In Werk ohne Autor erzählt Florian Henckel von Donnersmarck – angereichert um fiktionale Elemente – einen Ausschnitt aus Gerhard Richters Biografie. Die Erfahrungen von Nationalsozialismus, Kommunismus und dem proklamierten Tod der Malerei führen den Protagonisten Kurt Barnert zu sich selbst. Donnersmarcks Blick auf Kunst und Erinnerung wertet dabei die streckenweise pathetische Erzählung von Kurts Familienschicksal auf.
von THOMAS STÖCK
1937, Ausstellung in einer Kunstgalerie: Entartete Kunst. Mit seinen zehn Jahren wird Kurt Barnert mit Bildern konfrontiert, die ein Museumsführer als Verhöhnung des deutschen Volkes charakterisiert. Werke Kandinskys könne auch ein kleiner Junge wie Kurt malen. „Denn Kunst kommt von Können.“ Seine Tante Elisabeth, die ihn in die Ausstellung mitnimmt, fordert Kurt auf, immer genau hinzusehen. Denn: „Alles, was wahr ist, ist schön.“ Das Gegenteil ist der Fall, und die Realität holt auch Kurts Tante Elisabeth ein. Aufgrund ihres auffälligen Verhaltens wird sie in das Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten aufgenommen und erst sterilisiert, dann vergast. Federführend tritt hierbei der SS-Arzt Professor Carl Seeband in Erscheinung – seine Unterschrift besiegelt das Auslöschen eines Menschenlebens. Dieses und weitere Elemente fügt Florian Henckel von Donnersmarck in Gerhard Richters Biografie ein.
Dabei trifft er die diskussionswürdige Entscheidung, das Auge der Kamera bis in die Gaskammer hineinblicken zu lassen. Parallel dazu fallen Bomben auf Dresden und Kurts männliche Verwandte an der Front. Für diese Darstellung wird Donnersmarck kritisiert. Ob zu Recht oder zu Unrecht, soll in dieser Rezension nicht entschieden werden. In Bezug auf die Gräueltaten im Konzentrationslager Auschwitz bestand lange Zeit Konsens darüber, diese in der Kunst nicht zu visualisieren. Andere Stimmen, wie die des Kunsthistorikers Georges Didi-Huberman, fordern stattdessen Images malgré tout, Bilder trotz allem. Donnersmarcks Blick in die Gaskammer ist konsequent, wird vom Protagonisten – und somit gleichsam vom Zuschauer – doch eingefordert, nicht wegzusehen. Die Einäscherung der Leichen geschieht trotzdem hinter verschlossenen Türen. Kurt kann sowieso nicht hinsehen, denn die Politik der Nazis sieht die Geheimhaltung der systematischen Vernichtung vor.
Zeugnis der Anklage
Für Kurt bilden der Tod seiner Tante und die weiteren Kriegserfahrungen eine traumatische Symbiose. Hinzu kommt auch noch der Suizid des Vaters, der aufgrund der von seiner Frau aufgedrängten Parteimitgliedschaft nach dem Krieg keine Anstellung als Lehrer mehr findet – obwohl er, wenn auch nur im privaten Kreis betont, immer gegen die Nazis war. Besser trifft es Professor Seeband, der durch ‚glückliche‘ Zufallsbegebenheiten und seine Fähigkeiten als Frauenarzt schnell eine Anstellung findet. Auf ihn trifft Kurt erneut, als er mit Seebands Tochter anbändelt. Dabei ahnt Kurt nicht, dass Seeband für Tante Elisabeths Tod verantwortlich ist. Kurts Liebschaft trägt – wie könnte es anders sein – auch noch denselben Namen wie Kurts Tante. Immerhin besitzt Kurt die Geistesgegenwart, sie nach einem Spitznamen zu fragen, sodass er nicht mit Elisabeth, sondern mit Ellie kurze Zeit später im Bett landet.
Im Laufe ihrer Beziehung wird Kurt die kriminelle Vergangenheit seines Schwiegervaters offenbar – und die Bilder werden Zeugnis seiner Anklage gegen ihn: „Ihr Stift: Ihr Schwert!“ Die Flucht von Familie Seeband und Kurt aus dem kommunistischen Osten führt den jungen Künstler nach Düsseldorf, wo er mit seinem Professor Antonius van Verten zusammentrifft. Ihre Unterredungen bilden die Klimax des Films. Das vermeintlich harmonische Ende des Films überdeckt jedoch, dass Kurt sich die traumatischen Erlebnisse nicht einfach ‚aus dem Kopf malen‘ kann, sondern weiterhin mit ihnen leben muss.
Von Künstlichkeit und Kunst
Die kreisförmig angelegte Erzählung – eine Eingangs- sowie die Schlussszene sind gleich aufgebaut – ist im wahrsten Sinne rund: Es gibt kaum eine Ecke oder Kante, an der man sich stoßen kann. Hier und da sind die Spezialeffekte schlampig umgesetzt, ansonsten dominieren die handwerklich guten Schnitte. Wie gerahmt sehen Ellie und Kurt aus, wenn sie sich im Café gegenübersitzen. Die orchestralen Melodien fungieren mal als Euphorisiakum, dann wieder werden sie als spannungserzeugendes Element integriert. Ob die humorigen Zwischentöne der Handlung notwendig sind, wird man ob des ernsten Inhalts ablehnend beurteilen. Klar wirkt es authentisch, dass Kurt und seine Künstlergenossen ein mit einem Vorschlaghammer posierendes Modell selbigen Hammer wie einen Phallus vor den Körper halten lassen: Hoch und runter, hoch und runter. „Der war nich’ sö!“ Der starke Akzent des Modells hat dabei auch seinen eigenen Charme. Wahrscheinlich schwebte Donnersmarck bei dieser Szene aber weniger die Gesamtkomposition vor Augen als die Massentauglichkeit seines Produkts. Sei’s drum, dass das künstlich wirkt.
Dagegen sind die Bilder, Fotografien und ihre Poetik der eigentliche Blickfang dieses Films. Das ist wenig überraschend, immerhin geht es in Werk ohne Autor ja um eine Maler-Biografie. Die Metaisierung von Kunst führt Donnersmarck dabei auf die brillante Idee, durch seinen Protagonisten ein Werk ohne Autor proklamieren zu lassen. Dabei erscheint er selbst als „Auteur“, ein Regisseur, der selbst erzählt. Dieser umstrittene Begriff der Filmwissenschaft fällt einem zwangsläufig vor die Füße, wenn man über die verschiedenen Ebenen von Urheberschaft im Film nachdenkt. Gleichermaßen lässt sich aber auch der Tod des Autors in Donnersmarcks Werk hineinlesen, wie Roland Barthes ihn einst feststellte: Was der Leser, Zuschauer, Rezipient aus einem Werk macht, muss, darf und soll er selbst entscheiden. Unter diesem Credo könnte folglich der gesamte Film stehen. „Denn Kunst kommt von Können.“
Werk ohne Autor (2018). Regie: Florian Henckel von Donnersmarck. Darsteller: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer. Laufzeit: 188 Minuten. Seit dem 3. Oktober 2018 im Kino.