Andreas van Hoovens Klangkörper erzählt das Leiden einer jungen, an Parkinson erkrankten Sängerin, die in der Musik ihr Seelenheil sucht. Die vorhersehbare, handlungsarme Geschichte bedient Klischees, während die blass verbleibenden Figuren nicht über die Schwächen des Romans hinwegtäuschen können. Ein Abgesang auf viel Lärm um nichts.
von THOMAS STÖCK
Was haben Jim Morrison, Kurt Cobain und Jimi Hendrix gemeinsam? Alle drei waren erfolgreiche Musiker – und sind mit 27 Jahren auf teils mysteriöse Weise verstorben, ergo Mitglieder des sogenannten „Club 27“. Auch die Protagonistin Ela in Andreas van Hoovens Klangkörper ist im Alter von 27 Jahren im Begriff, mit ihrer Band, den „Stereos“, einen Durchbruch zu erzielen. Ein Vertrag von Universal winkt. Die Band kann sich seit Kurzem kaum vor Auftrittsangeboten retten. Zu blöd, dass eine solche Erfolgsgeschichte zu langweilig für den Buchmarkt wäre. Deshalb sind bandinterne Querelen fast schon obligatorisch. Noch wichtiger ist aber das ganz persönliche, schier nicht zu bewältigende Problem der Frontfrau: Ela hat Parkinson. Immer wieder erleidet sie stressbedingte Anfälle auf der Bühne, die sie bewegungslos zurücklassen. Solche Anfälle zählen eigentlich nicht zu den Symptomen der Krankheit. Eine etwaige anzutreffende Akinese bei Parkinson-Patienten, also eine Bewegungsunfähigkeit, gehört zwar zum Krankheitsbild – diese nimmt jedoch schleichend überhand, nicht in Form von Anfällen. Ein solcher Logikfehler wäre verzeihlich, wenn wenigstens die Handlung in sich stimmig wäre. Stattdessen kann sich Ela in einer Szene nach einem erlittenen Anfall wie durch ein Wunder wieder bewegen, sobald von Universal und dem zu unterzeichnenden Plattenvertrag die Rede ist, als habe sie nur ein kleines Päuschen eingelegt. Die Krankheit verkommt zum dramatischen Element, der so zentrale Kampf im Alltag gegen sie wird auf groteske Weise lächerlich gemacht. Den Großteil des Buches immerhin wird die Drastik von Parkinson glaubhafter geschildert – der überfallartige Charakter der Anfälle und das ständige Einwerfen von Medikamenten sind die einzigen stringenten Elemente innerhalb der Handlung. Zumindest wird in Bezug auf den Drogenkonsum das Erbe Cobains, Hendrix’ und Morrisons glaubwürdig fortgesetzt, wenngleich die Behandlung der Krankheit im Buch nicht den selbstzerstörerischen Charakter wie bei den genannten Künstlern annimmt und sich moralisch auf einer anderen Ebene befindet.
Gesichtslosigkeit und Namedropping
Ansonsten verkommt das Buch über weite Strecken zu dialogischen Intermezzi zwischen Ela, die ihrer Krankheit mit Trotz begegnet, und zahlreichen Charakteren – ein zu starkes Wort für Figuren, die eigenschafts- und gesichtslos verbleiben. Wer zumindest stereotype, also zum Namen „Stereos“ passende Bandmitglieder erwartet, wird enttäuscht. Selbst der Erzähler Phil ist so blass, dass sich allenfalls die ‚erotische‘ Szene zwischen ihm und seiner Freundin Ela ins Gedächtnis einbrennt. Gerade diese Szene ist jedoch zum Vergessen: „Sie schiebt ihr Bein über meines und drückt ihren Schenkel unter meine Hoden. Ich kriege sofort einen Steifen.“ Eine Klein-Jungen-Fantasie als Beweis dafür, dass es eben doch schlechter als Shades of Grey geht. Überraschend ist auch, dass die Band zu Romanbeginn vor Publikum spielt, das aus lauter Fans bestehen soll – und das obwohl die Band den Gig nur als Ersatz für eine andere wahrnimmt. „Die Leute erkennen das Stück sofort.“ Einleuchtend bei einer vorgeblichen Newcomerband ohne publiziertes Album! Dieses will Universal im Roman in Form der bandeigenen Tonaufnahmen veröffentlichen, die nur minimal nachbearbeitet werden sollen. Falls das reale Universal eine solche Arbeitsweise an den Tag legt, würde ich mich an Stelle einer potenziell erfolgreichen Band lieber einem professionellen Label anschließen.
Eine Aufwertung dieses unrettbaren Kauderwelschs soll der Text durch zahllose intermediale Referenzen erfahren. Doch auch hier arbeitet van Hooven schlampig. Während man bei den drei eingangs genannten Künstlern noch einen Zusammenhang zum Schicksal der Protagonistin erkennt, verkommt ein Großteil der ‚Referenzierungen‘ anderer Künstler zur bloßen Namensnennung. „Es läuft Viva ohne Ton, ein Video von den Streets. An den Wänden hängen Portraits von den Beatles und Mariah Carey, daneben Rammstein und Helene Fischer.“ Über mehrere Seiten erstreckt sich dieser Exkurs zu Persönlichkeiten, die interessanter sind als die Geschichte, die in den Exkurs eingeflochten ist. Klar, ein solches Konglomerat an echten oder vorgeblichen Musikgrößen mag in einem Studio von Universal anzutreffen sein. Die bloße Nennung jedoch entbehrt jeglichen Sinns und gibt allenfalls darüber Aufschluss, dass da jemand vom Ruhme anderer profitieren möchte.
Hohlraum als Resonanzkörper
Das sich in der mangelbehafteten Handlung äußernde Nichtkunsttum von Klangkörper wird unterstrichen durch die vielen handwerklichen Fehler, die im Buch enthalten sind. So wird konsequent versucht, an den Imperativ einen Apostroph anzuschließen. Als wäre dies nicht genug, wird besagter Apostroph auch noch mit dem einfachen schließenden Anführungszeichen verwechselt. Immerhin sorgen die Fehler für eine humorige Note: „Hier ist man Fisch, nicht wahr?“ Sein oder Nichtessen, das ist hier die Frage! Immerhin ist das Textlayout als Sinnbild des gesamten Buchs angelegt: Die großen Zeilenabstände deuten metaphorisch auf die zahllosen inhaltlichen Leerstellen hin. Auch der Titel Klangkörper ist in diesem Zusammenhang geschickt gewählt, impliziert er doch die Geräuschverstärkung durch einen Hohlraum. Eine solche Resonanz erzeugt das Buch in Bezug auf den Klappentext, in dem der Inhalt des Romans in wenigen Zeilen umfassend zusammengefasst ist. Unzureichend recherchiert, schlecht geschrieben, minderwertig lektoriert – dieser Dreiklang ist die Basis für ein Buch mit nahezu keinem Inhalt.
Andreas van Hooven: Klangkörper
Books on Demand, 288 Seiten
Preis: 12,90 Euro
ISBN: 978-3-7448-1970-1