Ein Mann und sein Bettlaken

Ist die Vorherrschaft der durchsichtigen Männer und kleinen, gruseligen Mädchen gebrochen? In seinem neuen Film A Ghost Story entscheidet sich Regisseur David Lowery dazu, Geister wieder ganz klassisch darzustellen: Bettlaken, zwei Gucklöcher. Aber Vorsicht: Was nach Horror-Komödie klingt, ist in Wirklichkeit ein melancholisches Drama über Tod und Erinnerung.  

von CAROLIN KAISER

Die Frage, was nach dem Tod kommt, ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Entsprechend häufig findet sich das Leben nach dem Tod auch als Topos in Literatur, Film, Musik, Videospielen, Religionen: von der Bibel über die Divina Commedia bis hin zu Sartres Huis clos, um nur ein paar der bekanntesten Beispiele zu nennen. Die Spielarten sind dabei verschieden: Himmel, Hölle, Bürokratie, sabbernde Zombies und natürlich der gute, alte Poltergeist. Womit wir auch schon beim Thema wären. David Lowerys neuer Film A Ghost Story beinhaltet genau, was draufsteht: einen Geist.

Spoiler: Der Protagonist stirbt 

Der Musiker C (Casey Affleck) wohnt mit seiner Frau M (Rooney Mara) in einem kleinen Haus in ländlicher Gegend. Sie will unbedingt ausziehen, er nicht. Dass man in dem Haus von Zeit zu Zeit Geräusche hört, die scheinbar keinen Auslöser haben, wirkt nicht unbedingt unterstützend für Cs Wunsch in dem Haus wohnen zu bleiben. Kurz nachdem M C überzeugen konnte auszuziehen, stirbt C bei einem Autounfall. Lange ruhig liegen bleibt C allerdings nicht. Im Krankenhaus richtet sich seine mit einem weißen Laken abgedeckte Leiche auf, irrt kurz durch das Krankenhaus und kehrt schließlich zu seinem Haus zurück. Wie ein Möbelstück steht C mit seinem weißen Laken mal hier, mal dort in dem von ihm so geliebten Haus herum und schaut seiner Witwe beim Trauern zu. Wie sie sich in den Bettbezug krallt, der noch nach ihm riecht; wie sie tränenerstickt, auf dem Boden sitzend einen ganzen Kuchen in sich hineinschaufelt; wie sie im Türrahmen einen fremden Mann küsst; wie sie Umzugskartons packt und schließlich auszieht. Bevor M das Haus für immer verlässt, schreibt sie etwas auf einen Zettel, versteckt ihn in einer Ritze in der Wand und streicht mit Farbe darüber. Vergeblich versucht C an den Zettel ranzukommen. Seine Frustration lässt er an den neuen Bewohnern des Hauses aus: Glühbirnen brennen durch, Geschirr fliegt durch die Luft – lange bleibt niemand in dem Haus wohnen und so muss C mitansehen, wie das Haus um ihn herum abgerissen wird, während er stoisch stehenbleibt. Was danach kommt, ist deutlich surrealer, als die ganze „toter Mann steht mit einem Bettlaken in seinem Haus rum“-Geschichte ohnehin schon ist.

Kinder unter Bettlaken = süß; erwachsene Männer unter Bettlaken = deprimierend 

Allerdings funktioniert diese simple, ja im Grunde schon kindliche Darstellung eines Geistes erstaunlich gut. Durch die Atmosphäre des Films, dem Zusammenspiel des großartigen Soundtracks, den Kameraeinstellungen, der Belichtung schafft Lowery es, uns zu vermitteln, was unter dem Bettlaken vor sich geht. Allein der schlurfende, leicht nach vorne gebeugte Gang von Casey Affleck drückt mehr Gefühle aus als so manches Mienenspiel. Ohne Worte, ohne Körper – nur durch die Macht dieser einfachen Darstellung eines Geistes und den Kontrast, in dem er zu seiner Umgebung steht, illustriert Lowery komplexe Fragen: Was bleibt von uns, wenn wir sterben? Gibt es so etwas wie ewige Liebe? Was sagen die Orte, an denen wir hängen, über uns selbst aus? Dass darunter die Dynamik des Filmes leidet, ist nicht verwunderlich. A Ghost Story ist ein langsamer Film und Lowerys Tendenz, die Kamera eine Szene für mehrere Minuten einfach mal nur beobachten zu lassen, entschleunigt die Handlung für viele (auch Freunde des Arthouse-Films) möglicherweise zu einem Punkt hin, wo man sich denkt: „Mach doch jetzt einfach den verdammten Cut und geh weiter zur nächsten Szene.“ Die Grenze zwischen Kunst und pseudo-philosophischer Möchtegern-Kunst ist dünn und äußerst subjektiv. A Ghost Story hält sich für den Großteil seiner relativ gebündelten Laufzeit in der Nähe dieser nur schwer festsetzbaren Grenze auf. Auf welcher Seite man A Ghost Story sieht, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. Wer sich aber auf die unaufgeregte Erzählweise des Films einlassen kann, für den werden Geister in Bettlaken nie mehr nur faule Halloween-Kostüme sein.

A Ghost Story (2017). Regie: David Lowery. Darsteller: Casey Affleck, Rooney Mara, Will Oldham. Laufzeit: 93 Minuten. Seit dem 7. Dezember 2017 im Kino. 

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