Am Ende waren alle zufrieden

Leonard Bernstein Foto: Jack Mitchell

Leonard Bernstein Foto: Jack Mitchell

Mit Thomas Hampson konnte die Essener Philharmonie nicht nur einen gefragten Sänger, sondern auch einen Weggefährten Leonard Bernsteins für ein Konzert gewinnen. Der Liederabend To Lenny with Love kann immer dann überzeugen, wenn der charmante Amerikaner persönliche Anekdoten vom Komponisten erzählt, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Während die erste Hälfte des Konzertes mit Mahler-Liedern eine fast unangenehme Atmosphäre hat, sind die Besucher nach der Pause ganz auf der Seite Hampsons. 

von STEFAN KLEIN

Der Amerikaner Thomas Hampson spricht sehr gut Deutsch. Sein amerikanischer Akzent, exotisch durchzogen von einem charmanten österreichischen Dialekt, fesselt die Zuhörer an seine Lippen – mit über 30 Jahren im Geschäft hat er auch wirklich etwas zu erzählen.

Doch aus irgendeinem Grund entscheidet er sich, in der ersten Konzerthälfte – abgesehen von seiner Gesangsdarbietung – völlig stumm zu bleiben. Zusammen mit seinem Stamm-Pianisten Wolfram Rieger interpretiert Hampson acht Lieder aus dem reichen Kunstlied-Fundus Gustav Mahlers, ohne Moderationen und auch fast ohne Applaus vom Publikum. Sichtlich irritiert wartet Hampson rund zwanzig Sekunden schweigend nach den letzten Tönen vom Eröffnungsstück Erinnerung aus Mahlers Zyklus Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit, ehe Rieger am Klavier Aus! Aus! aus demselben Liedzyklus anstimmt. Als außer nervösem Hüsteln kein Applaus zu hören ist, macht sich auch im Publikum eine eigentümliche Stimmung breit, die im gesamten Verlauf der ersten Hälfte nicht besser werden möchte.

An der Sangesleistung des Baritons liegt es mit Sicherheit nicht. Der Profi interpretiert Mahlers Lieder technisch einwandfrei, und auch wer wenig mit den oft etwas sperrigen Kunstliedern anfangen kann, kommt nicht umhin, Hampsons Leistung und Talent anzuerkennen. Erst nach Urlicht, dem letzten Stück der Mahler-Hälfte, kommt der befreiende und vielleicht aus Schuldgefühlen fast überschwänglich frenetische Applaus.

Endlich Bernstein

Nach der Pause kommt das Publikum endlich in den Genuss, Thomas Hampson auch mal sprechen zu hören. So erfährt es, dass die sieben folgenden Lieder Werke Bernsteins sind, mit denen der Bariton entweder ganz persönliche Geschichten verbindet oder die er für „typisch Lenny“ hält. Bevor es losgeht, kommt jedoch eine Warnung an das Publikum: Die Wahrscheinlichkeit sei sehr groß, dass sie keines der folgenden Stücke kennen werden. Und so ist es tatsächlich auch. Am ehesten könnte das Essener Publikum noch das Eröffnungsstück A Simple Song oder das Finale des Abends I go on kennen, da beide Lieder aus Bernsteins leider in Deutschland kaum präsenter Mammut-Oper Mass sind (das Musiktheater im Revier Gelsenkirchen zeigt sie in der kommenden Spielzeit). Die weiteren Werke könnte man fast als moderne Kunstlieder bezeichnen und sind kompositorische Spielereien oder Stücke, die Bernstein gezielt für Bühnenprogramme einzelner Interpreten schrieb. Auf Hits aus Bernsteins Musicals West Side Story oder Wonderful Town wartet man vergeblich. Doch das ist gar nicht schlimm. Mit der Liedauswahl zeigt Hampson, wofür Leonard Bernstein seiner Meinung nach steht. Er sei ein Mensch gewesen, für den die Liebe zur Musik, aber vor allem die Liebe zu den Menschen im Mittelpunkt stand. Ein ungemein komischer, aber immer tiefgründiger und liebevoller Mensch, den Hampson mehr als einmal an dem Abend stolz seinen „Mentor“ nennt. Er geht sogar so weit zu sagen, einen Menschen wie Leonard Bernstein, den das gesamte Land liebt und verehrt, brauche Amerika heute mehr als jemals zuvor.

Musikalisch unterscheiden sich die ausgewählten Werke stark vom bekannten Repertoire Bernsteins. Es ist eher das Erzählende, was in Liedern wie The Pennycandystore beyond the EI oder die Vertonung des jiddischen Gedichtes Oif Mayn Khasʼneh im Mittelpunkt steht. Bernstein unterstreicht die komischen oder nachdenklichen Aspekte der Texte musikalisch so, dass die Übersetzung im Programmheft nicht von Nöten gewesen wäre.

Thomas Hampson entlässt das am Ende doch begeisterte Essener Publikum nach drei Zugaben mit dem guten Gefühl, Leonard Bernstein durch Erinnerungen eines Weggefährten neu kennengelernt zu haben. Und auch der Amerikaner wird etwas gelernt haben: Beim nächsten Mal wird er das Publikum sicher auch zwischen den Mahler-Stücken moderierend an die Hand nehmen. Dann klappt es auch mit dem Applaus.

 

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