
Nino Haratischwili – Die Katze und der General Cover: Frankfurter Verlagsanstalt
Nino Haratischwili gelingt es, das bewegende Schicksal einer vergewaltigten und ermordeten Tschetschenin zu den zwei Fragen verkommen zu lassen, wer mit wem in die Kiste hüpft und wann endlich mal Tacheles geredet wird. Die hölzern wirkenden Figuren drucksen mehrheitlich um den heißen Brei herum. Übrig bleibt der perfekte Roman – für jeden, der sich an plumper Unterhaltungslektüre ergötzen kann.
von THOMAS STÖCK
Im Jahr 1994 bricht der erste Tschetschenienkrieg aus. Bereits drei Jahre zuvor erklärte die ehemals autonome Sowjetrepublik Tschetschenien ihre Unabhängigkeit von Russland – nun gibt Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention in der Kaukasusrepublik. Inmitten des Krieges befindet sich Nura Gelajewa, eine junge Tschetschenin. Am liebsten würde sie aus ihrer Heimat fliehen: vor dem Krieg, aber auch vor einer Zukunft, die ihre persönliche Freiheit beschneiden würde. Diese Flausen hat ihr eine Russin in den Kopf gesetzt, die tschetschenische Kinder mit ihrem Mann unterrichtete, aber selbst fliehen musste vor dem Konflikt und den Anfeindungen der Kaukasier. In einer nebligen Novembernacht, in der Russland Tschetschenien den Krieg erklärt, eröffnet ihr ein Junge namens Musa aus ihrem Heimatdorf, dass er sie heiraten möchte. Nura lehnt ab, kommt nach Hause, erfährt vom Krieg.
Auf russischer Seite steht Malisch, ein bis über beide Ohren verliebter junger Mann. Seine Mutter erwartet von ihm, dass er die von seinem Vater hinterlassenen Fußstapfen ausfüllt, und wünscht sich von ihrem Sohn, dass er Soldat wird. Mangels besserer Alternativen in der postsowjetischen Gesellschaft geht Malisch nicht an die Universität, wie ursprünglich angedacht. Er fügt sich stattdessen seiner Mutter – auch mit dem Hintergedanken, so seine geliebte Sonja wiederzutreffen, die ihn in Wladikawkas erwartet. Von dort aus wird er verlegt – in die Nähe ebenjenes Dorfes, in dem auch Nura lebt. Der kunstbegeisterte Malisch ist seit jeher ein Außenseiter, was sich auch in seiner Zeit beim Militär nicht ändert, im Gegenteil. Mit einem Freund kauft er bei Nura heimlich Waren ein, um sich beliebter zu machen. 20 Jahre später verfolgt Malisch immer noch, was darauf in Tschetschenien geschehen ist: Nura wird vergewaltigt und ermordet. Und Malisch sinnt auf Rache.
Sex, Liebesschwüre und ganz viel Spannung, die verpufft
So zusammengefasst klingt die Handlung von Die Katze und der General wie das gelungene Grundgerüst eines Thrillers. Was folgt, hat mit dieser spannenden Haupterzählung meistens jedoch nichts zu tun. Bereits bei Nura und Malisch ist es nervig, dass Haratischwili viel zu ausschweifend das Innere dieser Figuren vor dem Leser ausbreitet. Besonders abstrus scheint jedoch, dass eigentlich jeder Figur eine solch langatmige Beschreibung ihres Liebeslebens zukommt. Erzählt wird beispielsweise von den Freunden der späteren Protagonistin „Katze“, vom gegenwärtigen Freund von „Katzes“ Schwester, vom gegenwärtigen und von den vergangenen Freunden von „Katzes“ Mutter. Dass keine dieser Figuren (oder ihr Gefühlsleben) auch nur irgendwie relevant für die eingangs beschriebenen Geschehnisse oder deren Verarbeitung sind, ist müßig zu erwähnen. Sex sells – doch die Grenzen des guten Geschmacks sind hier überschritten.
