
b.36 Schwanensee an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Gert Weigelt
Ausgerechnet im Jahr von Marius Petipas 200. Geburtstag bringt die Oper am Rhein einen Schwanensee auf die Bühne, der kaum noch etwas mit dem ikonischen Ballettklassiker gemein hat. Während sich das Risiko tänzerisch voll und ganz auszahlt, fehlt der Inszenierung vor allem in den berühmten weißen Akten das Tempo. Martin Schläpfer beweist mit seinem Handlungsballettdebüt, dass seine Leistung als Regisseur noch nicht an sein Schaffen als Choreograf heranreicht.
von STEFAN KLEIN
Die Geschichte vom Schwanensee wurde schon unzählige Male erzählt. Dabei haben sich die Kreativen mal sehr eng an die Erfolgschoreografien Petipas und Iwanows gehalten (wie zum Beispiel in dieser Spielzeit am Essener Aalto-Theater der Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh) oder suchten nach eigenen Interpretationen (wie Matthew Bournes Swan Lake, der alle Rollen mit Männern besetzte). Martin Schläpfer erzählt seinen Schwanensee nun an der Deutschen Oper am Rhein, wie ihn kaum jemand erzählt: auf Basis des Librettos der beim Zuschauer durchgefallenen Uraufführung von 1877. Hier unterscheidet sich die Handlung von der deutlich erfolgreicheren Version von 1895 vor allem in den Punkten, in denen es um die Familie der jungen Odette geht. Die Idee ist durchaus spannend: Schläpfers Bewegungssprache, die kaum etwas mit der Petipas gemeinsam hat, trifft auf das ursprüngliche Libretto, das inzwischen durch den Siegeszug der späteren Version in Vergessenheit geraten ist. Das alles passiert unter dem verbindenden Element der wunderbaren Musik Tschaikowskys. Doch letztlich scheitert das ehrenwerte Unterfangen an den Regie-Problemen Schläpfers. Das nun durch eine Handvoll zusätzlicher Rollen noch kompliziertere Figurentableau wird von ihm nicht verständlich an das Publikum kommuniziert. Ohne vorher die Handlung im sehr informativ gestalteten Programmheft (Dramaturgie: Anne do Paco) gelesen zu haben, hat man große Probleme, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen. Ein Beispiel dafür ist Odettes Stiefmutter. Dass sie es ist, die sich schwarzgekleidet mit ihrem Gefolge zwischen den Schwanenfrauen tummelt, kann man dem Geschehen auf der Bühne nicht entnehmen. Da hilft es auch nicht, dass sie herrlich diabolisch von Young Soon Hue getanzt wird. Den Tänzern ist dabei kein Vorwurf zu machen. Vor allem das Herren-Ensemble sticht mit Spannung und Präzision hervor und macht den ersten Akt zu einem tänzerischen Erlebnis.
Exzellente Tänzer
Der Auftakt des Abends zeigt auch Schläpfers großes Können: Seine Choreografien sind zum Niederknien schön! Richtig deutlich wird es immer in Gruppenszenen, die mit einer Dynamik und einem Einfallsreichtum bestechen, die Zuschauer gefangen nehmen und so schnell nicht wieder loslassen. Schläpfer nutzt vorhandene Techniken und bringt sie durch eigene markante Abwandlungen treffsicher ins Jahr 2018. Seine Freude an expressiven und mit großen Gesten unterstützten Sprüngen zeigt dem Düsseldorfer Publikum, wie ein Jerome Robbins wohl heute choreografieren würde.
Die schon angesprochenen fantastischen Herren des Ensembles werden von Marcos Menha als Siegfried angeführt. Seine Interpretation der Rolle ist von einer kindlichen Naivität geprägt und sehr zart getanzt. Deutlich rasanter darf Alexandre Simoes seinen Benno anlegen. Vor allem in den großen Bildern sticht der exzellente Tänzer immer wieder aus dem Corps de Ballett heraus. Auf Seiten der Damen beweist Marlúcia do Amaral, dass sie die tragische Figur des weißen Schwans Odette mühelos schultern kann. Ihr filigranes Spiel passt ideal zum ausdrucksvollen Tanz. Ihr gegenüber steht mit Camille Andriot eine Odile (der schwarze Schwan), die glaubhaft als Verführerin um die Ecke kommt. Martin Schläpfer entschied sich entgegen der Aufführungstradition, den weißen und schwarzen Schwan nicht von derselben Tänzerin tanzen zu lassen. Er sagt, es sei schwer, eine Ballerina zu finden, die die Last der Doppelrolle tragen könne. Es wäre jedoch einen Versuch wert gewesen, es Marlúcia do Amaral tun zu lassen. Enttäuscht hätte sie mit Sicherheit nicht.

b.36 Schwanensee an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Gert Weigelt
Weder Tüll noch Tutu
Enttäuschend kommen die sogenannten „weißen Akte“ daher. Die Szenen am titelgebenden See gehören musikalisch zu den Höhepunkten von Tschaikowskys Komposition. Doch Martin Schläpfer raubt den Szenen stark ihre Tempi, indem er zwischen den Stücken oftmals deutlich zu lange Momente der Stille einbaut. Sie geben den Tänzern zwar den Raum, ihre Rollen weiter auszubauen, doch die Narrative hätte auch innerhalb der Musik Platz gefunden. So bremsen die Pausen den Abend eher und es fällt schwer, am Ball zu bleiben. Bühne und Kostüme des Schwanensees stammen von Florian Etti. Während seine ästhetischen Kostüme zu keinem Zeitpunkt Tutu und Tüll vermissen lassen, hätte man sich etwas mehr Bühnenbild gewünscht als nur Neonröhren und überdimensionierte leere Bilderrahmen.
Martin Schläpfers Schwanensee ist ein choreografierter Traum, der immer nur dann zum Albtraum wird, wenn man versucht, der Handlung zu folgen. Sieht man darüber hinweg und übersteht die langen Momente der Stille inmitten der wichtigsten Akte, kann man an der Oper am Rhein eine moderne und sehenswerte Fassung des Ballettklassikers sehen. In der kommenden Spielzeit hat man dann wieder die Chance, an den Häusern in Düsseldorf und Duisburg Arbeiten von Martin Schläpfer zu sehen, wie man sie von ihm gewohnt ist: Uraufführungen als Teile von stimmig konzipierten collagenartigen Ballettabenden. Ehe es für Schläpfer zur Spielzeit 2020/2021 nach Wien geht, bekommen die Ballettfreunde am Rhein hoffentlich noch viele kleine Uraufführungen von ihrem kreativen Chefchoreografen. Abendfüllend müssen sie dann aber nicht sein.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Mittwoch, den 27.06.2018 (ausverkauft)
Mittwoch, den 11.07.2018 (ausverkauft)
Donnerstag, den 12.07.2018 (ausverkauft)
Sonntag, den 15.07.2018 (ausverkauft)
Wiederaufnahme ab Samstag, den 15.09.2018