
Petre M. Andreevski: Quecke. Cover: Guggolz
Welches mazedonische Buch haben Sie zuletzt gelesen? Zugegebenermaßen: Südosteuropäische Literatur ist in deutschen Buchhandlungen nicht die geläufigste. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, dass es Verlage wie Guggolz gibt, die unseren Blick über den gewohnten Tellerrand lenken. Der Roman Quecke von Petre M. Andreevski zeichnet ein authentisches Bild der mazedonischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf das sich der Leser jedoch einlassen muss.
von ALINA WOLSKI
Seit der Roman Quecke 1980 erstmals veröffentlicht wurde, gilt er in Südosteuropa als Klassiker und wird schon seit vielen Jahren in Mazedonien als Schullektüre gelesen. Dank Benjamin Langers Übersetzung aus dem Jahr 2017 haben nun auch deutschsprachige Leser die Möglichkeit, in die provinzielle Welt der Hauptfiguren Velika und Jon einzutauchen. Mit der Zeit verlagert sich das globale Weltgeschehen nach Mazedonien und beeinflusst sogar das ursprünglich beschauliche, aber zugleich auch harte Dorfleben, um das sich der Roman dreht. Als die Balkankriege beginnen, wird Jon eingezogen und das Ehepaar auseinandergerissen. Nichtsdestotrotz scheint seine Liebe über diese weite Entfernung weiterzuleben. So erscheint Velika Jon beispielsweise warnend in einem Traum und rettet ihn dadurch vor dem Tod.
Lichtblicke in einer düsteren Welt
Das Dorf, in dem der Autor übrigens selbst gelebt hat, war schon immer eine Schnittstelle zwischen Christentum und dem mystischen Urglauben. Doch gerade im Krieg, da die Nahrung rar wird und sich unterschiedliche Krankheiten ausbreiten, an denen auch einige von Velikas Kindern sterben, nimmt der Aberglaube überhand und erschreckende Ausmaße an. Um der Epidemie entgegenzuwirken, sollen alle Hunde des Dorfes auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Velika gelingt es noch im letzten Augenblick, den Familienhund, den ihr erstgeborener und an dieser Stelle im Roman bereits durch einen Querschläger tödlich verunglückter Sohn mit nach Hause gebracht hatte, im Wald zu verstecken. Solche Momente sind kleine Lichtblicke in der ansonsten düsteren, von Überlebenstrieb und Gewalt durchzogenen Welt. Eine ähnliche Funktion kann Jons Wiedertreffen mit seinem Bruder Mirce beigemessen werden. Um Urlaub zu bekommen und seine Familie besuchen zu dürfen, soll Jon einen Bulgaren gefangen nehmen. Als er nun denkt, einen Bulgaren erwischt zu haben, stellt sich mitten zwischen den Fronten der serbischen und bulgarischen Armee heraus, dass sein „Bulgare“ niemand Geringeres als sein eigener Bruder ist, den er seit Kindheitstagen nicht mehr gesehen hat. Das Wiedersehen auf dem Schlachtfeld mutet nahezu ironisch an.
Zwischen Joseph Roth, Günther Grass und Milan Kundera
Die Atmosphäre in Quecke erinnert an Joseph Roths Radetzkymarsch und Günther Grass’ Blechtrommel. Besonders durch den Anfang, der mit Jons Familiengeschichte eingeleitet wird, entsteht diese Assoziierung. Dadurch scheint der Einblick in das Leben der Figuren auf der einen Seite stärker zu werden, jedoch bleibt der Erzählduktus im Roman sehr sachlich, sodass sich eine merkwürdig distanzierte Verbindung des Lesers zu den Figuren aufbaut, die möglicherweise auch durch die gewöhnungsbedürftigen Sitten und Bräuche der Dorfbewohner (so beispielsweise die Verbrennung der Hunde) aufgebaut wird. Auf diese Welt muss sich der Leser aktiv einlassen.
Zugleich dient die Liebe des Ehepaars Jon und Velika als roter Faden in der immer stärker zerstörten Welt. Durch die wechselnden Perspektiven fühlt sich der Leser an Milan Kunderas Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins erinnert. Besonders in den Zeiten der Trennung ähnelt die Atmosphäre des gegenseitigen Vermissens diesem tschechischen Roman. Der Facettenreichtum stellt Queckes breite Thematik besonders heraus. Es ist nicht nur ein Roman über den Krieg, sondern zugleich auch eine Liebesgeschichte, die durch langjährige Trennung gezeichnet ist, ein Buch über das Verlieren und Trauern, über die Globalisierung und das Landleben sowie eine Gesellschaftsstudie. Und was am wichtigsten ist: Es ist ein Roman über unsere gemeinsame europäische Geschichte. Erst beim Lesen wird bewusst, wie unbekannt und unsichtbar die Balkanliteratur in der westlichen Welt ist. Gerade für die europäische Verständigung sind neben kollektiven politischen Werten auch eine gemeinsame kulturelle Basis und das Wissen über Geschichte und Gesellschaft wichtig. Aus diesem Grund ist es nur löblich, dass Bücher wie Quecke nun auch in Deutschland übersetzt werden und an Bekanntheit zu gewinnen scheinen.
Dabei darf der philosophische Charakter des Romans nicht ausgeblendet werden. Der Titel Quecke ist einem sehr widerstandsfähigen Unkraut entliehen, das so gut wie unbekämpfbar ist. Dies spiegelt sich sowohl in Jons und Velikas Familie als auch in der mazedonischen Gesellschaft wider, die schon seit Generationen unermüdlich für ihre Unabhängigkeit einsteht.
Andreevski bildet in seinem großen Werk die Landbevölkerung sowohl sprachlich als auch in ihrer Lebensweise ab. Dabei verzichtet er nicht darauf, ihr Lebensweisheiten in den Mund zu legen. So erkennt der Dorfbewohner Vitomir sehr treffend den Fatalismus, der im Roman stets mitschwingt: „Solange es Menschen gibt, wird es auch Kriege geben.“
Petre M. Andreevski: Quecke. Aus dem Mazedonischen von Benjamin Langer
Guggolz Verlag, 446 Seiten
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3-945-37013-1