Ebenso fragwürdig ist die Methode der Autorin, Spannung zu generieren. Bereits im Titel scheint dies durch, denn hinter „Katze“ und dem „General“ verbergen sich natürlich vermeintlich geheimnisvolle Charaktere. Ein Geheimnis bleibt auch, warum manche Figuren so viel Handlungsraum einnehmen. Da gibt es zum Beispiel den deutschen Journalisten Onno Benner, der irgendwann einmal über den „General“ recherchiert hat – natürlich unter dessen bürgerlichem Namen Alexander Orlow, denn unter diesem Namen ist Malisch gleichfalls bekannt. Nachdem Onno Orlows Tochter verführt, sich in sie verliebt und ihr anschließend von der Vergangenheit ihres Vaters berichtet hat, sollte man meinen, dass er seinen ‚Dienst‘ verrichtet hat. Stattdessen ist er aber die gesamte Zeit über Bestandteil des Ensembles, das für die Misstöne dieses Romans verantwortlich zeichnet. Aus einem nicht ersichtlichen Grund soll Onno schließlich ein Buch über das schreiben, was Orlow den Militärs angetan hat, nachdem das ‚große Finale‘ am Ende des Romans stattfindet. Mit solch spannenden Handlungssträngen ‚bereichert‘ Onno die Atmosphäre: „Ich aß einen Kebab an der Straßenecke und stieg in die U-Bahn. Es war kalt, und ich wunderte mich, dass ich mir letzte Nacht auf der Parkbank keine Lungenentzündung geholt hatte.“ Doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass auch er nur da ist, damit „Katze“ mit irgendwem in die Kiste springen kann…
Verpuffungseffekt, die Zweite
Die Schwächen von Die Katze und der General scheinen auch der Autorin an bestimmten Stellen aufgefallen zu sein. Aus diesem Grunde behauptet sie von Onno: „Ich hatte meine Existenzberechtigung: Ich war ein Geschichtenerzähler, eine männliche Scheherazade, die leben durfte, solange sie weiter berichtete.“ Im Gegensatz zu der Erzählerin aus Tausendundeiner Nacht erzählt Onno jedoch nur eine Geschichte. Er berichtet von der Familie seiner damaligen Freundin, die vor dem Balkankrieg geflohen ist. Ohne bei der Familie auch nur ein einziges Mal nachzufragen, veröffentlicht er deren intime Geschichte. Dass Scheherazade eine Zeitungsredakteurin war oder dass sie Persönlichkeitsrechte so eklatant missachtete, entspricht wohl kaum der Wahrheit.
Insbesondere Onno gehört ebenfalls zu den Figuren, die mit ihren ständigen rhetorischen Fragen den Leser lenken sollen, ihn stattdessen jedoch enervieren. „War es wirklich so falsch, was ich getan habe?“, fragt Onno beispielsweise, als er seinen Zeitungsbeitrag Revue passieren lässt. „Katze“ selbst läuft bei einem ähnlichen Zitat zur Höchstform auf: „Warum war sie hier? Um sich von ihm die Kleider vom Leib reißen zu lassen, sich in seine Schulterblätter zu verkrallen, seine Lippen einzusaugen, mit den Beinen seine Hüften zu umschließen, wie ein Affe an ihm zu hängen“. Hier macht sich im Übrigen die den gesamten Roman durchziehende Tiermetaphorik bemerkbar. Eine finale rhetorische Frage bringt daraufhin weite Strecken des Romans auf den Punkt: „Was sollte das Ganze? Wozu diese ganze Erinnerungsflut?“
Showdown in Tschetschenien – who cares?
Wer beim ‚Affenanhängsel‘ oder der Boulevardjournalistin Scheherazade noch nicht abgeschaltet hat, den erwartet ein langatmiges und überaus frustrierendes Ende. Besser ist es, den Mantel des Schweigens über den Rest des Romans zu hüllen. Was bleibt von einem solchen Werk? Aus der Suche nach Vergewaltigern und Mördern wird eine Sex-Schnulze, die mit billiger Effekthascherei und zu zahlreichen Nebenschauplätzen den eigentlichen Konflikt außer Blick geraten lässt. Doch selbst dieser Hauptkonflikt kulminiert in ein absurd-groteskes Ende, das Nura – und damit auch den Frauen, für das ihr Schicksal stellvertretend steht – schlichtweg unwürdig ist.
Nino Haratischwili: Die Katze und der General
Frankfurter Verlagsanstalt, 750 Seiten
Preis: 30,00 Euro
ISBN: 978-3627002541