Fans von Haruki Murakami können sich’s schon mal im Sessel gemütlich machen. Alle, die bisher mit Murakami nichts anfangen konnten, können getrost weitergehen, denn Die Ermordung des Commendatore Band 1: Eine Idee erscheint ist genau das, was man von Murakami erwartet – ein bisschen verschroben, ein bisschen mysteriös, und vor allem eins: laaangsam.
von CAROLIN KAISER
Nachdem der ewige Geheimtipp Bob Dylan vorletztes Jahr endlich seinen Literatur-Nobelpreis bekommen hat, traut sich der andere ewige, bisher nobelpreislose Geheimtipp Haruki Murakami an ein Genre, das „Achtung! Ernstzunehmender Autor hier!“ von jeder Buchseite aus entgegenschreit: den Künstlerroman. Uff, Künstlerroman. Das klingt jetzt schrecklich intellektuell. Aber keine Sorge, auch wenn Murakami für einen Autor, der es regelmäßig in die Bestsellerliste schafft, schon vergleichsweise anspruchsvoll ist, ist Die Ermordung des Commendattore Band 1: Eine Idee erscheint (Band 2 erscheint im April dieses Jahres auf Deutsch) immer noch eine Lektüre vorm Schlafengehen. Gerade wer schon etwas von Murakami gelesen hat, wird sich sofort zurechtfinden.
Der obligatorische namenlose, alleinstehende Protagonist Mitte 30
Wie so oft in Romanen Murakamis haben wir es auch in Die Ermordung des Commendattore mit einem namenlosen Ich-Erzähler zu tun, der alleine lebt und in seinen Mittdreißigern ist. Genauer gesagt handelt es sich um einen Maler, der gerade von seiner Frau verlassen wurde und nun in einer kleinen, abgelegenen Hütte in den Bergen wohnt und versucht, neue Impulse für seine künstlerische Karriere zu finden. Diese künstlerische Karriere hat nämlich bisher noch nicht stattgefunden. Unser Protagonist hat aus finanziellen Gründen bis dato nur Porträts für irgendwelche Neureichen gemalt. Aber damit soll nun Schluss sein! Jetzt wird für die Kunst gemalt. Oder so ähnlich. Als der stinkendreiche, in der Nachbarschaft wohnende, mysteriös-sympathische Menshiki den Künstler um ein Porträt bittet, macht er angesichts des gigantischen Honorars doch eine Ausnahme. Und der Prolog legt nahe, dass es nicht bei dieser einen bleiben wird. Ansonsten hat der Roman alles, was auch jeder andere Murakami-Roman hat: Unterhaltungen über Musik, genaue Nennungen von Automodellen, eine Szene, in der der Protagonist in einer Bücherei sitzt und zu einem Thema recherchiert, ein bisschen Übernatürliches, Angaben zum Kochen von Tomatensauce, kleine magische Männchen, jede Menge Einsamkeit und ein eher langsames Erzähltempo. Haruki Murakami selbst ist Marathonläufer, kein Sprinter. Das merkt man seinen Romanen an. Was nicht heißen soll, dass Die Ermordung des Commendattore langweilig ist, aber Leute, die beim Lesen einschlafen, wenn nicht alle fünf Seiten irgendwas Ultrakrasses passiert, werden hier ruhig schlafen. Murakami generiert in seinen Romanen auf eher subtilere Weise Spannung. Da wird hier ein bisschen zum Hintergrund einer Figur erzählt, und da ein bisschen was zu der Beziehung zweier Figuren angedeutet. Kleine Hinweise auf ein größeres Bild, das sich langsam zusammensetzt, im Moment aber noch zu 98 Prozent im Nebel liegt.
Eine Prise Nazi für den ominösen Unterton
Auch Die Ermordung des Commendattore wird nicht durch den Handlungsverlauf spannend, sondern durch die Fragen, die er aufwirft. Warum ist Menshiki so Bill-Gates-mäßig reich? Warum hat sich die Frau des Protagonisten von dem Künstler getrennt? Wer ist der Typ mit dem weißen Subaru Forester (wie gesagt: genaue Nennung von Automodellen)? Was hat er mit unserem Protagonisten zu tun? Was hat es mit dem Bild Die Ermordung des Commendattore auf sich? Und wie zur Hölle hängt das mit den Nazis zusammen (Abgesehen davon, dass Nazis immer ziehen. Der beste Weg, um alles ein bisschen gruseliger zu machen.)? Viele Fragen, (noch) wenige Antworten. Murakami hat auf jeden Fall in Sachen Cliffhanger aufgepasst. Was nichts daran ändert, dass Murakami ab und an in die Schublade der abgedroschenen Phrasen („Eines schönen Morgens Ende Mai […]“) und unverschleierten Exposition („‚Sie wissen sicher, was es mit dem Anschluss Österreichs auf sich hatte, nicht wahr?“ „Nicht so genau.‘“) greift. Allzu viel Vertrauen scheint Murakami in das Gedächtnis seiner Leser auch nicht zu haben, lässt er seine Figuren doch oft Zusammenhänge wiederholen, die selbst der eher unaufmerksame Leser behalten haben sollte. Das fügt sich nicht immer flüssig in den Text ein („Sie erinnern sich doch?“). Aber das Ganze hält sich im Rahmen, der Leser wird nicht die gesamte Zeit beim Händchen gehalten. Man darf auch noch selber nachdenken, und wer weiß, was uns ab April in Band 2 erwartet? Vielleicht haut Murakami ja doch noch etwas Unerwartetes raus.
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