
“Moments of Being” von kaleidoskop beim west off-Festival Foto: Annika Meyer
Das Theaterfestival west off beschäftigt sich in diesem Jahr unter anderem mit der (De-)Konstruktion unserer Wahrnehmung und dem Begriff der Wirklichkeit. In diesem Rahmen zeigt das Kollektiv kaleidoskop seine „theatrale Rauminstallation“ Moments of Being und präsentiert dem Publikum eine sehr persönliche Annäherung an Virginia Woolfs Schreiben und (künstlerisches) Erleben.
von ANNIKA MEYER
Schon bevor man im Theatersaal auf Spurensuche nach Virginia Woolf geht, sind im Eingangsbereich der Kölner Studiobühne Worte der Autorin aus ihrem Essay Craftmanship zur Erschaffung neuer Sprachkreationen nicht nur an der Fensterscheibe zu lesen, sondern auch von ihr persönlich eingesprochen zu hören. Regisseurin Silvana Mammone zeigt beim west off-Festival ihren ganz eigenen Zugang zu Woolfs Werk und führt das Publikum nicht nur zu dem Labyrinth aus Bettlaken, das auf der Bühne aufgebaut ist, sondern leitet auch unaufdringlich durch die gesamte Installation, die sie mit Barbara Lenartz (Szenografie) als Kollektiv unter dem Namen kaleidoskop entwickelt hat.
Gemeinsam mit Mammone und dem Schauspieler Pascal Riedel durchwandern die Beobachtenden das Bühnenbild. Jeder folgt anderen Lockungen des theatralen Raumes und wird so zum interaktiven Teil des flüchtigen Kunstwerks: Überall warten Requisiten darauf, benutzt zu werden, und Zitate aus Virginia Woolfs Essays und Kurzgeschichten ihrerseits darauf, entdeckt und gelesen zu werden. Den liebevoll ausgewählten und auf die Zitate abgestimmten Möbelstücken – unter anderem ein alter Teewagen und ein antik wirkender Nähtisch – sind Woolfs Worte wortwörtlich eingeschrieben, zusätzlich sorgen Toneinspielungen sowie Passagen, die Mammone und Riedel vortragen, dafür, dass man sich selbst ein Bild vom Werk der Schriftstellerin machen kann.
Ein Brief sagt mehr als tausend Worte
Doch nicht nur Virginia Woolfs kreatives Schaffen wird einem nähergebracht: Ausgeteilte und überall verstreute Briefe von Mammone an Woolf zeugen auf packende Weise auch von den Gedanken und Gefühlen der Regisseurin, laden unter anderem zum Nachsinnen über Wahrnehmungsperspektiven und weibliche Kunst ein und demonstrieren einen sehr intimen Zugang zu Woolfs Worten: „Ich gebe mich dir hin. Du – das ist das, was du mir gibst: Worte, die fliegen können. Ich schwöre, Virginia, ich werde sie niemals auf den Boden der Tatsachen holen. Ich öffne mich deiner Kunst, um Theaterräume zu öffnen – um Geschichten zu löchern, sodass Licht hindurchscheinen kann.“ Viele Passagen verdeutlichen das Konzept des Theaterabends – statt Linearität und zwanghafter Struktur kann man den Moment erleben, „wenn sich alles auf wundersame, nicht nachzuvollziehende Weise zusammenfügt. Einen Wimpernschlag lang.“ Statt einer einzigen Geschichte wird „die Möglichkeit zu tausenden Geschichten“ erschaffen.

“Moments of Being” von kaleidoskop beim west off-Festival Foto: Annika Meyer
Theater für alle Sinne
Wenn man nicht gerade beschäftigt ist, sich in Woolfs (respektive Mammones) Schreiben einzulesen, kann die Installation auch auf andere Weisen sinnlich erfahren werden: Schnell entwickeln sich so aus schüchternen Beobachtenden spielhaft Interagierende, die Teil des Kunstwerks werden. Ob beim Memoryspiel mit Virginia- Woolf-Fotos, beim Blick durch ausliegende Kaleidoskope, beim Erzeugen von Tönen durch Wassergläser oder der kreativen Gestaltung mit Buchstabennudeln und Lebensmittelfarbe am Overheadprojektor – der Fantasie sind nur wenige Grenzen gesetzt, und gemeinsam wird die Grundidee der Installation auf eine neue Ebene gebracht, indem Zeichen neu kombiniert und Strukturen aufgelöst werden, um neue Muster zu ergeben. Auch Kontrabassist Moritz Götzen gibt sich dem kreativ-unstrukturierten Fluss des Moments hin, wenn er musikalisch improvisierend Fragen beantwortet, die das Publikum ihm via Karten auf den Notenständer legt.
Zum Reflektieren veranlasst einen an diesem Abend nicht nur die Wortgewalt der Inszenierung. Auch verschiedenste in den Theaterraum integrierte Spiegel lassen die Zuschauenden einen Blick auf sich selbst werfen und erzeugen zugleich Fragen und Antworten zur eigenen Wahrnehmung. Zuletzt werden die Laken, die an Leinen auf der Bühne einen Raum im Raum gebildet haben, abgezogen, und Mammones geschriebene Worte werden zu sichtbaren Momentaufnahmen: Grenzen verschwimmen ein weiteres Mal, Licht breitet sich aus und wird von der Spiegelfolie der Fotorückseiten in alle Richtungen gestreut. kaleidoskop werden ihrem Namen in Moments of Being gerecht, indem sie nicht nur einen Akzent setzen, sondern die Möglichkeit bieten, unendlich viele Eindrücke individuell zu gewinnen. Wir dürfen also auf weitere Akzente und Lichtblicke gespannt sein.
Informationen zur Inszenierung
Nächste Vorstellungen:
Donnerstag, der 22. November 2018 (FFT Düsseldorf)