
Richard Wagners “Siegfried” an der Oper am Rhein Foto: Hans Jörg Michel
Der Ring dreht sich weiter. Inzwischen ist die Deutsche Oper am Rhein am zweiten Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen angelangt. Mit Siegfried steht nun also das insgesamt dritte Werk aus der Ring-Saga Richard Wagners auf dem Spielplan. Während Das Rheingold noch mit spannendem Regiekonzept überzeugte und auf einen sehr guten Ring hoffen ließ, glänzte schon die Walküre fast nur noch musikalisch. Siegfried setzt den Abwärtstrend nun fort, kann jedoch zumindest auf Seiten der Darsteller überzeugen.
von STEFAN KLEIN
Der einst mächtige Gott Wotan (Simon Neal) führt nur noch ein ruheloses Leben als Wanderer auf der Erde, wo er aus der Ferne beobachtet, wie sein Enkel Siegfried (Michael Weinius) beim hinterlistigen Schmied Mime (Cornel Frey) aufwächst. Siegfried hat keine Ahnung von seiner göttlichen Abstammung, spürt jedoch, dass der Zwerg Mime nicht sein Vater sein kann. Es kommt also der Tag, an dem Siegfried seinen Ziehvater auf seine wahre Familie anspricht und erfährt, dass seine Mutter Sieglinde nach der Geburt starb und ihm die Stücke eines Schwertes hinterließ. Während Mime es nie schaffte, das Schwert Notung wieder ganz zu bekommen, nutzt Siegfried unkonventionelle Methoden und kreiert sich ein neues, noch härteres Schwert. Durch eine List schickt Mime seinen Schützling zu Fafner (Thorsten Grümbel), der, zu einem Drachen verwandelt, das Rheingold bewacht. Mime hofft, Siegfried möge Fafner töten und das Rheingold stehlen. Durch einen Trank würde er den starken Jüngling dann selbst überlisten und so an den mächtigen Ring kommen. Mimes Plan geht jedoch nicht auf, wird er doch selbst von Siegfried getötet, der sich dann, geleitet von einem Waldvögelein (Elena Sancho Pereg) auf die Suche nach der schlafenden Brünnhilde (Linda Watson) macht. Auch dieses Abenteuer gelingt dem Helden, der sich Hals über Kopf in sie verliebt und so gemeinsam mit ihr und ungeachtet aller Konsequenzen in eine ungewisse Zukunft blickt.
Dampfwalzen-Logik
Siegfried ist eigentlich der Teil des Ringes, der am ehesten als locker, lustig oder spannend beschrieben werden könnte. Es ist die Geschichte eines Helden, der auszieht, um mit neuen Wegen die alten Regeln hinter sich zu lassen und sein eigenes Glück zu suchen – eine frühe Version der Coming-of-Age-Geschichte, wenn man so will. Von Spannung und Abenteuerlust ist in Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierung jedoch wenig zu finden. Nun ist es mit Sicherheit auch dem Ausgangsmaterial geschuldet, dass trotz fast fünfstündiger Aufführungsdauer relativ wenig passiert. Doch selbst wenn mal die Option auf tatsächliche Handlung und Spannung besteht, verpuffen diese Chancen. Im zweiten Aufzug kommt es zum großen Kampf zwischen Siegfried und dem im Libretto mit „Wurm“ betitelten Drachen Fafner. Musikalisch ist es ein spannender Schlagabtausch, den Siegfried am Ende knapp, aber triumphierend für sich gewinnt. Tatsächlich auf der Bühne sieht das Düsseldorfer Publikum nur, wie eine dampfwalzenähnliche Lokomotive gemächlich einrollt, Siegfried sie besteigt und dann sein Schwert in sie einfädelt. Während Hilsdorf im Rheingold noch Fabelwesen als eben solche auf die Bühne brachte, überträgt er hier den Drachen auf eine Dampflok. Wenn man versucht, eine wohlwollende Interpretation zu finden, könnte man das Zerstören der Dampfmaschine als Befreiungsschlag sehen, der das Alte (in diesem Fall alte Technik) hinter sich lässt und Platz für das Neue macht. Siegfried ist jedoch keine moderne Elektro-Lok. Selbst dieser naheliegende Versuch der Erklärung mit Hilfe umgekehrter Starlight Express-Logik scheitert also.
