Jetzt singt er auch noch

Bill Murray und Jan Vogler mit "New Worlds" bei den Ruhrfestspielen Foto: Peter Rigaud

Bill Murray und Jan Vogler mit “New Worlds” bei den Ruhrfestspielen Foto: Peter Rigaud

Hollywood-Superstar Bill Murray hat zusammen mit dem deutschen Cellisten Jan Vogler ein Musik- und Literatur-Crossover-Album aufgenommen, mit dem sie aktuell um die Welt touren. Ein Zwischenstopp sind die Ruhrfestspiele in Recklinghausen, wo sie das Publikum auf ihrer Seite haben, auch wenn nicht immer ganz klar ist, warum. New Worlds ist ein spannender Theater-/Konzert-Abend, der jedoch ein wenig Nachbereitung bedürfte, damit er sich einem ganz erschließen kann. 

von STEFAN KLEIN

Manchmal sind es Zufälle, die Freundschaften bilden und Kollaborationen ermöglichen, mit denen man normalerweise nicht rechnen würde. Der deutsche Star-Cellist Jan Vogler saß auf einem Flug von Berlin in die USA neben niemand geringerem als Schauspieler Bill Murray, der in der deutschen Hauptstadt gerade den Film Monuments Men abgedreht hatte. Ins Gespräch kamen die beiden, da Vogler für sein Cello einen Fensterplatz neben sich in der ersten Klasse gebucht hatte. Das schien selbst für einen Hollywood-Star wie Murray ungewöhnlich und die zwei Künstler tauschten sich während des Fluges aus – über Musik, über Literatur und darüber, wer sie eigentlich seien. Jan Vogler hatte nämlich keine Ahnung, wer da auf der anderen Seite des Ganges saß.

Normalerweise muss man Bill Murray niemandem vorstellen. Er prägte mit seinen Komödien wie kaum ein anderer die 1980er Jahre Hollywoods (Und täglich grüßt das Murmeltier, Ghostbusters, Ich glaub mich knutscht ein Elch) und beweist nun seit vielen Jahren, dass ihm auch das Tragisch-Komische liegt (Lost in Translation, Broken Flowers).

Literatur trifft Musik

Aus dieser Zufallsbegegnung ist Ende 2017 ein spannendes Album entstanden, das Murray und Vogler zusammen mit Violonistin Mira Wang und Pianistin Vanessa Perez nun auf großer Tournee präsentieren. Eine Station auf ihrer Reise ist Recklinghausen, wo sie im Rahmen der Ruhrfestspiele vor ausverkauftem Haus einen Abend präsentieren, der beweist, wie gut sich verschiedene Blicke auf die Kunst ergänzen können. Das Thema der diesjährigen Ruhrfestspiele ist „Heimat“, und es scheint, als wäre der Abend extra für eben dieses Thema konzipiert worden.

Beide Künstler präsentieren ihre jeweilige Heimat (die amerikanische Literatur im Falle Murrays und die klassische Musik auf Seiten Voglers) ihrem Gegenüber und zeigen dem Publikum, wie klein die Welt aus der Sicht der Kunst sein kann. So treffen gleich zu Beginn Song of the open Road und Song of myself von Walt Whitman auf eine wunderbare Interpretation von Bachs Prélude der Suite für Cello. Murray trägt den melancholischen Text stolz und voller Pathos vor und bereitet so optimal auf die bekannte Suite Bachs vor, die einem trotz hundertfachem Hören immer wieder das Herz öffnet. Während hier Text und Musik noch nebeneinanderstehen, verschmelzen sie im Laufe des Abends auch immer wieder. Besonders eindrucksvoll gelingt dies bei einem Hybrid aus James Fenimore Coopers The Deerslayer und Franz Schuberts Piano Trio Nr. 1. Die romantischen Klänge Schuberts umspielen die Naturbeschreibungen der amerikanischen Prärie erstaunlich stimmig und helfen, die Atmosphäre des Indianer-Romans besser aufzunehmen. In der einzigen Moderation des Abends erklärt Murray, dass es Coopers Romane waren, die sich Schubert an sein Sterbebett hat bringen lassen. Mehr Informationen wie diese hätten dem Abend sicher sehr gutgetan, schließlich findet sicher nicht jeder im Publikum so einfach Zugang zu den Texten und der Kombination mit der ausgewählten Musik. Während Whitman, Hemingway und Twain von jedem amerikanischen Highschool-Schüler rückwärts aufgesagt werden können, sind die großen amerikanischen Autoren vielen Deutschen doch nur vom Namen ein Begriff. Besonders kompliziert wird es, als Vogler Mancinis Moon River anspielt und Murray gut viertelstündig aus Mark Twains Adventures of Huckleberry Finn vorliest. Es ist eine Freude, Murray zuzusehen und vor allem zuzuhören, wie er jeder Figur eine eigene Stimme und einen eigenen Akzent spendiert, doch Nicht-Muttersprachlern fällt es schwer, die Übersicht zu behalten. Hier wären Übertitel sicher hilfreich gewesen.

Bill Murray und Jan Vogler mit "New Worlds" bei den Ruhrfestspielen Foto: Peter Rigaud

Bill Murray und Jan Vogler mit “New Worlds” bei den Ruhrfestspielen Foto: Peter Rigaud

So etwas wie Gesang

Bill Murray belässt es nicht dabei, Texte zu rezitieren, einige singt er sogar. So interpretiert er It ainʼt necessarily so aus George Gershwins Porgy and Bess wie ein schwarzer Südstaaten-Prediger und gibt Stephen Fosters Jeannie with the light brown hair durch seine hier brüchige Stimme einen ganz besonders sehnsüchtigen Klang. Nach fast zwei Stunden Programm und vor einer Handvoll launiger Zugaben präsentieren Vogler und Murray ein kleines West Side Story-Medley. Andächtig rezitiert Murray Stephen Sondheims Text zu Somewhere eher als dass er ihn singt. Während I feel pretty danach sicher vor allem komödiantische Zwecke erfüllt, schließen Vogler und Murray mit America wieder mit einem politischen Appell an Murrays Heimat. Schon Bernstein und Sondheim schien klar gewesen zu sein, dass die Vereinigten Staaten von Amerika längst nicht mehr halten können, was sie versprechen. Die Puerto Ricaner in der West Side Story wollten unbedingt in die USA. Und als sie ankamen, wollten sie wieder in die Heimat.

Heimat ist für Bill Murray ein ambivalentes Thema. Hätte er das Recklinghäuser Publikum etwas mehr an die Hand genommen, wäre es sicher deutlicher geworden und auch inhaltlich wäre mehr rübergekommen. So bleibt den Zuschauern nur die Erinnerung an einen Abend, bei dem man zwar nicht alles versteht, bei dem sie aber wenigstens Bill Murrays einzigartiges Spiel und seine Präsenz in Einklang mit erstklassiger Musik genießen dürfen. Und wem das nicht reicht: Die CD New Worlds ist fast identisch mit der Setlist des Abends. Zusammen mit dem ausführlichen Programmheft mit Texten und Übersetzungen aus Recklinghausen kann man alles nachlesen und nachhören. Aber Vorsicht: Ohne Bill Murrays Bühnenpräsenz ist es nicht ganz dasselbe.

 

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