I AM WRITING WITH A PURE HEART

nomerMaids' "Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt" an der Studiobühne Köln

nomerMaids’ “Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt” an der Studiobühne Köln

Im Zuge des Theaterszene Europa Festivals beherbergte die Studiobühne Köln das Berliner Kollektiv nomerMaids mit ihrem Stück Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt. Panni Néder ist nicht nur Regisseurin des Stückes, das als szenische Lesung einst seinen Anfang nahm, sondern ebenso dessen Verfasserin. Ein mitreißender Sprachfluss, der die Grenzen und utopischen Weiten von Ausdruck und Kommunikation gewitzt und zugleich tiefgründig auslotet.

von SILVANA MAMMONE

Kann Theater unpersönlich sein? Kann man sich aus seiner Kunst herausnehmen, sich gleichsam von ihr distanzieren und darüber hinaus objektiv und kritisch Urteile über Anspruch und Relevanz derselben treffen? Das sind zentrale Fragen des Stückes von nomerMaids, die gleich zu Beginn gestellt werden, wenn die sich gerade noch im Spotlight befindliche Meerjungfrau (Adrienn Bazsó ) aus Letzterem heraustritt, auf die Metaebene steigt und offen und direkt zugibt: „Ich weiß nicht, ob das, was ich mache, interessant genug ist.“ Allein in einem Meerjungfrauenkostüm auf einer leeren Bühne (Susann Kotte und Emőke Samu) kann man sich diese Frage ruhig einmal stellen. Angelehnt an diese Haltung der Selbstreflexion, ist die Bühne konsequent leer und somit in keinster Weise ablenkend oder gar unterstützend. Die Person hinter der Meerjungfrau, wenn man diesen Unterschied in diesem Szenario noch machen kann, ist gebürtige Ungarin und seit Längerem Wahlberlinerin, wie auch Panni Néder. Mit entsprechend lockerer Zunge wechselt sie fröhlich zwischen Ungarisch und Deutsch. Das soll Erfolg versprechen, denn sie erinnert sich an eine Jury, die nach einem komplett fremdsprachigen Monolog jubilierte, „großartig, diese Unbegreiflichkeit“. Über die Grenze zwischen mystisch-interessanter und unangenehm juckender bis hin zu nervenaufreibender Unverständlichkeit streitet sich die Kunst im Allgemeinen ja recht gerne. In diesem Stück kommen immerhin 14 Sprachen vor, wobei lediglich Englisch übertitelt wird. Nichtsdestotrotz ist der Text zugänglich, mehr noch, insbesondere der schnelle und gewitzte Wechsel zwischen den Sprachen macht einen großen Reiz des Abends aus. Dabei ist nicht aller Ausdruck verbal, auch mit Mimik, Gestik bzw. reichlich Physical Theatre-Elementen wird „gesprochen“. Schade nur, dass man der französischen Großmutter seiner Ex-Mitbewohnerin nicht durchs Telefon vortanzen und somit klarmachen kann, dass Letztere kürzlich ausgezogen ist. Sprache hat ihre Grenzen, leider. Die drei Theatermacherinnen wissen definitiv, wie man diese „fucking language barriers“ produktiv für sich nutzt, bis sie, nacheinander aufgetreten, die Bühne nicht mehr verlassen und zu einem dreiköpfigen, gutmütigen und sehr aufgeschlossenen Sprachmonster mutieren, das gekonnt die leere Bühne zu füllen versteht.

Do you like my mother tongue?

Zusehends bekommen wir Einblicke in das Leben zweier Meerjungfrauen in unserer Bindestrichkultur. Metaphorisch versteht sich, denn nur eine trägt das entsprechende Kostüm, wobei dennoch beide zwischen zwei Welten verharren, Welten, die komplizierte und teils undurchdringliche Vielfalt linguistisch mit Bindestrichen kompensieren. Das hilft auch nicht so richtig, um sich selbst oder anderen verständlich zu machen. Wie also sich ausdrücken? Was erzählen? „Autobiografisches Theater ist total in gerade.“ Schmunzelnd nehmen wir die Ironie hin, mit der auf Trends aufmerksam gemacht wird, während wir Néders Irrfahrt zu einer „wahrhaftigen“ Erzählung verfolgen. „I want to show everybody that straight and honest communication is the only way.“ Aber „ist es interessant?“, und überhaupt, „how can I be interesting“? Fragen über Fragen führen uns zu französischen Großmüttern und ungarischen Großvätern, der Flüchtlingspolitik Viktor Orbáns, sexuellen Frustrationen und so einigem mehr. Dabei macht vor allem das Kombinieren von augenscheinlich nicht kompatiblen Elementen großen Spaß. Ob Cowgirl mit Schnurrbart (Charlotte Mednansky) – „women on stage werden (ganz nebenbei) mehr respektiert, wenn sie ein männliches Symbol tragen“ –, zahlreiche Showeinlagen zu Themen wie Diktatur oder Discomoves zu intimen Themen wie Kleinmut, der Abend ist bunt gespickt mit hybriden Formen.

Stop talking about your vagina!

Besonders beeindruckend ist der Rhythmus des Abends, der wie ein mitreißender Fluss anmutet und gleichzeitig mit sehr persönlichen und daher scheinbar willkürlichen Impulsen arbeitet. Der Abend ist eine feinfühlige Bewegung, die bei den Darstellerinnen beginnt und sich frontal auf den Zuschauer zubewegt. Wild und tiefgründig reflektierend, landen die Fragen und Ängste, die sich die drei Frauen stellen, auf unseren Schößen und in unseren Köpfen, bis sie am Ende eine liebevolle wie auch nachdrückliche Aufforderung werden – eine Aufforderung, Panni Néder in die Augen zu schauen oder den Umschlag auf unserem Sitz zu öffnen, auf dem eigentlich steht: „Please do not open“. Die Katharsis der drei Frauen färbt zuweilen auf die Zuschauer ab und legt nahe, dass die Grenzen zwischen individuellen und kollektiv geteilten Ängsten fließender verlaufen als oftmals angenommen und uns zu verbinden vermögen, wenn wir sie offen aussprechen. Ehrlichkeit hinterlässt immer irgendwelche Spuren, und Panni Néders hat das Potenzial zu zeigen, dass Impulse uns von innen heraus leiten können und vielleicht sogar Bewegungen aufeinander zu die Konsequenz sind. Unvermittelt haben wir uns so von Grenzen entfernt, die wir verzweifelt versucht haben zu definieren oder zu verstehen. „What can I give you but myself and äääääääääääääh…“ Zumindest auf der Spitze von nomerMaidsʼ Inszenierung reicht es mir vollkommen aus und zeichnet eine Hingabe aus, die Wertschätzung verdient.

 

Informationen zur Inszenierung

Ein Gedanke zu „I AM WRITING WITH A PURE HEART

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