Doch was bleibt dann? Zu Beginn sieht man Mime, wie er sich mittels VHS-Rekorder die Geschehnisse der ersten beiden Ring-Opern ansieht. Wir haben also offenbar die 1920er Jahre des Rheingolds verlassen. Nichts anderes in der Inszenierung lässt jedoch einen Rückschluss auf zeitliche Einordnung zu. Aber das wirklich gelungene Konzept des Deutschen-Generationen-Rings aus dem Rheingold hatte Hilsdorf bedauerlicherweise schon in der Walküre wieder verworfen. Wir sehen also vor allem dem überschaubaren Personal dabei zu, wie es sich das bisher Geschehene erneut erzählt, von links nach rechts über die Bühne läuft und manchmal auf einen Amboss hämmert.

Richard Wagners “Siegfried” an der Oper am Rhein Foto: Hans Jörg Michel
Herausragende Solisten, die wenig zu tun bekommen
Darstellerisch sind die meisten Sänger unterfordert. Zumindest Cornel Frey als Mime holt das Beste aus seiner Partie heraus. Er springt schelmisch über die Bühne, heckt gemeine Pläne aus und man wünscht sich, er würde den zweiten Aufzug überleben. Der charismatische Schweizer zieht das Publikum mit seiner spannenden Stimmfarbe und dem energetischen Spiel auf seine Seite, obwohl es doch dem jungen Helden Siegfried zujubeln sollte. Letztlich muss man sich auch nicht entscheiden. Man darf beide gut finden. Michael Weinius bringt Siegfrieds Naivität und Tatendrang ausgezeichnet in sein Spiel ein und überzeugt auch mit seinem klaren Tenor in dieser Mammut-Rolle. Es gibt nur wenig Momente in den fünf Stunden, in denen der Schwede nicht auf der Bühne steht. In denen ist dann aber zum Glück Simon Neal als Wotan/Wanderer zu sehen und vor allem zu hören. Im Vergleich zu seiner Partie in der Walküre hat er nun deutlich weniger zu tun, glänzt jedoch mindestens genauso. Einen noch kleineren Part hat Wagner Brünnhilde zugeschrieben. Erst im dritten Aufzug kommt sie auf die Bühne, verschläft diesen aber halb. Sobald sie erwacht, ist Linda Watson jedoch nicht zu bremsen. Die Kalifornierin ist völlig zu Recht eine der wichtigsten Wagner-Interpretinnen unserer Zeit, bekommt nur leider im Siegfried viel zu wenig zu tun. Hilsdorf scheint sie ein wenig allein zu lassen: Nach ihrem Erwachen im Hubschrauber, den wir bereits aus der Walküre kennen, ist ihr Bewegungsradius auf etwa drei Meter um ihren Schlafplatz herum begrenzt. Macht man sich die Mühe und schaut und hört etwas genauer hin, erkennt man jedoch in Watsons Mimik und in ihrem ausdrucksstarken Gesang die gesamte Zerrissenheit und Vielschichtigkeit der Brünnhilde, die sicher eine der spannendsten Figuren des Ring-Zyklus ist.
Dietrich W. Hilsdorf hat beim Siegfried die besten Voraussetzungen. Neben einer spannenden Geschichte und fabelhaften Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung Axel Kobers stehen ihm herausragende Solisten in den Hauptpartien zur Verfügung. Doch er macht zu wenig daraus. Anstatt sich an sein schlüssiges Regiekonzept des Rheingoldes zu erinnern, behandelt er das Ring-Mittelstück fast stiefkindlich und verpasst so die Chance, die Fehler der Walküre zu korrigieren. Es bleibt zu hoffen, dass der Regisseur, der eigentlich für spannende und vor allem innovative Inszenierungen bekannt ist, im Herbst mit der Götterdämmerung zu alter Form zurückfindet und Wagners Ring-Epos angemessen zu einem würdigen Abschluss bringt. Musikalisch sollten wir uns keine Sorgen machen. Michael Weinius als Siegfried und Linda Watson als Brünnhilde werden wieder dabei sein. Nur schade, dass Mime tot ist.
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