen Partisanenbewegung an. Trotz ihrer Weltwärtssehnsucht bleibt Karlin zeit ihres Lebens ihrer österreichisch-slowenischen Herkunft treu. Doch egal, wohin sie sich begibt – statt auf sprachliche Barrieren stößt sie stets auf politische. Und gerade diese Barrieren erweisen sich als unüberwindlich.
Um dieses Handlungsgerüst herum geleitet Dekleva den Leser hinein in das Denken der Schriftstellerin auf ihrem Weg, der sie zum Schreiben führt, und gestattet einen parallelen Blick von außen auf eine Fremde, die für viele unfasslich bleibt. Die von Karlin zur Textproduktion verwendete Schreibmaschine, eine „Erika“ aus dem Hause Seidel & Naumann, wird dabei Ausgangs- und Endpunkt, gar Personifikation der Schriftstellerin: „Alma und Omega bist du, Eva und Erika, […] meine ganze Erinnerung, Flamme der Zeit und zeitlose Erstarrung.“ Karlin wird als kompromissloser Charakter präsentiert, der seinen Mitmenschen vorurteilsfrei begegnet, gleichzeitig aber auch konsequent eine eigene Meinung vertritt. Ein Großteil der sie umgebenden, zumeist durch einen bloßen Buchstaben benannten Menschen reagiert hierauf mit Ablehnung, sodass Karlin isoliert bleibt. „Der Preis der Würde ist niedrig, der Preis der Einsamkeit ist so hoch wie die Gipfel der Anden.“ Es gelingt ihr, einen Ausweg aus der Tristesse des Alltagsgraus zu finden: „Schreiben ist Flucht, und nur während der Flucht ist es mir gegeben, im Wirbel der sich bewegenden Bilder die Silhouette von Schönheit zu erblicken.“
Die Geliebte als Laudatorin und Retterin
Die Flucht führt sie zu einer wortgewaltigen Sprache, die in zahllosen Reflexionen ein Weltbild zeichnet, das selbst im 21. Jahrhundert noch als progressiv gelten würde. Alma Karlin ist überzeugte Kosmopolitin. Gleichermaßen ist sie begabte Schriftstellerin, wie der Leser es – von Dekleva geschickt konstruiert – durch ihr nahestehende Figuren erfährt. Zunächst ermuntert Karlins Gönner, im Buch als „Captain L.“ tituliert, die junge Frau zum Fortsetzen ihrer schriftstellerischen Bemühungen, da ihre Gedichte „voll edler Melancholie“ seien. Eine wahre Lobeshymne im Anschluss an ihre erfolgreichen Romane verfasst ihre spätere Geliebte – die einzig andere Person, deren Name genannt wird: Thea Gamelin. Die entfachte Liebe der Einen wird von der Anderen erwidert und die Passage kulminiert in einer bilderreich geschilderten Zusammenkunft aus der Perspektive Theas. Sie ist es auch, die als Fürsprecherin bei den deutschen Besatzern eine Deportation aus nicht genannten Gründen in ein Konzentrationslager verhindert und nach dem Ableben das literarische Œuvre vor dem Vergessen schützt. Das Dreigestirn der Wohlgesonnenen beschließt eine gewisse „Nobelpreisträgerin S.“ – Selma Lagerlöf. Dekleva ergänzt den Kreis der Applaus Spendenden um die vermeintlich größte Ehrung, die Karlin im echten Leben widerfahren ist: Der Nominierung zum Literaturnobelpreis.
„Wie nahe sind sich doch words und worlds“
Das Faszinosum dieses literarischen Meisterwerks ist seine Ausdrucksstärke. Tragik und Aussöhnung, Melancholie und Trotz, Schönheit und Einsamkeit, Licht und Dunkel – Sprache verschmilzt. So werden aus Wörtern („words“) in kurzer Zeit ganze Welten („worlds“). Nur so kann das Leiden einer einsamen Frau verknüpft werden mit den lobenden Worten an eine große Literatin und der Forderung an eine bedingungslose Freiheit des Individuums. Dekleva erweist sich seinem erzählerischen Vorbild als ebenbürtig, gleiches gilt für seinen Übersetzer Olof, dem der Dank gebührt, die hohe sprachliche Qualität des Slowenischen für das Deutsche erschlossen zu haben. Nicht zu Unrecht verweist Dekleva selbst auf die Bedeutung dieses für die Literatur so immens wichtigen Berufs: „Wir Übersetzer errichten Brücken des Verstehens, Gewaltmenschen reißen sie ein und säen Misstrauen.“ Eine solche Brücke ist Die Weltbürgerin, aber auch Alma Karlin selbst. Mit dieser neuerlichen Brücke können alte Fronten überwunden werden – und vielleicht sogar neue Fronten vermieden. Einer solchen Hoffnung eine Stimme zu verleihen, erscheint aktuell so notwendig wie schon seit Langem nicht mehr.
Milan Dekleva: Die Weltbürgerin. Ein Roman über Alma M. Karlin. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof mit einem Nachwort von Jerneja Jezernik
Drava Verlag, 139 Seiten
Preis: 21,00 Euro
ISBN: 978-3-85435-836-7