
“Schwanensee” am Aalto-Theater Essen Foto: Bettina Stöß
2018 wäre Marius Petipa 200 Jahre alt geworden. Ben Van Cauwenbergh verbeugt sich mit seiner Version des Schwanensees im Essener Aalto-Theater vor einem der wichtigsten und wohl auch schönsten Ballette Tschaikowskis und lässt große Teile der ikonischen Choreografie Petipas unangetastet. Das Konzept geht auf und sorgt für viele begeisterte Zwischenrufe und einen frenetischen Schlussapplaus.
von STEFAN KLEIN
Selbst wer kaum einen Bezug zum Ballett hat, wird diese Szene kennen: Vier kleine Schwäne halten sich überkreuzt an den Händen und tanzen synchron, immer wieder auf die Spitze gehend zu Tschaikowskis sofort ins Ohr gehender Musik. Szenen wie diese sind es, die ein jeder Zuschauer bei einem Besuch des Schwanensees erwartet. Ben Van Cauwenbergh war also gut beraten, die Traumsequenzen-Choreografien Petipas am titelgebenden Schwanensee mit dem hohen Wiedererkennungswert im Original zu belassen (Coaching „Weiße Akte“: Monique Janotta). Doch auch Van Cauwenberghs eigene Handschrift passt sehr gut in das Gesamtbild. Sein stark akrobatischer Stil mit den vielen Sprüngen und komplizierten Hebefiguren fügt sich ausgezeichnet in das Tschaikowski-Petipa-Gefüge. Die Arbeiten im Schwanensee gehören zu den besten, die der Ballettintendant bisher in Essen zeigte.
Solisten auf höchstem Niveau
Liam Blair tanzt den auf Brautschau befindlichen Siegfried mit einer Motivation und Hingabe, dass es eine Freude ist, ihm zuzusehen. Der Australier tanzt präzise, emotional und technisch einwandfrei. Seit 2011 ist er im Corp de ballet des Aalto-Balletts und begeistert seit der vergangenen Spielzeit als Solotänzer mit Gruppe. Es darf gehofft werden, dass das Publikum auch in den kommenden Jahren noch große Rollen von ihm sieht. Ebenfalls für mehr Solo-Bühnenzeit empfiehlt sich Mika Yoneyama. Ihre Doppelrolle Odette / Odile ist das emotionale Herzstück des Schwanensees und wird von der Japanerin mühelos getragen. Ihre Anmut verleiht sowohl dem weißen als auch dem schwarzen Schwan die nötige Präsenz und entlockt dem Premierenpublikum viele Brava-Zwischenrufe. Wie schon im Essener Nussknacker tanzt Moisés León Noriega auch im Schwanensee eine der größeren Nebenrollen. Und wie auch im Nussknacker ist der gebürtige Kubaner als Rotbart völlig unterfordert. Im Schwanensee bekommt er als Antagonist zwar etwas mehr zu tun als in seiner Rolle als Drosselmeier, doch das große Solo, das man sich von dem talentierten Tänzer wünschen würde, bleibt er dem Publikum noch immer schuldig.
Im dritten Akt des Balletts findet ein großer Ball mit vielen exotischen Gästen statt. Hier darf Adeline Pastor im Spanischen Tanz in wenigen Minuten zeigen, warum das Aalto-Ballett dringend wieder Carmen/Boléro mit der charismatischen Französin in der Titelrolle auf den Spielplan nehmen sollte.

“Schwanensee” am Aalto-Theater Essen Foto: Bettina Stöß
Tanzhommage an Petipa
Ben Van Cauwenbergh ist es gelungen, ein stimmiges Hybrid aus Eigenem und Bekanntem auf die Essener Bühne zu bringen. Dabei nimmt er sich selbst angenehm zurück und entwickelt eine Choreografie, die sich ideal in das über 100 Jahre alte Werk einfügt. Zu dem positiven Gesamteindruck tragen neben den exzellenten Tänzern auch die stimmigen Kostüme und das Bühnenbild bei. Dorin Gal kleidet die Tänzer in romantische Kostüme, die man so in einem Schwanensee auch erwarten würde. Auch beim Bühnenbild orientiert er sich an pastelligen Tönen, die sich so zu einem fast märchenhaften Gesamtbild fügen.
Ben Van Cauwenberghs Schwanensee ist endlich wieder ein vollkommen stimmiges und durchweg empfehlenswertes Ballett im Essener Aalto-Theater, das sich trotz seiner stolzen Länge von fast drei Stunden ideal als Einstieg in die Welt des Balletts eignet.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Mittwoch, 31. Januar 2018
Donnerstag, 1. Februar 2018
Samstag, 3. Februar 2018
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