Viel Hollywood und ein wenig zu wenig Bernstein

Daniel Hope sorgte an der Philharmonie Essen für ein fast ausverkauftes Konzert.

Daniel Hope sorgte an der Philharmonie Essen für ein fast ausverkauftes Konzert.

Die Essener Philharmoniker feiern noch immer den 100. Geburtstag der Komponisten-Legende Leonard Bernstein. Und wieder bitten sie mit Daniel Hope einen Star-Geiger zu sich. Nachdem Hilary Hahn vor ein paar Monaten nur bedingt überzeugen konnte, punktet Hope mit Charme, Gefühl und vor allem viel Talent. Doch es lässt sich sicher darüber streiten, inwieweit der Abend Bernstein in den Mittelpunkt stellt.

von STEFAN KLEIN

Daniel Hope befasst sich seit vielen Jahren mit Filmmusik. Ihm liegen vor allem die europäischen Exil-Komponisten am Herzen, die maßgeblich den für uns heute bekannten Hollywood-Sound geprägt haben. Zu diesem Thema erschienen bereits ein Buch und eine CD-Aufnahme von ihm, aus deren Titelliste dem Essener Publikum zwei Stücke präsentiert werden.

Den Auftakt des Abends bestreiten die Essener Philharmoniker jedoch ohne ihren diesjährigen ‚Artist in Residence‘ mit Max Steiners Filmmusik zu Gone with the Wind (1939, dt. Vom Winde verweht). Unter einem zuerst seltsam anmutenden, relativ lauten Dirigat mit gut hörbaren Atemgeräuschen ihres Gastdirigenten John Axelrod entführen die sichtlich spielfreudigen Essener ihre Zuhörer in die Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges. Aus den rund 100 Themen, die der Österreicher Steiner für den Film komponierte, stellte er in den 1960er Jahren eine wunderbare Konzertsuite zusammen, die wie gemacht zu sein scheint, um ein wenig Hollywood-Glanz ins Ruhrgebiet zu bringen.

Hope lässt Bergman und Peck kuscheln

Zu Miklós Rózsas Love Theme aus Alfred Hitchcocks Film Spellbound (1945, dt. Ich kämpfe um dich) betritt der Mann das Podium, für den sicher die meisten Gäste des sehr gut besuchten Konzertes gekommen sind. Daniel Hope wurde vor 14 Jahren mit dem Nachwuchspreis des ECHO-Klassik ausgezeichnet und ist seitdem einer der gefragtesten Violinsolisten der Klassikwelt. Unzählige CD-Einspielungen, vier Bücher, ein Dokumentarfilm und sogar ein Bundesverdienstkreuz darf er sein Eigen nennen. So ist es wenig verwunderlich, dass sein Name für ein fast ausverkauftes 10. Sinfoniekonzert sorgt.

Gleich mit seinem ersten Auftritt sorgt Hope auch für den emotionalsten Moment des Abends. Seine Interpretation der oscarprämierten Musik zu Hitchcocks Film versetzt das Publikum mitten hinein in eine dramatisch-romantische Liebesszene zwischen Ingrid Bergman und Gregory Peck. Unterstützt von den schwelgenden Philharmonikern, hier allen voran den Streichern (1. Konzertmeister Daniel Bell), erzählt Hope mit seinem Instrument eine so plastische Liebesgeschichte, dass man Hitchcocks Film nicht gesehen haben muss, um zu verstehen, worum es geht.

Als letztes Highlight vor der Pause haben Axelrod und Hope Erich Wolfgang Korngolds Konzert D-Dur für Violine und Orchester vorbereitet. Etwa 20 Filmmusiken schrieb Korngold in der Zeit seines amerikanischen Exils, darunter die mit einem Oscar ausgezeichnete Musik zu The Prince and the Pauper (1937, dt. Der Prinz und der Bettelknabe) und The Adventures of Robin Hood (1938, dt. Robin Hood, König der Vagabunden). Aus dem Melodienfundus des erstgenannten sowie aus weiteren Themen seiner Hollywood-Arbeiten bediente sich Korngold bei der Komposition seines Violinkonzertes. Das Konzert wirkt durch den filmischen Kontext enorm plastisch und erzählend – auch hier weiß Hope durch sein emotionales und exzellentes Spiel den Zuhörer an die Hand zu nehmen und über den satten Klang der Essener Philharmoniker zu begleiten. Man merkt dem Geiger seine Leidenschaft für die euro-amerikanische Filmmusik bei jedem Ton an und er entfacht damit eine ganz spezielle Dynamik in den Reihen des Essener Orchesters.

Ein bisschen Bernstein

Diese Dynamik ist es, mit der die Philharmoniker nach der Pause Leonard Bernsteins Musik zu On the Waterfront (1954, dt. Die Faust im Nacken) zu einem Genuss werden lassen. In Bernsteins einziger Filmmusik vereint der Komponist alles, wofür er bekannt ist. Wunderschöne Melodien treffen auf spannende Tempi-Wechsel mit einem grandios pompösen Finale. Vor allem bleiben den Zuhörern sicher Katharina Möritz an der Flöte sowie Gabriele Bamberger an der Harfe im Gedächtnis. Sie wechseln sich über weite Strecken mit der Hauptmelodie ab, die immer wieder vom gut aufspielenden Orchester durchbrochen wird.

Bernsteins Filmmusik fügt sich stimmig in den glamourösen Hollywood-Abend ein. Doch als Teil der groß angekündigten Konzertreihe zum 100. Geburtstag des Ausnahmemusikers eignet sich der Abend, wie auch schon vorangegangene Konzerte der Reihe, wenig. Insgesamt ist deutlich zu wenig Bernstein in den mit Bernstein betitelten Abenden. Man gewinnt eher den Eindruck, man schmuggle in die schon geplanten Veranstaltungen der eingekauften Solisten notdürftig jeweils ein Stück aus dem Œuvre Bernsteins hinein. Während Hilary Hahn wenigstens noch selbst am Bernstein-Titel beteiligt war, betritt Daniel Hope erst nach On the Waterfront wieder die Bühne.

Zum Abschluss verwandeln sich die Essener Philharmoniker erst in ein Kaffeehaus-Orchester und dann in eine Big Band. Mit einer Suite für Violine und Orchester mit sechs Schlagern Kurt Weills verabschieden sich der britische Solist und der amerikanische Gastdirigent swingend vom Essener Publikum. Der ungewohnte Klang steht dem Orchester sehr gut und die Musiker selbst sind sichtlich von dieser Abwechslung begeistert. Als am Ende aus dem schwofenden Mackie Messer der swingende Mack the Knife wird, sind es vor allem die Blechbläser, die beweisen, dass sie sich vor keiner Big Band verstecken müssen.

Alles in allem präsentieren die Essener Philharmoniker zusammen mit ihrem diesjährigen ‚Artist in Residence‘ Daniel Hope ein stimmiges und vor allem unterhaltsames 10. Sinfoniekonzert. Das Orchester beweist, dass ihm die Musik des 20. Jahrhunderts, egal ob jazzig oder monumental unterhaltend, sehr gut steht. Das spannende und gut interpretierte Bernstein-Werk lässt hoffen, dass es bald mal einen richtigen Bernstein-Abend gibt. Die Essener könnten es und der Komponist hätte es verdient.

 

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