
“Celestial Sorrow” Foto: Laura Van Severen
Celestial Sorrow – so heißt das Ergebnis der Kollaboration zwischen Choreografin Meg Stuart und dem bildenden Künstler Jompet Kuswidananto, das PACT Zollverein auf die Bühne gebracht hat und das im nächsten Jahr noch in Minneapolis, Gent, Wien und Berlin zu erleben sein wird. Ausgehend von Kuswidanantos Erinnerung an die Suharto-Diktatur in Indonesien, während welcher der Künstler aufwuchs, entstand eine eindrucksvolle Installation und Performance über Trauer, Schmerz und die Geister der Vergangenheit.
von SILVANA MAMMONE
Einem Interview mit den beiden KünstlerInnen ist zu entnehmen, dass Stuart und Kuswidananto bereits vor Projektbeginn nach Indonesien reisten, wo sie sich u. a. mit der nationalen Vergangenheit und Gegenwart von Kuswidanantos Heimat beschäftigten: „Suharto’s regime is not only associated with trauma but also with a ban, at one point, on sad songs. This inspired our research into melancholic music and sorrow in general“. Vor diesem Hintergrund schafft Meg Stuart gemeinsam mit drei TänzerInnen (Jule Flierl, Gaëtan Rusquet, Claire Vivianne Sobottke) und zwei MusikerInnen (Mieko Suzuki, Ikbal Simamora Lubys) ein facettenreiches Experimentierfeld. Wo sitzt Schmerz und wie und wo bricht er aus? Wie können wir ihm Ausdruck verleihen, verbal wie auch non-verbal, und wie verleiht er sich, oft scheinbar unterbewusst, selbst Raum und Ausdruck? Diese und viele andere Fragen, die zum Teil auch im Auge des Betrachters liegen, stellt das Ensemble und zeigt im wahrsten Sinne des Wortes Formen des Leidens und Klänge des Schmerzes.
Trance
Einer kleinen Arena gleich sind die Zuschauerreihen komplett um die Bühne aufgestellt, über der gelblich-warm ein Lichterhimmel aus zig Glühbirnen erstrahlt (Lichtdesign: Jan Maertens). Die drei TänzerInnen drehen sich sehr langsam, unverständlich flüsternd um ihre eigene Achse und ein durchgehender, noch sanft dröhnender Ton erfüllt den Raum. Die Inszenierung, in der alles einen Klang hat und zugleich alles erleuchtet ist, mutet im Ganzen an eine Flussreise an, mal sanft, dann wieder gewaltsam mitreißend. Der Rhythmus ist eindringlich. Es ist einer dieser Abende, der einen oftmals die Zeit vergessen lässt, denn er lässt einen konstant auf- und abtauchen und die Begegnung zwischen Sound und Licht erschafft zahlreiche komplexe Spannungen. Immer wieder wechselt die Atmosphäre zwischen gelb-gleißend und fahl-kalt, synchron zu ekstatischen, dynamischen oder ruhig-kontemplativen Sequenzen. Die Inszenierung spielt gekonnt mit diesen Kontrasten, am auffälligsten, wenn Lautstärke und Helligkeit von Stille und Dunkelheit abgelöst werden. So folgt auf Trommelrhythmen und energetisches Tanzen, das an Geisteraustreibung erinnert, eine Szene in absoluter Finsternis, in welcher die drei TänzerInnen abwechselnd Bilder aus ihrer Vergangenheit ausnahmsweise verbal beschreiben.

“Celestial Sorrow” Foto: Laura Van Severen
Dein Schmerz ist mein Schmerz?
Ich weiß, dass eine Tanzperformance mich erreicht hat, wenn sich Listen von Wörtern zusammen mit Bildern, Erinnerungen und Assoziationen in meinem Kopf entfalten, die ich erst Tage später benennen kann: Weltschmerz und Verzweiflung, Gewalt, Angst, Trauer, Verlust, Trauma und Erinnerung, Ritual, Krieg, Begräbnis – die Liste an Bildern, Szenen und Symbolen, die die TänzerInnen verkörpern und erzählen, ist lang. Leiden hat die Macht, zu versperren und zu befreien. In Celestial Sorrow werden Körper und Geist eins und vermischen sich mit Sound und Lichtern, denn der Ausdruck von Schmerz wird künstlerisch-experimentell großflächig ausgelotet. Leiden ist ein Laut, ein Bild, eine Bewegung, kontrolliert und dann wieder unkontrolliert. Es ist eine Erinnerung, ein Forschungsobjekt oder eine endlos lange Kette von individuellen und kollektiven Assoziationen. Was überwältigt, ist die Darstellung und Übersetzung all dieser Leidensfacetten durch non-verbale Medien. Der Abend erschafft viele Momente, die einen wellenartig mitnehmen und teils auch die absurde Komik von Leid ausstellen. So beispielsweise, wenn eine Tänzerin mit übergroßen roten Lackpumps über den Boden und durch ihr Selbstmitleid kriecht: „How did I end up here? […] I hate love […] I need to pee…“ Leid ist alles, leicht, schwer bis durchdringend und immer auch etwas seltsam, wenn von außen oder im Rückblick betrachtet.
Auf eine deutlichere Verbindung zur Realität oder Geschichte Indonesiens wurde verzichtet, vielleicht um den trance-artigen Fluss des Abends nicht zu unterbrechen. Obgleich der Abend in seiner Vielschichtigkeit überaus tiefgreifend ist, bleibt er inhaltlich unkonkret, indem er wenige direkte oder offensichtliche Verbindungen schlägt und dem Zuschauer beispielsweise kaum die Relation zur indonesischen Geschichte aufzeigt. Erreicht wird dadurch natürlich eine größere Projektionsfläche für den Zuschauer. Unabhängig davon ist die Sogkraft des Abends sowie die Experimentierfreudigkeit in Bezug auf Bewegung und Klang mitreißend und überaus sehenswert.
Informationen zur Inszenierung
Weitere Vorstellungen:
11.-13. April 2019 (Minneapolis, Walker Art Center)
23.-25. Mai 2019 (Gent, Kunstencentrum Vooruit)
28.-30. November 2019 (Wien, Tanzquartier Wien)
11.-14. Dezember 2019 (Berlin, HAU – Hebbel am Ufer)