Showdown in Nordkorea

Jean Echenoz – Unsere Frau in Pjöngjang Cover: Hanser Berlin

In Zeiten neuer Spannungen zwischen den USA und Nordkorea, in denen selbst vor nuklearen Drohungen per Tweet nicht mehr zurückgeschreckt wird, kommt Jean Echenoz’ gewitzter neuer Roman Unsere Frau in Pjöngjang wie gerufen. Der französische Geheimdienst schickt eine attraktive Frau in die abgeschirmte „Volksrepublik“, um die dortigen Machthaber auszuhorchen. Am Ende läuft alles aus dem Ruder, und selbst der Erzähler verliert die Übersicht – Spionage könnte kaum unterhaltsamer sein.

 

von HELGE KREISKÖTHER
Jean Echenoz, Jahrgang 1947, lebt und schreibt in Paris. Er gehört zu den subtileren Vertretern der zeitgenössischen französischen Literatur: Fernab des Draufgängertums eines Houellebecq oder des sentimentalen Tons eines Patrick Modiano sind seine Bücher eher bekannt für ihren feinsinnigen Sprachwitz, ihre oftmals humorvollen Verwicklungen und ihren Bezugsreichtum. 1999 wurde Echenoz für seinen Roman Ich gehe jetzt (Je m’en vais) mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Nun liegt dem deutschsprachigen Lesepublikum mit Unsere Frau in Pjöngjang (Envoyée spéciale) sein neuestes Werk vor. Für die Übersetzung hat wieder der Celan-Preisträger Hinrich Schmidt-Henkel verantwortlich gezeichnet, der bereits Louis-Ferdinand Céline, Yasmina Reza u. v. a. meisterhaft aus dem Französischen übertragen hat.

Das Rätsel um die schöne Constance
Ursprünglich beabsichtigte Echenoz, einen spaßigen Roman über das französische Popmusikbusiness zu schreiben – kein Zufall: der Ehemann seiner neuen Protagonistin ist ein verjährtes One-Hit-Wonder – und den Plot mit einer Art Detektivgeschichte zu kombinieren. Das völlig isolierte, parallel zu unserer westlichen Welt existierende Nordkorea schien ihm als Schauplatz hierfür ideal. Dass der Publikationszeitpunkt allerdings mit dem Ausbruch einer neuen diplomatischen Krise zwischen Washington D.C. und Pjöngjang respektive Donald Trump und Kim Jong-un zusammenfällt, konnte Echenoz nicht ahnen.

General Bourgeaud vom französischen Geheimdienst möchte kurz vor seiner Pensionierung nochmal einen richtigen Coup landen und den kommunistisch-diktatorischen Erzfeind Nordkorea von innen heraus destabilisieren. Dafür braucht er eine Dame mit Verführungspotenzial, die sich bis in die höchsten Regierungskreise von Pjöngjang einschleusen lässt. Die Wahl fällt auf Constance. „Amourös unterversorgt“ und von ihrem narzisstisch-lethargischen Gatten gelangweilt, lässt sie sich nahezu bereitwillig auf das ziemlich plump durchgeführte Kidnapping ein. Schon vor der eigentlichen Operation in Fernost geht jedoch einiges schief: Z. B. verfallen Jean-Pierre und Christian, die Assistenten von Bourgeaud und seinem Vize, ihrer „Schutzbefohlenen“ und versuchen – vergeblich –, sie woanders zu verstecken. Als Constance dann am anderen Ende der Welt, wo Begonien plötzlich Kimjongilien und Orchideen Kimilsungien heißen, erst richtig aufblüht und sofort den „Führer“-Vertrauten Gang Un-ok ins Bett kriegt, werden die eigentlichen Strippenzieher zu hilflosen Akteuren. Mehr soll natürlich nicht verraten werden, doch die letzten 40, 50 Seiten enttäuschen etwas im Hinblick auf die bis zur Flucht nach Südkorea noch hoch ansteigende Spannungskurve.

Der ironische Blick auf die Welt
Ein Sonderfall ist Echenoz’ virtuoser Erzähler: Regelmäßig greift er in seine eigene Geschichte ein, hat Freude daran, Nebensächliches breitzutreten, nur um sich anschließend selbst in die Schranken zu weisen; oftmals ist ihm seine eigene „klischeehafte Situation“ peinlich, bevor er dem Leser vielversprechende Andeutungen über den weiteren Handlungsverlauf gibt, nur um dann ungeduldig zu fragen: „Das genügt doch, oder?“ Dieses raffinierte narratologische Konzept geht natürlich auf wesentlich ältere Autoren zurück – Echenoz nennt Diderot oder Laurence Sterne als Vorbilder –, doch Unsere Frau in Pjöngjang profitiert in so hohem Maße davon, dass man sich auch als Leser aus dem 21. Jahrhundert im allerbesten Sinne „unterhalten“, das heißt zur gleichen Zeit angeleitet, genasführt, provoziert und über vermeintlich Irrelevantes belehrt fühlt. Zwischen Sherlock-Holmes-hafter Selbsterhöhung und desaströser Überblickslosigkeit reicht einem der Erzähler dabei auch hübsche abschweifende Definitionen an die Hand – etwa für Pornos: „Ausgesprochen dialogarme Werke, in denen spärlich bekleidete und üppig geformte Geschöpfe zu Werke gehen, die auf Namen wie Jewel De Nyle, Chloé Dior oder Karma Rosenberg hören oder sogar auf Bolivia Samsonite.“
Unsere Frau in Pjöngjang als reine Parodie auf den Agentenroman zu bewerten, wäre zu kurz gegriffen: Echenoz gelingt mit seinem Buch zugleich auch eine Hommage an die oft als trivial verschriene Textsorte. Als habe er selbst jeder Genrezuweisung zuvorkommen wollen, lässt er im Roman einen x-beliebigen Radioreporter beiläufig den egozentrischen Regisseur Gérard Delplanque fragen, wie er denn seinen neuen Film Zweifel und Unsicherheiten bei Nitchika, der verliebten Spionin einstufe: „Huldigung oder Parodie?“ – Selbsthumor ist offensichtlich eine Stärke von Echenoz. Vielleicht ist ein Vergleich zwischen der Envoyée spéciale und Michael „Bully“ Herbig angebracht, der sich seinerseits mit diversen filmischen Meisterwerken auch nicht bloß „lustig macht“ über ihre jeweiligen, längst zu Klassikern avancierten Vorlagen, sondern unter Kenntnis sämtlicher Klischees etwas eigenes, originell Komisches schafft, dessen man aufgrund der zahllosen Anspielungen auch beim wiederholten Anschauen keineswegs überdrüssig wird. So auch bei Echenoz, der seinen Leser auf knappen 300 Seiten leichtfüßig, nur stellenweise zu „abgedreht“ mit einem wahrhaft cervantinischen Detailreichtum konfrontiert. Wer zwischen den zahllosen Neuerscheinungen des (französischen) Buchmarktes also etwas Kurzweiliges sucht, das zugleich kombinatorisch herausfordert, dem sei Unsere Frau in Pjöngjang wärmstens empfohlen.

 

Jean Echenoz: Unsere Frau in Pjöngjang
Hanser Verlag, 272 Seiten
Preis: 22,00€
ISBN: 978-3-446-25679-8

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