Auf nach Istanbul

"Istanbul" am Schauspielhaus Bochum Foto: Diana Küster

“Istanbul” am Schauspielhaus Bochum Foto: Diana Küster

In dem Stück Istanbul, das bereits seit Oktober 2017 am Bochumer Schauspielhaus läuft, wagt die Regisseurin Selen Kara einen spannenden Perspektivwechsel, indem sie das „deutsche“ Wirtschaftswunder in der Türkei ansiedelt und einen deutschen „Gastarbeiter“ an den Bosporus schickt. Unterlegt mit türkischen Liedern, Herz und Humor erzählt das Stück von einer aufregenden Reise, die man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte.

von STEFANIE KÄHNE

Samstagabend, Kammerspiele Bochum: Schon der erste Blick auf die Bühne (Thomas Rupert) versetzt einen in die ferne Türkei. An den Wänden sieht man Panoramabilder von Istanbul, die Bühne ist mit Perserteppichen ausgelegt, von der Decke und an den Wänden hängen bunte Lampen. Rings um die Spielfläche stehen bunte Stühle und Tische, auf denen nach und nach einige Theatergäste Platz nehmen.

Der Held des Abends hat es sich schon in der Mitte der Bühne auf einem Podest bequem gemacht. Sein Name ist Klaus Gruber (Roland Riebeling). Er ist ein Bochumer Junge wie aus dem Bilderbuch, er spricht Ruhrdeutsch, verpasst niemals ein Spiel des VfL und kauft seine Frikadellen am liebsten bei Fleischwaren Kruse. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage ist er gezwungen, als Gastarbeiter in die Türkei zu reisen, um seine Frau Luise (Tanja Schleiff) und seine Tochter über die Runden zu bringen.

Und so beginnt Klaus‘ Reise, die ihn schließlich bis in das Istanbuler Stadtviertel Balat führt. Seine Wohnung ist kaum größer als ein Schuhkarton und seine Arbeit monoton und kräftezehrend. Die Umgebung, das Essen und die Sprache sind ihm fremd. Aber Klaus nimmt seine Lage mit Humor, besorgt sich Wörterbücher, ertränkt seine Probleme im Rakı und holt am Ende sogar Luise und die gemeinsame Tochter in seine neue Heimat nach.

Ein Wechsel aus Liedern und Schauspiel

Szene für Szene gewinnt der Zuschauer einen immer lebendigeren Eindruck davon, was es bedeutet, als Gastarbeiter in die Fremde zu gehen. Am Anfang steht da die Hoffnung auf Wohlstand, die zusehends der Angst vor dem Ungewissen weicht. Angekommen in Balat, folgt für Klaus die schwierige Aufgabe, sich als einzige „Kartoffel“ unter Istanbuler*innen zu behaupten, obwohl er kein Wort Türkisch versteht, Knoblauch nicht ausstehen kann und lieber Kaffee als Çay trinkt. Doch nach einiger Zeit gelingt es Klaus, neue Bekanntschaften zu schließen, seine Frau und seine Tochter zu sich zu holen und ein geregeltes Leben zu führen. Es erscheint beinahe so, als sei er endlich angekommen in seiner neuen Heimat, wäre da nicht dieser letzte Dialog mit seiner Frau, in dem Klaus sich immer noch fragt, wo sein Zuhause ist.

Es sind zumeist recht kurze Szenen, in denen diese Themen verhandelt werden, und doch dringen sie tief ins Herz. Das liegt einerseits an den lebendigen Dialogen (Textfassung: Selen Kara und Akin E. Şipal) und gelungenen Interaktionen der Schauspieler*innen, andererseits aber auch an der musikalischen Untermalung des Stückes. An viele Szenen schließen sich Lieder aus dem Œuvre der türkischen Popkönigin Sezen Aksu an, die von den Schauspielern live auf der Bühne in Originalsprache gesungen werden. Zu jeder Szene scheint sich ein passendes Lied zu finden, in dem die jeweilige Stimmung aufgegriffen wird. Das Spektrum reicht von rhythmischen, kraftvollen Nummern, die auch das Publikum zum Tanzen einladen, bis hin zu sehnsuchtsvollen Balladen, die für einen kurzen Moment nachdenklich stimmen.

Der Gesang der Schauspieler*innen wird dabei unterstützt von vier Musiker*innen unter der Leitung von Torsten Kindermann, die von der Gitarre bis zur Klarinette und Darbuka (arabische Bechertrommel) alle nur erdenklichen Instrumente zu beherrschen scheinen.

"Istanbul" am Schauspielhaus Bochum Foto: Diana Küster

“Istanbul” am Schauspielhaus Bochum Foto: Diana Küster

Das Beste zweier Kulturen

Das Stück wurde ursprünglich von der Regisseurin Selen Kara für das Theater Bremen konzipiert. Dort feierte es 2015 seine Uraufführung und läuft bis heute mit großem Erfolg. Für das Bochumer Schauspielhaus veränderte die Regisseurin einige Details und fügte in Zusammenarbeit mit Torsten Kindermann eine ordentliche Portion Lokalkolorit hinzu. Die Premiere folgte im Oktober 2017, und auch hier im Pott erfreut sich das Stück großer Beliebtheit. Das erkennt man auch daran, dass es für die folgenden Termine im April und Mai keine Karten mehr zu kaufen gibt.

Dieser doppelte Erfolg ist durchaus gerechtfertigt. Istanbul ist ein wunderbar unterhaltsames Stück, das mit viel Herz und Humor zum kulturellen Austausch anregt und das Beste der deutschen und türkischen Kultur auf die Bühne bringt. So wird beispielsweise die für die Türkei so typische Gastfreundschaft in diesem Stück durch ungewöhnliche und überraschende Praktiken umgesetzt. Aber auch die für Deutschland charakteristischen Eigenheiten kommen in diesem Stück nicht zu kurz und werden mit viel Charme thematisiert. Dies gilt im Übrigen auch ganz allgemein für die Darstellung der Gastarbeiterschaft, die auf humorvolle und empathische Art und Weise erfolgt. Natürlich kann man angesichts der aktuellen politischen Lage darüber diskutieren, inwieweit dieser Ansatz, sich auf das Positive zu konzentrieren und auf das Negative zu verzichten, angemessen ist. Man kann aber auch betonen, dass gerade angesichts der politischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei der kulturelle Austausch wichtiger denn je erscheint. Wenn ein Stück wie Istanbul ein breites Publikum anspricht und zum Nachdenken anregt, ist damit schon vieles gewonnen. Wenn es weiterhin vielleicht sogar dazu beiträgt, Vorurteile und Ängste zwischen den Menschen abzubauen und das Verständnis füreinander zu verstärken, dann sollte man diesen Ansatz würdigen und dafür auch großzügig über den einen oder anderen möglichen Kritikpunkt hinwegsehen.

Informationen zur Inszenierung
 
Nächste Vorstellungen:
Freitag, 13. April
Dienstag, 29. Mai

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